Originalarbeiten - OUP 01/2016

Modulare, schaftfreie, metaphysär press-fit verankerte anatomische und inverse Schulterendoprothetik mittels TESS-System: Ein sinnvolles Konzept?

Bei unserer Serie von 58 inversen TESS-Endoprothesen in der Patientengruppe mit einer Defektarthropathie und 19 anatomisch implantieren TESS-Endoprothesen (15 primäre Omarthrosen, eine Humeruskopfnekrose, eine Kappenversorgung mit schmerzhafter Glenoidersosion, 2 postraumatische Omarthrosen) hatten wir in keinem Fall eine humerale Lockerung. Dies entspricht vorangegangenen Studien. So wurde in einer Fallserie von 72 anatomisch implantierten TESS-Endoprothesen in keinem Fall eine humerale Lockerung festgestellt [3]. Zudem wurden in einer Fallserie von 56 inversen TESS-Implantationen, in der Patienten mit Frakturfolgen sowie Revisionsfälle für eine schaftfreie Versorgung ausgeschlossen wurden, wiederum keine humeralen Lockerungen festgestellt [1]. In Anbetracht unserer kurzen bis mittelfristigen Ergebnisse und der Studienlage, können wir hinsichtlich humeraler Lockerungen die Verwendung der schaftfreien Version der TESS Prothese sowohl in der anantomischen Situation als auch bei der inversen Versorgung bei Patienten mit einer Defektarthropathie durchaus als knochensparende Alternative zur Schaftversorgung empfehlen. Bei den beiden anderen, mit einer inversen TESS versorgten Ätiologiegruppen, mussten wir allerdings in 3 Fällen eine humerale Lockerung verzeichnen. Von 8 Patienten aus der Gruppe mit Frakturfolgezuständen (4 schaftfreie inverse TESS und 4 TESS mit zementierten Stiel) hatte ein Patient eine humerale Lockerung. Unter 9 Revisionsfällen nach vorangegangener Prothesenimplantation (4 schaftfreie inverse TESS und 5 TESS mit zementierten Stiel) kam es in 2 Fällen zu einer humeralen Lockerung. Zwei Patienten entschieden sich für eine Revision mit einem Wechsel auf eine TESS mit zementierten Stiel (Abb. 7). Im weiteren Verlauf waren beide Patienten schließlich zufrieden mit dem Ergebnis. Die dritte Patientin litt an einer zunehmenden Sturzneigung, die auch zu wiederholten Stürzen auf die operierte Schulter führte. Diese Patientin lehnte weitere operative Maßnahmen ab. Richard Ballas und Laurent Béguin haben in ihrer Studie zur TESS-Prothese entsprechend ihrem Studienprotokoll alle Fälle mit Revisionen oder Frakturen ausschließlich mit gestielten TESS-Prothesen versorgt. Retrospektiv betrachtet, waren sie wahrscheinlich schlauer als wir, da sie mit dieser Entscheidung in ihrer Studie eine humerale Lockerungsrate von 0 % nachweisen konnten [1].

Fazit

Zusammenfassend zeigt sich, dass der Wunsch nach einer knochensparenden, schaftfreien Schulterendoprothetik mit dem Wunsch nach mehr Einstellbarkeit und Modularität der Prothesenkomponenten durchaus Hand in Hand gehen kann. So ist das TESS-System bei der anatomischen Versorgung in der Lage, die individuelle Gelenkgeometrie adäquat wiederherzustellen. Dies entspricht der Studienlage und eigenen Nachuntersuchungen mit einem vergleichsweise guten klinischen Outcome. Bei der inversen Variante ermöglicht das TESS-System eine suffiziente Distalisierung und Medialisierung. Somit finden sich die für die inversen Prothesen funktionell günstigen Änderungen von Hebelarm und Vorspannung. Auch dies passt zu dem guten klinischen Outcome. Die geringen Notching-Raten lassen sich anhand der individuellen Einstellbarkeit der Invers-Corolla mit vergleichsweise niedrigen Schaft-Hals-Winkeln erklären. So hatten wir intraoperativ – im Gegensatz zu den inversen Schaftsystemen – gute Möglichkeiten, den Winkel individuell zu gestalten und hierbei tendenziell auch auf niedrige Werte zu kommen. Hinsichtlich der humeralen Lockerungen zeigen unsere ersten, noch kurzfristigen Ergebnisse, dass die schaftfreie Press-fit-Fixierung bei der anatomischen Versorgung und auch die inverse schaftfreie Variante bei der Ätiologiegruppe Defektarthropathie zuverlässig funktioniert. Warnen muss man allerdings vor der schaftfreien inversen Versorgung bei Frakturfolgezuständen sowie anstehenden Revisionen bei einliegenden schaftfreien Prothesen. Je nach Knochenqualität sollte die Möglichkeit der bei dem TESS-System einfach durchführbaren Montage eines distal zementierten Stiels großzügig genutzt werden. Mit dieser erweiterten humeralen Fixierung lassen sich auch in diesen Fällen humerale Lockerungen zuverlässig vermeiden.

Interessenkonflikt: Keine angegeben.

Korrespondenzadresse

PD Dr. med. Lars Victor von Engelhardt

Fakultät für Gesundheit der Universität Witten/Herdecke

Abteilung für Orthopädie,
Unfallchirurgie und Sportmedizin

Johanna-Etienne-Krankenhaus

Am Hasenberg 46, 41462 Neuss

larsvictor@hotmail.de

Literatur

1. Ballas R, Beguin L. Results of a stemless reverse shoulder prosthesis at more than 58 months mean without loosening. J Shoulder Elbow Surg.2013; 22: 1–6

2. Berth A, Pap, G. Stemless shoulder prosthesis versus conventional anatomic shoulder prosthesis in patients with
osteoarthritis: a comparison of the functional outcome after a minimum of two years follow-up. J Orthop Traumatol. 2012; 14: 31–37

3. Huguet D, DeClercq G, Rio B, Teissier J, Zipoli B. TESS Group. Results of a new stemless shoulder prosthesis: radiologic proof of maintained fixation and stability after a minimum of three years’ follow-up. J Shoulder Elbow Surg. 2010; 19: 847–852

4. Kadum B, Mukka S, Englund E, Sayed-Noor A, Sjoden G. Clinical and radiological outcome of the Total Evolutive Shoulder System (TESS) reverse shoulder arthroplasty: a prospective comparative non-randomised study. Int Orthop. 2014; 38: 1001–1006

5. von Engelhardt LV, Manzke M, Filler TJ, Jerosch J. Short-term results of the reverse Total Evolutive Shoulder System (TESS) in cuff tear arthropathy and revision arthroplasty cases. Arch Orthop Trauma Surg. 2015; 135: 897–904

6. Levy O, Copeland SA. Cementless surface replacement arthroplasty (Copeland CSRA) for osteoarthritis of the shoulder. J Shoulder Elbow Surg. 2004; 13: 266–271

7. Hammond G, Tibone JE, McGarry MH, Jun BJ, Lee TQ. Biomechanical comparison of anatomic humeral head
resurfacing and hemiarthroplasty in functional glenohumeral positions. J Bone Joint Surg. 2012; 94: 68–76

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