Übersichtsarbeiten - OUP 07-08/2016

Organisatorische Einflüsse auf das sonografische Screening der Neugeborenenhüfte

Eine Anfrage der GKK (Gebietskrankenkasse) wegen vermehrter Abrechnungen von Neugeborenuntersuchungen im ambulanten Bereich bestätigt diesen Trend. Diese Anfrage weist aber darauf hin, dass die Neugeborenen das Untersuchungsangebot im ambulanten Bereich erhalten.

Ein großer Anteil der Neugeborenen wird dabei von den Kinderärzten im Rahmen der Mutter-Kind-Pass-Untersuchung untersucht. Die aktuellen Zuweisungen aus dem ambulanten Bereich mit der Diagnose „Hüftdysplasie“ stammen daher zunehmend von den Kinderärzten. Aussagekräftige Zahlen dazu liegen noch nicht vor, da dieser Trend in den letzten 3 Jahren schleichend eingesetzt hat.

Die Anzahl der zu behandelnden kongenitalen Hüftdysplasien lässt noch keinen Rückschluss auf die neue Entwicklung zu (Abb. 1). Eine mehrmonatig verzögerte Diagnostizierung einer luxierten Hüfte wurde im letzten Jahr einmal zur Behandlung aus dem ambulanten Bereich vorgestellt. Eine verzögerte Patientenvorstellung (> 6. Lebenswoche) mit der Diagnose „Hüftdysplasie“ (Graf Typ IIc bis III) oder einer insuffizienten Vorbehandlung wird in Einzelfällen registriert. In der eigenen Behandlungsstatistik der letzten 8 Jahre folgt die Reduktion der Neugeborenen-Sonografie im Krankenhaus dem Trend einer reduzierten Hüftdysplasiebehandlung trotz leicht steigender Anzahl von Geburten (Abb 1–2). Eine Aussage zu den verbleibenden 36 % der nicht im Krankenhaus untersuchten Neugeborenen ist mit den bisher vorliegenden Daten nicht möglich.

Ein Abweichen vom bisherigen Standard mit verzögerter Erstuntersuchung ist zu beobachten und wir nähern uns damit dem Vorgehen in Ländern, die eine Untersuchung erst ab der 6. Lebenswoche fordern [7, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20].

Aktuelle Besonderheit

Die aktuellsten Behandlungsdaten der ersten 3 Monate vom Jahr 2016 (nicht Teil der vorherigen Behandlungsstatistik) stellen eine besondere Situation dar, die einer näheren Betrachtung bedarf:

Innerhalb weniger Wochen wurden 6 Säuglinge mit einer instabilen Hüfte (n–3) oder Hüftluxation (n–3) (Graf Typ III b und IV) vorgestellt, die einer Overheadextension bedürfen. Von den 6 Patienten ist ein Patient aus einem anderen Bundesland, und bei einem Patienten wurde bereits in der Pränataldiagnostik die Verdachtsdiagnose der Arthrogrypose gestellt, die sich später bestätigte. Ein weiterer Patient zeigt neben der kongenitalen Hüftluxation auch einen Klumpfuß bds.. Eine vergleichbare Häufung von notwendigen Overheadextensionen wurde bisher nicht beobachtet. Nur auf einem vorliegenden Foto von 1978 sind 3 Kinder gleichzeitig mit einer Overheadbehandlung abgebildet. Hinweise auf eine Gemeinsamkeit für diese Häufung liegen bisher nicht vor.

Diskussion

Die Einführung der Neugeborenen-Sonografie der Hüfte hat zu einer anfänglichen Übertherapie geführt. Dies lässt sich aus den Zahlen der pro Jahr durchgeführten Behandlungen mit Pavlik-Bandagen ablesen (Abb. 1). Es kam aber rasch zu einer „Normalisierung“ der Behandlungszahlen, die sich über viele Jahre konstant nachvollziehen lässt.

Parallel dazu hat die Anzahl der notwendigen operativen Hüftrepositionen drastisch abgenommen. Ein Hinweis auf signifikante Abwanderungen oder Zuwanderungen von Patienten konnte nicht beobachtet werden.

Nachdem ab 2000 wieder alle geschlossenen und offenen Hüftrepositionen komplett erhoben werden konnten, repräsentieren diese Daten die Ergebnisse einer konsequenten Neugeborenensonografie. Diese massive Reduktion an operativen Hüftrepositionen wurde vom Erstautor dieses Beitrags bereits an der Universitätsklinik in Innsbruck beobachtet und unter dem Aspekt der Kosteneffektivität als Coautor veröffentlicht [4].

Welche Auswirkungen die Verschiebung des Neugeborenen-Screening-Programms der Hüfte von der Klinik in den ambulanten Bereich nach sich zieht, kann derzeit trotz der aufgezeigten Fälle nicht beurteilt werden.

Es zeigt sich eine kontinuierliche Reduktion der Behandlungszahlen im LKH-Salzburg bei leicht steigenden Geburtenraten und es bleibt zu hoffen, dass die notwendigen Behandlungen im ambulanten Bereich konsequent und qualitativ durchgeführt werden.

Die aktuellsten Ergebnisse von 2016, die nicht mehr in der dargestellten Statistik aufscheinen, zeigen eine bisher nie beobachtete Häufung an notwendigen Overhead-Extensionen. Bei diesen Patienten kann aber kein Versagen des Abklärungsalgorithmus angeschuldigt werden. Auch wenn die ersten Fälle mit verzögertem Therapiebeginn bei fehlendem Neugeborenen-Screening im Krankenhaus bereits behandelt werden.

Statement: Es darf festgestellt werden, dass die Neugeborenensonografie der Hüfte zu einer verbesserten Behandlung der angeborenen Hüftdysplasie im Neugeborenenalter geführt hat. Diese Erfahrung und das gewonnene Wissen haben aber auch zu einer differenzierten Diagnostik der dysplastischen Hüfte im Erwachsenenalter geführt und in einer vermehrten operativen Korrektur der Hüftgeometrie gemündet.

In den letzten Jahren rücken
PINCER- und CAM-Impingement in das Zentrum des Interesses bei der Behandlung der Hüfte. Vielleicht ist es nur ein eigenes Thema einer jungen Orthopädengeneration, die neue Schwerpunkte für sich sucht und findet, da das Thema der Hüftdysplasie im Behandlungsalgorithmus und der wissenschaftlichen Aufarbeitung zum Standard geworden ist. Diese Hinwendung zu einem neuen Thema sollte die erreichten Erfolge der Hüftdysplasiebehandlung nicht gefährden.

Den aufgezeigten ersten Ansätzen, die aus organisatorischen Überlegungen das Thema der Hüftdysplasie in den Hintergrund drängen, ist daher entschieden entgegen zu wirken.

Zusammenfassung

Bei der Neugeborenen-Sonografie der Hüfte gehörte das LKH-Salzburg ab 1984 zu den Vorreitern. Sehr rasch wurde 1988 die lückenlose Neugeborenen-Untersuchung standardisiert und flächendeckend durch die Orthopäden eingeführt. Dieses flächendeckende Untersuchungsangebot im Spital wird nun nach etwa 67.500 Patienten und 1402 Behandlungen sukzessive durch Außeneinflüsse verlassen und die Untersuchung in den ambulanten Bereich verlagert. Die Verringerung der stationären Aufenthaltsdauer, Triage der ärztlichen Tätigkeiten und der Entwicklung neuer Schwerpunkte bei der Betreuung von Neugeborenen ist dafür verantwortlich. Der zu beobachtenden Reduktion der Untersuchungszahlen im Krankenhaus von 36 % muss ein besonderes Augenmerk geschenkt werden, da erste Einzelfälle mit Verzögerung im Behandlungsalgorithmus beobachtet wurden. Der hohe Standardisierungsgrad der Hüftdysplasiebehandlung hat die notwendigen operativen Behandlungen erfolgreich auf 0,4 operative Eingriffe pro Jahr reduziert. Wenn sich nun die junge Orthopädengeneration neuen Themen wie dem Hüftimpingement zuwendet, so sollte dies als eine Wissens- und Behandlungserweiterung und nicht als Abkehr von einem erfolgreich abgeschlossenen Thema gesehen werden.

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