Übersichtsarbeiten - OUP 03/2017

Operative Therapiekonzepte bei degenerativen Erkrankungen der Halswirbelsäule

Schon 1958 wurde erstmalig von Smith und Cloward die anteriore zervikale Diskektomie und Fusion beschrieben [4, 32]. Dieses Verfahren gilt heute als Goldstandard bei der Versorgung der häufigsten Pathologien an der HWS. Über die Jahre wurde das Verfahren weiterentwickelt, sodass neben zunächst autologem Knochen, Polymethylmethacrylat-Plomben (PMMA-Zement), Titankörbchen, Karbon-Käfige und – mittlerweile weitverbreitet – Kunststoffimplantate (PEEK, Polyethyletherketon) intervertebral zur Fusion eingebracht werden (Abb. 1). Hier gibt es eine Vielzahl von Implantaten, die von verschiedenen Herstellern mit kleinen Modifikationen angeboten werden und gute radiologische Fusionsraten und klinische Ergebnisse erzielen [15]. Gegebenenfalls muss additiv zur Interkorporal-Cage-Implantation auch eine ventrale Plattenosteosynthese erfolgen. Diese ist im Wesentlichen bei Vorliegen einer Instabilität im operierten Segment, reduzierter Knochenqualität und einer mehretageren Pathologie notwendig.

Arthroplastie

Die Implantation einer Bandscheibenendoprothese ist im Vergleich zur alt hergebrachten ACDF ein jüngeres Verfahren zum Erhalt der Beweglichkeit. Dabei soll auch das Risiko einer Anschlussdegeneration der Nachbarsegmente reduziert werden. Die Indikation zur zervikalen Arthroplastie ist nur bei geringen degenerativen Veränderungen indiziert und bleibt somit vorwiegend jüngeren Patienten vorbehalten. Bislang gibt es noch keine Langzeitergebnisse zu dieser Methode. Man konnte aber nachweisen, dass die klinischen Ergebnisse – verglichen mit der klassischen Fusion – gleichwertig bzw. sogar leicht überlegen sind [3, 22, 39, 41], dies jedoch bei etwas höheren Kosten [28].

Wirbelkörperersatz (WKE)

Im Falle einer Multisegmentversorgung kann anstelle von mehreren ACDFs auch ein Wirbelkörperersatz notwendig werden. Zum Beispiel kann dieser erforderlich sein, wenn die zur SKS führende Raumforderung sich vom Bandscheibenfach bis weit in kraniokaudaler Richtung dorsal des Wirbelkörpers ausdehnt. Der Zugangsweg ist simultan dem der ACDF. Bei dem Verfahren werden beide an den Wirbelkörper angrenzenden Bandscheiben entfernt und der dazwischenliegende Wirbelkörper reseziert. Der Ersatz erfolgt dann mittels Implantation von autologem Knochen (z.B. Beckenkamm-Interponat), Titan- oder PEEK-Implantaten (Abb. 2) [29]. Eine klare Überlegenheit einer Multilevel-ACDF oder eines WKE kann aktuell noch nicht nachgewiesen werden, da bislang keine randomisierten Daten verfügbar sind. Lediglich in einer kleinen Zahl von retrospektiven Arbeiten und einigen Meta-Analysen lässt sich ein Trend ausmachen, der hinsichtlich der chirurgischen Komplikationen und dem postoperativen Alignement die Mulitlevel-ACDF leicht bevorzugt sieht [10, 30, 37, 38].

Dorsale Operation

Laminoplastie

Bereits in den 1980er Jahren wurde erstmalig von japanischen Chirurgen das Verfahren der Laminoplastie beschrie ben. Es wurde als wirkungsvolle Therapie bei kongenitalen zervikalen Spinalkanal-Stenosierungen publiziert [12, 16]. Ziel dieses OP-Verfahrens ist eine Dekompression des Spinalkanals durch Erweiterung des Wirbelbogens, ohne dabei eine postoperativer Kyphose oder Instabilität zu generieren. Als nachteilig sind hierbei die schwierige OP-Technik, die eingeschränkte Möglichkeit zur Dekompression der Neuroforamina, das potenzielle Risiko einer neurologischen Verschlechterung und die höheren Kosten für etwaige Osteosynthesematerialien zu nennen [5].

Laminektomie

Bei der dorsalen Dekompression der Halswirbelsäule ist das Entfernen der Laminae eine Alternative zum o.g. Verfahren. Vorwiegend findet dies bei langstreckigen Dekompressionen (> 3 Segmente) seine Anwendung. Hier besteht jedoch bei guten Möglichkeiten zur Dekompression immer das Risiko einer Instabilität und einer Kyphose in der HWS [36]. Aus diesem Grund gibt es eine technische Modifikation (überspringende Laminektomie), bei der nicht über die gesamte Strecke die Wirbelbögen entfernt werden. Es verbleiben einzelne „übersprungene“ Segmente (Teile der Laminae) unter Erhalt der Muskelansätze an der Lamina sowie an den Prozessus spinosi [40].

Schlussendlich kann man zusammenfassen, dass bislang kein Vorteil für eines der o.g. Verfahren (Laminoplastie oder ((überspringende)) Laminektomie) zur Behandlung von degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule herausgearbeitet werden konnte [2, 17].

Fusion

Neben der alleinigen dorsalen Dekompression an der HWS steht die Dekompression mit instrumentierter Fusion (Abb. 3). Diese ist sicherlich gängiger als die reine Laminektomie. Hierfür bedarf es einer gewissen Expertise des Operateurs, um die Massa lateralis- oder Pedikelschrauben einzubringen. Mit der Fusion verliert der Patient die Beweglichkeit in den versorgten Segmenten. Es wird jedoch eine Kyphosierung und Instabilität verhindert und eine Verbesserung des Alignements bei vorbesehender Kyphose ermöglicht [1, 23]. Der Einsatz von Navigationssystemen kann hierbei eine Hilfestellung geben.

Komplikationen

Neben den allgemeinen chirurgischen Komplikationen (Blutung, Wundheilungsstörung, Infektion usw.) sind spezifische Komplikationen im Bereich der HWS die Dysphagie, der Nackenschmerz, die C5-Parese sowie die Pseudarthrose bei Nicht-Fusion.

Für den ventralen Zugang muss die Schädigung des Tractus sympathikus (Horner-Syndrom) und die meist einseitige Parese des Nervus recurrens erwähnt werden. Die Rekurrenzparese ist bei einem rechtsseitigen Zugang etwas häufiger belegt als bei einem linksseitigen Zugang, wobei das Risiko durch die Reduktion des Cuff-Drucks am Endotrachealtubus zusätzlich reduziert werden kann [33]. Seltene Verletzungen sind die Schädigung von Ösophagus und Trachea sowie der Arteria vertebralis (< 0,1 %) und der Arteria carotis [11, 20]. Bei einer Operation mit dorsalem Zugang zur Fusion muss das Risiko der Non-Fusion als auch das Risiko einer Verletzung der Arteria vertebralis hervorgehoben werden. Darüberhinaus muss bei der dorsalen Operation die postoperative C5-Parse (3,4 %) hervorgehoben werden. Diese ist hier im Vergleich zum ventralen Vorgehen mit einem etwas höheren Risiko behaftet [25, 31]

Fazit/Aussicht

Die operative Therapie der Halswirbelsäule bei degenerativen Prozessen gehört heutzutage zu den gängigen Routinebehandlungen. Die jüngsten Entwicklungen machen die Operationsverfahren immer sicherer und effektiver. Sicherlich muss man aber auch hier immer im Blick haben, dass das postoperative Ergebnis negativ beeinflusst sein kann durch eine bestehende neurologische Störung, ein höheres Lebensalter, lange bestehende Beschwerden, schlechte Mobilität und Gangunsicherheit, Rauchen sowie eine psychiatrische Komorbidität [26, 35].

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