Übersichtsarbeiten - OUP 07-08/2016

Organisatorische Einflüsse auf das sonografische Screening der Neugeborenenhüfte

Die aktuelle Entwicklung von Strukturveränderungen wird durch den Vergleich der Geburten im LKH-Salzburg mit der Anzahl der durchgeführten Hüftsonografien dargelegt (2008–2015). Durch die Zuweisungszahlen, Befragung von beteiligten Berufsgruppen im Krankenhaus (Orthopäden, Kinderärzte und Pflege) werden mögliche Ursachen für den Strukturwandel erhoben.

Im Sinne einer Anmerkung wird auch noch eine in den letzten Monaten (außerhalb des Untersuchungszeitraums) beobachtete Häufung von Behandlungsfällen aufgezeigt.

Die erhobenen Informationen werden als Ausgangspunkt für die zukünftige Entwicklung des sonografischen Screenings der Neugeborenenhüfte unter der Schirmherrschaft des neuen Fachs „Orthopädie und Traumatologie“ in Österreich zur Diskussion gestellt.

Ergebnisse

Erste Ergebnisse
aus dem LKH-Salzburg

In einer ersten Veröffentlichung der Salzburger Daten des sonografischen Screenings der Neugeborenenhüfte aus dem Jahr 1987 wurden 3047 Neugeborene nachuntersucht. Dabei wurde bei 1,43 % eine Hüftdysplasie ? IIc nach Graf diagnostiziert. Bei 0,57 % wurde gleichzeitig eine klinische Pathologie der Hüftdysplasie dokumentiert, während bei 0,86 % der untersuchten Hüften – das sind 60,14 % aller Patienten mit sonografisch pathologischer Hüfte – keine klinischen Zeichen gefunden wurden. In der Schlussfolgerung wird festgehalten, dass nur mit Hilfe der Sonografie in diesen Fällen die Hüftdysplasie diagnostiziert werden konnte [9].

In einer weiteren Untersuchung von 1990 werden bereits 8221 Neugeborene nachuntersucht. Der Hüfttyp I wird bei 72,52 % und der Typ IIa bei 25,64 % diagnostiziert. Bei 1,84 % der Patienten wird eine Hüftdysplasie Typ ? IIc diagnostiziert, wobei sich nur bei zwei Drittel davon auch klinische Zeichen einer Hüftdysplasie finden lassen [10].

In beiden Studien wird zusammengefasst, dass die Sonografie der klinischen Untersuchung weit überlegen ist. Entsprechend der aufgezeichneten Befunde geht die klinische Diagnostik der Hüftdysplasie bei Neugeborenen zunehmend verloren. Kaum mehr werden in den Befunden die klinischen Zeichen nachvollziehbar dokumentiert.

Aktuell erhobene retrospektive
Daten aus dem LKH-Salzburg

Im Untersuchungszeitraum der letzten 15 Jahre (2000–2015) konnte nach Durchführung der Neugeborenen-Sonografie bei 96,4 % (n–564) aller Hüftdysplasien (Graf Typ IIc bis III) durch konservative Behandlungsmaßnahmen mittels Pavlik-Bandage eine Normalisierung der Hüftgeometrie nach sonografischen Kriterien erreicht werden (in wenigen Ausnahmen wurde wegen Complianceproblemen ein Fettweisgips angelegt).

Bei 3,6 % n–21 wurde eine luxierte Hüfte (Graf Typ IV) diagnostiziert. Durch konservative Maßnahmen mittels Fettweisgips-Anlage und nachfolgender Pavlik-Bandage konnte die Reposition und Ausheilung erreicht werden. Nur bei 10 Patienten wurde eine offene operative Hüftreposition notwendig.

Bei Institutionalisierung des sonografischen Screenings der Neugeborenenhüfte im LKH-Salzburg ab 1988 wurden anfänglich sehr hohe Behandlungszahlen von über 140 Patienten pro Jahr auffällig. Diese Jahreswerte nahmen rasch ab und bewegen sich seit vielen Jahren auf einem konstanten Niveau von 30–40 Behandlungen pro Jahr mittels Pavlik-Bandage bei einer Geburtenrate von ungefähr 2500 Kindern pro Jahr im LKH-Salzburg. Es sind damit 1402 Pavlik-Bandagen-Behandlungen dokumentiert (bei < 5 % kam eine Graf-Mittelmeier-Bandage zur Anwendung) (Abb. 1–2).

Die radiologischen Behandlungsergebnisse nach Steh- und Gehbeginn (Kontrolluntersuchung mit 21,6 Lebensmonaten) der konservativen Maßnahmen (Pavlik-Bandage/Fettweisgips) der letzten 10 Jahre zeigen einen Pfannendachwinkel nach Hilgenreiner (Azetabularindex – AC-Winkel) von rechts 23,7° und links von 23,8°. Der Center-edge (CE)-Winkel beträgt rechts 15,4° und links 14,0° (n–174) [11]. Entsprechend der Tabelle nach Tönnis ist damit zu diesem Zeitpunkt eine leichte Dysplasie weiterhin gegeben [12]. Es ist dabei darauf hinzuweisen, dass in dieser Gruppe alle Patienten nach einer geschlossenen und offenen Hüftreposition inkludiert sind.

Für die genannten Behandlungsergebnisse war eine Fettweisgips-Behandlung von 1,9 Monaten (n–24) und eine Pavlik-Bandagen-Anwendung von 2,2 Monaten (n–250) notwendig (Abb. 3, Abb. 5).

Durch die Einführung der Hüftsonografie wurde die Anzahl der notwendigen offenen (operativen) Hüftrepositionen bei angeborener Hüftluxation in den letzten 15 Jahren auf 1,7 % (n–10) der angeborenen Hüftdysplasien (Graf Typ ? IIc) gesenkt. Wurde vor der Einführung der Hüftsonografie (1960–1979) pro Jahr im LKH-Salzburg noch bei 4,4 Patienten pro Jahr eine offene Hüftreposition notwendig, so zeigt sich mit der Einführung der Hüftsonografie (1980– 1989) bereits eine Reduktion auf 3,5 Patienten pro Jahr [9, 10]. Die Daten für den Zeitraum von 1990–2000 konnten nicht vollständig erhoben werden und werden deshalb nicht dargestellt.

Alle verfügbaren Informationen unterstützen die aufgezeigte Entwicklung der Reduktion notwendiger operativer Behandlungen. In den letzten 15 Jahren (2002–2015) wurde insgesamt nur bei 10 Patienten (0,4 Patienten/Jahr) eine offene Hüftreposition notwendig. Alle weiteren Patienten konnten durch konservative Maßnahmen zur Ausheilung gebracht werden (n–575) (Abb. 4).

Außeneinflüsse auf das
sonografische Screening
der Neugeborenhüfte

Die zunehmende Anzahl der ambulanten Geburten entzieht Neugeborene der orthopädischen Grunduntersuchung im LKH-Salzburg. Die verpflichtende Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes ermöglicht zurzeit nur noch an 4 Tagen pro Woche die Untersuchung zum vereinbarten Zeitpunkt. Neue Pflegerichtlinien zur Verbesserung der Mutter-Kind-Beziehung mit der Vorstellung der Neugeborenen erst ab dem 3. Lebenstag verhindern, bei einer durchschnittlichen stationären Verweildauer von 2,6 Tagen, eine lückenlose orthopädische Untersuchung.

Nach vielen Jahren der konsequenten Untersuchung aller Neugeborenen durch die Orthopäden zeigt ein Abgleich der Neugeborenen-Sonografiedaten bei den Geburten von 2015 eine fehlende orthopädische Neugeborenenuntersuchung von 36 % im LKH-Salzburg.

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4