Übersichtsarbeiten - OUP 11/2018

MPFL-Insuffizienz und Trochleadysplasie sollten zusammen korrigiert werden

Jörg Jerosch1, Pia Weskamp1, Lars Victor von Engelhardt2, 3

Zusammenfassung: Bereits bei der Erstluxation der Patella kommt es in über 90 % zu Rupturen des medialen patellofemoralen Ligaments (MPFL). Die Rekonstruktion des MPFL alleine bei einer vorliegenden Trochleadysplasie führt in der Hälfte der Fälle zu erneuten Luxationen und zu einem nicht zufriedenstellenden Ergebnis für den Patienten. Beim Vorliegen einer höhergradigen Trochleadysplasie sollte diese deshalb gleichzeitig adressiert werden. Wir führen seit 2010 bei vorliegender Trochleadysplasie und MPFL-Ruptur einen Kombinationseingriff durch. Unsere Technik und Ergebnisse werden im vorliegenden Artikel dargestellt.

Schlüsselwörter: Trochleadysplasie; mediales patellofemorales
Ligament; patellofemorale Instabilität

Zitierweise
Jerosch J, Weskamp P, von Engelhardt LV: MPFL-Insuffizienz und Trochleadysplasie sollten zusammen korrigiert werden.
OUP 2018; 7: 556–568 DOI 10.3238/oup.2018.0556–0568

Summary: Following the first patellar dislocation, the medial patellofemoral ligament (MPFL) is torn in more than 90 % of the cases. However, an isolated MPFL reconstruction in the presence of a severe dysplasia of the trochlea leads to a recurrent patella dislocation in up to 46 % of the cases and to a relatively poor clinical outcome. Therefore, a severe dysplasia of the trochlea has to be addressed together with the MPFL reconstruction. Since 2010 we perform a combined procedure, if trochlear dysplasia and MPFL tear are present. We present our technique and results.

Keywords: trochlear dysplasia; medial patellofemoral ligament; patellofemoral instability

Citation
Jerosch J, Weskamp P, von Engelhardt LV: MPFL-insufficiency and trochlea dysplasia should be corrected together.
OUP 2018; 7: 556–568 DOI 10.3238/oup.2018.0556–0568

1 Abteilung für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin, Johanna-Etienne-Krankenhaus, Neuss

2 Fakultät für Gesundheit, Private Universität Witten/Herdecke

3 Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Sportmedizin, Katholisches Karl-Leisner Klinikum Kleve

Einleitung

Wie entscheidend Trochleadysplasie und Patellainstabilität zusammen gehören, zeigen bereits die frühen Arbeiten von Dejour et al. [10]; er zeigte bei Patienten mit wiederholten Luxationen, dass in bis zu 85 % Prozent einer Trochleadysplasie zu finden sind. Bei einem alleinigem MPFL-Re-Attachment, trotz zugrunde liegender Trochleadysplasie kommt es nach etwas mehr als 3 Jahren in 46 % der Fälle zu Rezidivluxationen [2]. Eine Metaanalyse mit mehr als über 25 Studien zum isolierten MPFL-Ersatz ergab, dass bei 32 % anhaltende Instabilitätsbeschwerden mit einem entsprechend positiven Apprehensiontest bestehen [41], welche auf nicht adressierte Trochleadysplasien zurückzuführen waren. Daneben ist auch an die Gefahr fortschreitender degenerativer Gelenkschäden zu denken, da als Hauptursache femuropatelarer Arthrosen, die prothesenpflichtig werden, Trochleadysplasien anzusehen sind [21].

Die gebräuchlichste Einteilung der Trochleadysplasie geht auf Dejour et al. [10] zurück und unterteilt die Schweregrade in die Typen A–D, die auf transversalen MRT- oder CT-Schichten am besten darstellbar sind. Sie können auch auf einer streng seitlich eingestellten Röntgenaufnahme erkannt werden, auf welcher die dorsalen Anteile der medialen und lateralen Femurkondyle genau übereinander liegen: als sog. Crossing Sign, als supratrochleärer Sporn und/oder als Doppelkontur.

Der Typ A ist in der Schnittbildgebung durch einen erhaltenen, aber abgeflachten Sulkuswinkel > 145° und in der seitlichen Röntgenaufnahme durch ein Crossing Sign gekennzeichnet. Der Typ B zeigt eine flache oder beginnend konvexe Trochlea in der Schnittbildgebung und einen supratrochleären Sporn im Röntgen. Bei den Typen C und D besteht zusätzlich eine Asymmetrie und zunehmende Hypoplasie der medialen zur lateralen Trochleafacette. Beim Typ C besteht eine prominente Konvexität der lateralen Femurkondyle, die als Doppelkontur im Röntgen zu sehen ist. Beim Typ D zeigt sich neben der Doppelkontur ein supratrochleärer Sporn. An dieser Stelle bildet die vergleichsweise kräftige laterale Kondyle gegenüber dem medialen Anteil eine regelrechte Klippe aus (Abb. 1).

Weitere, im Rahmen der Patellainstabilität zu beurteilende Befunde sind die Höhe der Patella, z.B. mit dem Insall-Salvati-Index [20] sowie der TT-TG-Abstand (tibial tuberosity to trochlear groove) [39]. Zudem kann ein vergrößerter femoraler Antetorsionswinkel eine Lateralisation sowie einen Tilt der Patella bewirken und somit eine derotierende Osteotomie erforderlich machen [18]. Ähnlich kann eine vermehrte Tibiatorsion eine Lateralisierung der Patella nach sich ziehen [54].

Die bei einer Instabilität der Patella meist an der femoralen Insertion zu beobachtenden MPFL- Rupturen [30] und insbesondere die wiederum recht häufigen Knorpelschäden sind im MRT vergleichsweise sicher diagnostizierbar [51].

Typisch sind die folgenden klinischen Untersuchungsbefunde:

Wenn der sitzende Patient eine aktive Extension durchführt, zeigt sich in strecknahen Positionen ein superolaterales Herausgleiten der Patella aus dem knöchernen Sulcus (J-Sign).

Der Einfluss der Trochleadysplasie an einer Instabilität der medialen Bandstrukturen lässt sich durch passive Lateralisation der Patella in verschiedenen Beugegraden am locker hängenden Bein im Seitenvergleich gut überprüfen. Die Patella sollte bei dieser Untersuchung zwischen 20° und 30° Flexion nicht mehr als die Hälfte ihrer Breite lateralisierbar sein [43].

Eine Muskelanspannung im Sinne einer Abwehrreaktion bezeichnet man als positiven Apprehensiontest.

Zeigt sich eine vermehrte Lateralisation und ein positiver Apprehensiontest zwischen 30° und 60° Flexion, deutet dies auf eine zusätzliche Insuffizienz des knöchernen Gleitlagers und in seltenen Fällen auch auf einen Rotationsfehler hin.

Zusammen mit den bildgebenden Befunden einer schweren Dysplasie (Typ B bis D) deuten entsprechende klinische Befunde auf die Notwendigkeit einer knöchernen Containmentanpassung hin. Lippacher et al. [23] haben gezeigt, dass die Inter-Observer-Reliabilität bei der Klassifikation nach Dejour für die Diskriminierung zwischen gering- und hochgradigen Dysplasien ausgesprochen hoch ist. Deshalb reicht es im klinischen Alltag hinsichtlich der Schnittbildgebung bei der Entscheidungsfindung, nur zwischen einer leichten (Typ A) und einer schweren Dysplasie (Typ B bis D) zu diskriminieren.

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