Originalarbeiten - OUP 11/2013

Möglichkeiten und Grenzen des „mobile bearing“ in der Primär- und Revisionsendoprothetik des Kniegelenks

Sowohl fixed bearing als auch mobile bearing zeigen Überlebensraten zwischen 95–98 % im 10-Jahres-Follow-up [8, 9, 10]. Bisher konnte jedoch im klinischen Verlauf nicht bewiesen werden, dass eines der beiden Systeme überlegen ist [11, 12]. Ein korrektes Alignement scheint ein entscheidendes Kriterium für die allgemeine Überlebensrate (90 %) zu sein. Bereits bei einer Achsabweichung > 4° in Richtung Varus oder Valgus kommt es zu einer deutlichen Senkung der Überlebensrate auf ca. 70 % [13, 14]. Beträgt die Achsabweichung postoperativ ±2, ist klinisch mit einem sehr guten Ergebnis zu rechnen [15]. In einem Cochrane-Review über den Zeitraum 1966–2003 konnten insgesamt nur 2 randomisierte Studien zur Funktion „mobile versus fixed bearing“ gefunden werden. Dabei zeigte sich das mobile bearing im Knee Society Score, Oxford Knee Score und in Schmerz-Scores etwas überlegen. Ein funktioneller Unterschied im Vergleich zum fixed bearing konnte jedoch nicht nachgewiesen werden [16].

Auch andere Literaturrecherchen konnten keinen entscheidenden Unterschied zwischen beiden Philosophien im Hinblick auf Kniegelenkbeweglichkeit, Knie-Scores und Überlebensrate im mittelfristigen Follow-up aufzeigen. Beide Designs sind bei korrekter Implantation in der Lage, ausgezeichnete langfristige Standzeiten und klinische Ergebnisse zu liefern [17, 18].

Grenzen

Grenzen für das mobile Gleitlager ergeben sich bei Vorliegen einer tibiofemoralen Instabilität nach Knieendoprothese, wobei ein Malalignement oder eine intraoperativ nicht korrigierte Instabilität als mögliche Versagensursachen gelten [19]. Frührevisionen infolge Luxation des mobile bearing sind bei Meniskallagern und a.p.-glide häufiger zu beobachten als bei Verwendung einer rotierenden Plattform und hier wiederum häufiger als beim fixed bearing. Klinisch und biomechanisch erscheinen jedoch die rotierende Plattform und ein konformes Design sinnvoller als Meniskallager und a.p.-glide [7, 20, 21].

Bei starker Achsdeviation, z.B. einer präoperativen Valgusachse > 20°, bei Insuffizienz der Kollateralbänder und bei Z.n. Achskorrekturen femoral wie tibial stößt das mobile bearing ohne weitere Stabilisierung an seine Grenzen. Hier ist mindestens ein Posterior-stabilized-Konzept zu wählen. Bei extremer präoperativer Achsabweichung kann mit einem sog. „varus-valgus-constrained“ Inlay eine Instabilität meist kompensiert werden. Bei vollständig insuffizientem Bandapparat, bei neurologischen Begleiterkrankungen (z.B. M. Parkinson, Ataxie, usw.) sowie bei altersbedingt extrem gangunsicheren Patienten sollte abhängig vom Befund ein Varus-valgus-constrained-Konzept oder achsgekoppelter Kniegelenkersatz gewählt werden.

Revisionsendoprothetik

Die 10-Jahres-Überlebensrate der Revisionsknieendoprothese ist mit 79 % deutlich schlechter als bei der Primärimplantation. Vor allem jüngere Patienten neigen auch bei einer Revisionsendoprothese frühzeitiger zur erneuten Lockerung [22]. Im Vergleich zur Primärprothetik liegen andere intraoperative Konditionen betreffend Knochenvitalität, Knochenverlust, Weichteilqualität, Bandverhältnisse, Landmarken, Gefäßversorgung und Patientenalter vor. In der Revisionsknieendoprothetik sind deshalb häufig lange intramedulläre Führungen und eine Zwangskopplung der Komponenten notwendig. Zunehmend finden modulare Systeme auch bei partiell gekoppelten und achsgekoppelten Prothesenkonzepten Einsatz [23, 24].

Die 10-Jahres-Überlebensrate für modulare Revisionssysteme konnte bei differenzierter Indikationsstellung auf bis zu 90 % gesteigert werden [25]. Speziell in der Revisionsendoprothetik hingegen ergeben sich durch die geringere Zwangskopplung bei der rotierenden Plattform deutliche Vorteile, jedoch ist auf ein ausreichendes Balancing des Streck-Beugespalts zu achten [26]. Meist ist der Einsatz von Augmenten zur Balancierung erforderlich (Abb. 4). Es wird vermutet, dass durch eine geringere Zwangskopplung bei rotierender Plattform eine längere Standzeit erreicht werden kann. Dieses ist jedoch noch durch Studien zu belegen. Die Verwendung einer posterior-stabilized Inlaykomponente ist bei medialer oder lateraler Bandinstabilität nicht ausreichend. Hier sind varus-valgus-constrained Komponenten indiziert. Bei vollständig insuffizientem Kapsel-Bandapparat kann ein achsgekoppelter Kniegelenkersatz erforderlich sein.

Fazit

In biomechanischen Untersuchungen ist die mobile Plattform nachweislich überlegen, wohingegen klinische Ergebnisse dies bisher nicht bestätigen konnten. Bei der mobilen Plattform ist eine geringere Flächenpressung als bei der fixierten Plattform möglich. Ein Malalignement oder eine intraoperativ nicht korrigierte Instabilität führen bei der mobilen Plattform zu einem erhöhten Luxationsrisiko [27]. Bei der mobilen Plattform ist die klinische Umsetzung der biomechanischen Vorteile erforderlich. Eine Verbesserung der Prothesenpositionierung, des Bandbalancing und der Achsausrichtung kann gegebenenfalls auch durch Verwendung der Navigation erreicht werden [28, 29]. Die rotierende Plattform, als aktuelle Ausführung der mobilen Plattform, kann im modularen System, z.B. varus-valgus-constrained oder posterior-stabilized, auch für primär nicht ausgleichbare Seitenbandverhältnisse und in Revisionsfällen eingesetzt werden [30]. Zusammenfassend gilt für das mobile
bearing in der Kniegelenkendoprothetik: so wenig Flächenpressung und Zwangskopplung wie möglich, so viel Stabilität wie sinnvoll. Die Anwendung ist wenig Fehler verzeihend und sollte bei vollständig insuffizientem Bandapparat vermieden und bei gangunsicheren Patienten kritisch überdacht werden.

 

Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors bestehen.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Hermann O. Mayr

OCM-Klinik

Steinerstraße 6

81369 München

hermann.mayr.ocm@gmx.de

Literatur

1. Stukenborg-Colsman C, Ostermeier S, Hurschler C, Wirth CJ. Tibiofemoral contact stress after total knee arthroplasty: comparison of fixed and mobile-bearing inlay designs. Acta Orthop Scand.; 2002; 73: 638–646.

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