Übersichtsarbeiten - OUP 09/2018

Mobile Health
Wie das Potenzial für O&U richtig nutzen?How to make use of the potential for orthopaedics and traumatological surgery?

Basis hierfür ist die Stärkung des Verantwortungsbewusstseins der Hersteller zur Notwendigkeit qualitätsgesicherter Entwicklung, wofür sie Hilfestellung benötigen. Rechtliche Sanktionen zeigen hier sicher weniger Wirkung als die intrinsische und auf Aufklärung basierende Motivation: Schon aus Gründen der Nachhaltigkeit wollen Hersteller im Grunde solide und sichere Produkte gestalten und anbieten. Mit geeigneten Werkzeugen lässt sich im App-Umfeld viel erreichen.

Haftungsfragen

Wie wichtig der Einsatz einer qualitativ hochwertigen App ist, ergibt sich im rechtlichen Kontext. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) sieht nach § 630 a vor, dass der Arzt seinen Patienten eine Behandlung nach allgemein anerkannten fachlichen Standards schuldet, soweit es nicht anders vereinbart wurde. Der Patient kann Schadensersatzansprüche gegenüber dem Arzt geltend machen, wenn dieser ungeeignete Instrumente oder Methoden eingesetzt hat, die dann ursächlich für den Schaden am Patienten waren. Eine App bietet je nach variabler Berücksichtigung gültiger qualitätsgesicherter Entwicklungspraktiken diverses Haftungspotenzial, das nicht zwangsläufig an den Hersteller „durchgereicht” werden kann [4]. Es hängt viel von der Zweckbestimmung ab, die der Hersteller der App zugewiesen hat. Äußert dieser nämlich, dass die App nicht für Prävention, Diagnostik oder Therapie gedacht ist, liegt die Verantwortung primär beim Anwender selbst – und das schließt die Haftung mit ein [4]. Selbst bei einer App, die ein Medizinprodukt nach dem Medizinproduktegesetz darstellt, wird es problematisch, wenn der Anwender die App abweichend von der Zweckbestimmung einsetzt und es zum Schaden kommt. Zur Haftungsprävention soll sich der Arzt vor der Anwendung daher über die App, ihren Zweck, ihre Funktion, ihren Anwendungsbereich, ihre Anwendungseinschränkungen, Risiken etc. informieren [4]. Hierzu sollen die App-Beschreibungen oder Gebrauchsanweisungen (bei Medizinprodukten) geprüft werden. Zusätzlich ist ein vorheriges Ausprobieren zu empfehlen, um Proberechnungen und -messungen und Vergleiche mit Standardmethoden durchzuführen [4]. Ziel ist es, sich von der Eignung der App selbst zu überzeugen.

Mitgestalten

Die Digitalisierung wird von der Ärzteschaft zunehmend angenommen. Die Ergebnisse der letzten beiden Ärztetage sind hierfür ein deutlicher Beleg. Die Ärzteschaft hat begriffen, dass sich das Fenster zur Mitgestaltung der digitalen Gesundheitsversorgung schließt. Es ist auch eine zunehmende Aktivität der Ärzteschaft und ihrer Selbstverwaltungsorgane zu verzeichnen, sei es in Form von Gründungen von „Task Forces” zu digitalen Themen oder der Einrichtung von Arbeitsgruppen zur digitalen Medizin in den diversen Fachgesellschaften und Berufsverbänden. Der Stand und die Art der Aktivitäten variiert erheblich. Während die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) bereits aktiv an einem Werkzeug (SARASA) zur formalen Filterung von sämtlichen Gesundheits-Apps in den App-Stores mitarbeitet [6], beschäftigen sich andere mit der Vergabe von Qualitätssiegeln.

Zielführend wäre zudem eine Fachgesellschaften und Berufsverbände übergreifende Initiative zur Identifikation, Abstimmung, Evaluation und Kommunikation von Qualitätskriterien für Apps [2]. Hierdurch würde eine Basis für eine homogene qualitätsgesicherte Entwicklung geschaffen, die Hersteller über die Anforderungen informiert, unter denen die Mediziner überhaupt bereit wären, eine Nutzung ihrer Produkte in Betracht zu ziehen [2]. Übergeordnete Aspekte wie Zweckmäßigkeit, Risikoangemessenheit, ethische Unbedenklichkeit, Rechtskonformität, inhaltliche Validität, technische Angemessenheit, Gebrauchstauglichkeit, Ressourceneffizienz und Transparenz sind sicherlich konsensfähig. Ziel soll es sein, dass die Initiativen selbst nicht in die Verantwortung und Verbindlichkeiten der Testung geraten – was sie schwerlich selbst leisten könnten – sondern vielmehr Kriterien für Evaluationsprozesse abstimmen, die letztendlich eine valide Prüfung ermöglichen können. Unberührt bleibt die inhaltliche Bewertung der einzelnen Fachgesellschaften und Berufsverbände für ihren Schwerpunkt. So können diese Stakeholder einen weiteren Beitrag zur Qualitätssicherung leisten [2].

Fazit

Mobile Health und Gesundheits-Apps können als Allzweck-Tools zur Überwindung von wohlstandsbedingten Nebenwirkungen wie Übergewicht und Trägheit eingesetzt werden. Vom professionellen Blickwinkel der Orthopäden und Unfallchirurgen aus gesehen bieten sich Vorteile zur Intensivierung des Kontakts mit den zu Behandelnden und die Chance, eine Diagnostik in lebenstypischen Situationen durchzuführen und die Therapie individuell zu begleiteten. Das kann die Therapietreue verbessern und unnötige Arzt-Patienten-Kontakte vermeiden helfen. Im Idealfall ein Gewinn für alle, auch durch eine finanzielle Entlastung für das solidarische Gesundheitssystem. Apps haben das Potenzial, den Gesundheitsbereich nachhaltig im Nutzer- und Patientensinne zu verändern. Hierzu müssen qualitativ hochwertige Anwendungen angeboten werden, was die Hersteller in die Verpflichtung nimmt.

Doch auch die Nutzer müssen lernen, mit der Technologie umzugehen, unabhängig davon, ob sie medizinische Laien oder Profis sind. Die Abstimmung fachübergreifender Qualitätskriterien durch die Fachgesellschaften und Berufsverbände wird zusätzlich Klarheit für alle Beteiligten in Sachen Qualitätsanforderungen an Gesundheits-Apps bringen, was enorm zur sicheren und nutzbringenden Anwendung von Mobile Health beitragen wird. Insbesondere die medizinischen Kollegen sind aufgerufen, sich an den jetzt startenden Prozessen zu beteiligen und die Versorgungslandschaft mitzugestalten. Die ungünstigere Alternative wäre, dass Andere diese Aufgabe übernehmen, die womöglich ganz andere Interessen als das Patientenwohl im Blick haben.

Interessenkonflikt: Keine angegeben.

Korrespondenzadresse

PD Dr. med. Urs-Vito Albrecht, MPH

Medizinische Hochschule Hannover,
Peter L. Reichertz Institut für
Medizinische Informatik

Carl-Neuberg-Straße 1

30625 Hannover

albrecht.urs-vito@mh-hannover.de

Literatur

1. Albrecht UV (Hrsg.): Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps (CHARISMHA); Hannover: Medizinische Hochschule Hannover, 2016

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