Übersichtsarbeiten - OUP 09/2018

Mobile Health
Wie das Potenzial für O&U richtig nutzen?How to make use of the potential for orthopaedics and traumatological surgery?

Ausreichende Evidenz ist vielfach die Voraussetzung für Stakeholder-Entscheidungsprozesse. Insbesondere die Erstattungsfähigkeit der Krankenkassen ist an besondere rechtliche Nutzungsbedingungen gebunden [3]. Derzeit ist es allerdings schwierig, von einem belegten Nutzen und dem Gegenteil zu sprechen, da abschließende Studien bei dieser verhältnismäßig jungen Technologie noch ausstehen. Zu „Mobile Health” finden sich in der wissenschaftlichen Literatur zwar zahlreiche Aufsätze, doch sind diese oftmals nicht auf deutsche Verhältnisse übertragbar oder es wird auf einzelne, zu eng gesteckte Anwendungsbereiche oder -gruppen fokussiert. Eine Vergleichbarkeit der Studien wird durch eine sehr große Methodenvariabilität erschwert. Ursächlich sind hierfür auch die raschen Entwicklungszyklen im Mobilbereich, welche die Bewertung der Technologie durch herkömmliche Studiendesigns beeinträchtigen können, die wiederum wesentlich längere Untersuchungszeiträume voraussetzen [3].

Von „guten“ und
„zertifizierten“ Apps

Jeder will sie haben, die „gute“ App von bester Qualität. Doch wann ist eine App gut? Ohne sich in Details zu verlieren, wie sie in verschiedenen Normen, Guidelines oder Ähnlichem beschrieben werden, lassen sich folgende Qualitätskriterien hervorheben: Gute Apps erfüllen nachweislich ihren Zweck vollständig, effizient und zuverlässig, ohne dabei den Nutzer oder seine Umgebung zu gefährden. Das schließt Risiken für die Gesundheit, aber auch für die soziale und wirtschaftliche Situation des Nutzers und seiner Umwelt ein. Sie machen den Anwender zufrieden. Befriedigt eine App die Bedürfnisse des Nutzers, vielleicht gar solche, derer er sich ursprünglich nicht einmal bewusst war, trägt das, zusammen mit zuverlässiger Funktionsweise, dazu bei, dass eine App als qualitativ hochwertig wahrgenommen wird. „Schlechte“ Apps vernachlässigen diese Aspekte, sind vielleicht schlecht bedienbar oder gefährden aufgrund ungenügender Sorgfalt bei der Umsetzung den Nutzer.

Wie bei anderen Produkten gibt es auch bei Apps Regeln, die durch den gesetzlichen Rahmen und gesellschaftliche Normen vorgegeben werden. Doch wie wird sichergestellt, dass diese auch eingehalten werden? Eine berechtigte Frage, die nicht nur die Kunden, Patienten und Klienten stellen, sondern auch die Politik, Fachverbände und Verbraucherschützer. Der Ruf nach Kontrollinstanzen wird lauter, ebenso nach Prüfern und Zertifikaten, die Sicherheit geben sollen, weil die Prüfung fachkundig und frei von Interessenkonflikten erfolgte. Aus der Unsicherheit lassen sich auch gut eigene Geschäftsmodelle entwickeln. Prüfstätten, Zertifizierungseinheiten und „Siegelschmieden“ schießen aktuell aus dem Boden und wollen hier Abhilfe schaffen. Leider sind sie kein Allheilmittel, da zwar eine „Prüfung“ vorgenommen wird, oftmals aber unklar bleibt, wie qualitativ hochwertig diese Prüfung war! Die Prüfprozesse bleiben meist eine „Black Box“ und weder Nutzern noch Wissenschaftlern ist es somit möglich, zu beurteilen, was genau auf welche Weise geprüft wurde und ob es sich tatsächlich um eine valide Prüfung handelt. Hierfür gibt es allgemeine Testgütekriterien, die eingehalten werden müssen.

Essenziell ist auch die transparente Bereitstellung von Informationen über die Prüfung: Nutzern bleibt ansonsten nur die die Hoffnung, dass das Siegel/Zertifikat schon das Richtige aussagt, was kaum eine solide Basis für Vertrauen ist. Für Prüfinstitute ist der Weg zu adäquater Transparenz aber eine Gratwanderung, da sie damit ihr Know-how offenlegen und potenziell ihr Geschäftsmodell gefährden. Alternativ eine staatliche Instanz einzusetzen, muss aufgrund der Masse an Apps schon im Ansatz scheitern und entsprechende Prüfverfahren finden nur in eng gestecktem Rahmen Anwendung. Für Apps, denen die Hersteller eine medizinische Zweckbestimmung vorgesehen haben, gelten besondere Anforderungen. Apps für Diagnostik und Therapie müssen – sobald sie etwas messen und/oder berechnen – von einer sogenannten „benannten Stelle“ zertifiziert werden. Dieses CE-Zertifikat ist dann Grundlage für ein Konformitätsbewertungsverfahren, in dem der Hersteller staatlichen Stellen bestätigen muss, dass er sich an grundlegende gesetzliche Anforderungen bei der Entwicklung gehalten hat. Nun gelten diese Vorgaben nicht pauschal, sondern nur für „medizinische Apps“. Eine Zertifizierung muss in jedem Falle dann erfolgen, wenn ein gesundheitliches Risiko für die Nutzer besteht – je gefährlicher, desto intensiver wird geprüft. Der Fitnessbereich wird hiervon jedoch kaum betroffen sein.

Herausforderungen

Aus Begeisterung über die Technologie und ihre Möglichkeiten werden von Herstellern teils sehr optimistische Ansätze verfolgt, die abseits von offensichtlichen Problemen wie Datenschutz bereits an inhaltlichen wie umsetzungsbedingten Mängeln oder übersteigerten Erwartungen an die Technik scheitern. Beispiele dafür finden sich vor allem jenseits des Fitness-Bereichs in der Fachliteratur: Problemfälle wurden zum Beispiel für das App-gestützte Melanom-Screening über Bildanalysen [10] beschrieben oder für Apps, die im Bereich Diabetes eingesetzt werden [7]. Die erwähnten Apps wurden zwar mit dem Ziel der Versorgungsverbesserung erdacht und entwickelt, dennoch wurde bei Planung und Entwicklung das technisch Machbare überschätzt, oder es wurden branchenübliche „Best Practices“ (existierende Standards) missachtet, ebenso wie regulatorische Vorgaben in Unkenntnis der erforderlichen Voraussetzungen. Vor dem Hintergrund, dass viele Hersteller, die sich mit ihren Produkten in den App-Stores tummeln, aus ursprünglich gesundheitsfernen Bereichen kommen, ist dies verständlich, das resultierende Qualitätsdefizit bleibt jedoch inakzeptabel. Dem kann und muss durch eine Sensibilisierung und das Angebot von Hilfestellungen an die Beteiligten begegnet werden. Nur so können die unendlich vielen Ideen, Methoden und Ansätze, von denen mit Sicherheit nutzbringende Lösungen für Patienten, medizinisches Personal und Bürger zu erwarten sind, überhaupt eine Chance erhalten, ihren Nutzen zu zeigen. Aktuell besteht eine quasi revolutionäre Situation. Die Chancen, die dies für unser Gesundheitssystem bringt, dürfen nicht aufgrund von Problemen verspielt werden, wie sie zuvor skizziert wurden, und den daraus resultierenden Risikoängsten.

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