Übersichtsarbeiten - OUP 10/2018

Neuropathischer Schmerz in der muskuloskelettalen Schmerztherapie
Ein UpdateAn update

Christian Geber1

Zusammenfassung: Die Prävalenz neuropathischer Schmerzsyndrome beträgt ca. 3–8 % in der Bevölkerung und umfasst sowohl periphere Nervenschäden (Mono-/Polyneuropathie, Radikulopathie/Plexopathien) als auch zentrale Ursachen nach spinalen oder zerebralen Läsionen. Die Abgrenzung gegenüber den weitverbreiteten muskuloskelettalen Schmerzen (Prävalenz ca. 30–40 %) kann eine diagnostische Herausforderung darstellen, besonders im Falle von ausstrahlenden myofaszialen Schmerzen. Sekundär myofasziale Schmerzsyndrome können sich hierbei auch bei primär schmerzhaften oder schmerzlosen neurologischen Grunderkrankungen entwickeln (Polyneuropathie, M. Parkinson, Multiple Sklerose). Der Artikel liefert eine aktuelle Übersicht zum Assessment neuropathischer Schmerzen.

Schlüsselwörter: neuropathisch, myofaszial, Schmerz,
diagnostisches Vorgehen, Therapie

Zitierweise
Geber C: Neuropathischer Schmerz in der muskuloskelettalen Schmerztherapie. Ein Update.
OUP 2018; 7: 489–495 DOI 10.3238/oup.2018.0489–0485

Summary: The prevalence of neuropathic pain is about 3–8 % [9] in the general population and comprises peripheral nerve lesions such as mono- and plexopathies as well as central causes after spinal or cerebral lesions. The differentiation between even more common musculoskeletal pain syndromes (prevalence about 30–40 %) can be challenging, especially in case of radiating myofascial pain. Secondary myofascial pain syndromes may develop as consequence of primary painful or painless neurological diseases such as polyneuropathies, M. Parkinson or multiple sclerosis. The present review gives a recent overview over the assessment of neuropathic pain.

Keywords: neuropathic, myofascial, pain, diagnostic work-up, therapy

Citation
Geber C: Neuropathic pain in musculoskeletal pain therapy. An update.
OUP 2018; 7: 489–495 DOI 10.3238/oup.2018.0489–0485

1 DRK Schmerz-Zentrum Mainz

Definition
Neuropathischer Schmerz

Neuropathischer Schmerz ist definiert als direkte Folge einer Läsion oder Erkrankung des somatosensorischen Nervensystems [16]. Der Nachweis einer Schädigung des somatosensorischen Systems ist somit eine Grundvoraussetzung zur Einordnung neuropathischer Schmerzen, bedeutet aber nicht, dass jede Läsion oder Erkrankung des somatosensorischen Systems mit neuropathischen Schmerzen einhergeht.

Im Gegensatz zu nozizeptiven Schmerzen entstehen neuropathische Schmerzen nach vorausgehender Nervenschädigung, beispielsweise durch unphysiologische (ektope) Aktivierung der nozizeptiven Bahnen in ihrem peripheren oder zentralen Verlauf.

Diagnostisches Vorgehen bei neuropathischen Schmerzen

Für die Einordnung von Schmerzen als neuropathisch wurde einhergehend mit der o.g. Definition auch ein Algorithmus zum diagnostischen Vorgehen erstellt, der kürzlich aktualisiert wurde (Abb. 1) [4, 16]. Die Kriterien für neuropathischen Schmerz sind erfüllt, wenn die Anamnese auf eine Läsion oder Erkrankung des somatosensorischen Systems hindeutet, das Verteilungsmuster der Schmerzen neuroanatomisch plausibel ist und dies in der klinisch-neurologischen Untersuchung unterstützt durch apparative Diagnostik nachgewiesen werden kann (Abb. 1). Das strukturierte Vorgehen wird nachfolgend erläutert.

Fragebögen zur Abschätzung der neuropathischen Schmerzkomponente

In der klinischen Praxis ist es wichtig, die Schmerzausbreitung, Qualität und Intensität der Schmerzen zu erfassen. Hierzu eignen sich Screening-Fragebögen wie z.B. painDETECT, LANSS (Leeds Assessment of Neuroapathic Symptoms and Signs), DN4 (Douleur Neuropathique en 4 questions) und den NPQ (Neuropathic Pain Questionnaire) [2, 5, 11].

Aus den Angaben zu Schmerzqualität und -intensität ergeben sich erste Hinweise auf eine neuropathische Schmerzkomponente. Fragebögen eignen sich auch für die Verlaufsdokumentation.

Zur Erfassung der Schmerzintensität wird meist eine Numerische-Rating-Skala (NRS) verwendet. Neben der aktuellen Schmerzstärke ist es sinnvoll, auch den maximal erlebten Schmerz bzw. einen Durchschnittswert angeben zu lassen (z.B. innerhalb der vergangenen 24 h, Zeitintervalle > 4 Wochen nicht sinnvoll). Bei episodisch auftretenden Schmerzen (z.B. bei der Trigeminusneuralgie) ist es ähnlich wie auch bei Kopfschmerzen sinnvoll, die Zahl der Tage mit Schmerzen oder die Zahl der Attacken pro Tag zu erfassen und mittels Schmerztagebuch zu dokumentieren.

Schmerzdeskriptoren wie „brennend“, „heiß“, „elektrisierend“, „einschießend“, „nadelstichartig“ sowie nicht-schmerzhafte Beschreibungen wie „taub“, „kribbeln“ oder „Ameisenlaufen“ deuten auf eine neuropathische Schmerzkomponente hin, sind aber nicht beweisend. Typisch für neuropathische Schmerzen ist das Nebeneinander von sensiblen Negativ- (z.B. Taubheitsgefühl) und Positiv-Symptomen (z.B. brennende Spontanschmerzen, evozierte Schmerzen bei Berührung etc.). Die Kombination mehrerer solcher Deskriptoren hat einen diskriminativen Charakter und findet Berücksichtigung in den Screening-Fragebogen [4].

Eine Ganzkörperzeichnung erlaubt eine orientierende Abschätzung der Lokalisation und der Ausstrahlung der Symptome. Mit painDETECT (Abb. 2) liegt ein in vielen Sprachen validierter Fragebogen vor. Seine Sensitivität und Spezifität liegt bei über 80 %. Dieser Fragebogen wird vom Patienten ausgefüllt und erfasst Schmerzintensität, -muster und -qualität.

Zusammenfassend sollen die Screening-Fragebögen bei Hinweisen auf neuropathischen Schmerz den Kliniker veranlassen, die weitere klinische und apparative Diagnostik einzuleiten [4, 6, 16].

Allgemeine Anamnese

Neben der Schmerzanamnese z.B. mithilfe der o.g. Fragebögen muss zusätzlich eruiert werden, ob Hinweise für eine Läsion oder Erkrankung des somatosensorischen Systems vorliegen (Abb. 1). Häufige Auslöser für eine Neuropathie und somit Voraussetzung für das Vorhandensein neuropathischer Schmerzen sind in der Tabelle 1 aufgelistet. Ergeben sich anhand der allgemeinen und der Schmerzanamnese Anhaltspunkte für das Vorliegen neuropathischer Schmerzen, kann die Arbeitshypothese „möglicher neuropathischer Schmerz“ gestellt werden.

Das Ziel der nachfolgenden klinischen Untersuchung und apparativer Zusatzdiagnostik (Tab. 2) besteht im Nachweis der Nervenschädigung und der Eingrenzung der Lokalisation.

Die Ätiologie der neuronalen Schädigung kann dabei trotz umfangreicher Diagnostik nicht in allen Fällen herausgefunden werden (z.B. 20–30 % unklare Ätiologie bei Polyneuropathien [3]). Dies ist für die Klassifizierung neuropathischer Schmerzen nicht zwingend erforderlich, sollte aber aufgrund möglicher kausaler Behandlungsansätze angestrebt werden (z.B. Erkennen eines zugrundeliegenden Diabetes bei schmerzhafter Small-fiber Neuropathie).

Klinische Untersuchung

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