Übersichtsarbeiten - OUP 03/2018

Osteoporose-assoziierte Fragilitätsfrakturen des Beckenrings*

Zugrunde liegt eine verminderte Knochenqualität, die durch eine Verringerung der Knochendichte und -masse konsekutiv zum vermehrten Auftreten typischer Frakturen führt [3]. Ebenfalls können Insuffizienzfrakturen des Beckens auch aufgrund von Vitamin-D-Mangel, langjähriger Cortisoneinnahme, langer Immobilisation, rheumatoider Arthritis oder Bestrahlung des Beckens auftreten [2, 4, 5].

Burge et al. konnten bereits im Jahr 2007 nachweisen, dass geriatrische Beckenringfrakturen 7 % der Osteoporose-assoziierten Frakturen ausmachen [6]. Im Gegensatz zu anderen Osteoporose-bedingten Frakturen existieren aktuell noch keine validen prospektiven Daten. Andrich et al. zeigten eine Inzidenz der Osteoporose-assoziierten Frakturen des Beckenrings in Deutschland von 22,4/10.000 bei Patienten über 60 Jahren [7], eine retrospektive finnische Analyse ergab eine Steigerung der Inzidenz geriatrischer Beckenringfrakturen von 73 auf 364/100.000 im Zeitraum von 1970 bis 1997 bei Patienten mit einem Alter ? 80 Jahren. Sullivan et al. stellten dar, dass die geriatrischen Beckenringfrakturen in den USA von 1993 bis 2010 um 24 % (von 26.500 auf 33.000) zunahmen [8]. Der enorme Anstieg ist durch die demografische Entwicklung und steigende Lebenserwartung in unserer Gesellschaft, jedoch auch durch eine verfeinerte Diagnostik zu erklären [9]. Hierauf weist auch die Datenerhebung des deutschen Beckenregisters von 2017 hin. In dieser zeigte sich eine Abnahme der Typ-A-Frakturen nach AO-Klassifikation, aber ein signifikanter Anstieg der Typ-B-Frakturen in den letzten 22 Jahren, was am ehesten auf die bessere Verfügbarkeit der Diagnostik mithilfe der Computertomografie zurückzuführen ist [9]. In den bisherigen Untersuchungen findet sich eine signifikante Korrelation mit dem weiblichen Geschlecht und dem Alter der Patienten. In einer Studie von Fuchs et al. zeigte sich die höchste Inzidenz in der Altersgruppe der Patienten zwischen 81 und 90 Jahren [10]. Eine kürzlich veröffentlichte Analyse des deutschen Beckenregisters ergab einen Anteil von 75 % weiblicher Patienten im untersuchten Patientenkollektiv mit einem Alter ? 60 Jahren [9], was mit einer höheren Inzidenz der Osteoporose korreliert [11, 12] (Abb. 1). Auch Maier et al. fanden in ihrem retrospektiv analysierten Patientenkollektiv (93 Insuffizienzfrakturen des Beckenrings) 75 % weibliche Patienten und eine signifikante Korrelation mit einer verminderten Knochendichte in der Messung mithilfe der Doppelröntgenenergieabsorptiometrie (DEXA) sowie auch mit einem Vitamin-D-Mangel [13]. In der Zusammenschau sind mehr als 60 % der Beckenringfrakturen im Alter mit Osteoporose assoziiert [9, 14].

Spezifische Frakturmorphologie und Klassifikationen

Die Fragilitätsfrakturen des Beckenrings unterscheiden sich deutlich von den Beckenringverletzungen im jungen Alter. Neben der bereits erwähnten Osteoporose führt eine zunehmende Ossifikation und Rigidität der Bandstrukturen zu einem Verlust der Beckenelastizität und somit zu einer veränderten Belastung und Lastübertragung [15]. Ein häufiges Verletzungsmuster bei Sturz auf die Seite ist die Kompressionsfraktur der Massa lateralis des Sakrums einhergehend mit einer horizontal verlaufenden Fraktur des Ramus superior des Os pubis [2, 16]. Die unterschiedliche Frakturmorphologie lässt sich gut durch ein spezifisches und einheitliches Muster des Knochenabbaus im hinteren Beckenring erklären [15, 17]. Insbesondere das Sakrum ist aufgrund der pathobiomechanischen Veränderung des Beckens im Alter frakturgefährdet [18]. Die Frakturmorphologie kann sich im Laufe der Zeit auch ändern. Zu Beginn steht zumeist die bereits oben beschriebene Kompressionsfraktur, die sich allerdings aufgrund der Mobilisation unter Vollbelastung und erneuten Stürzen zu komplexeren Frakturen bis hin zum kompletten Kollaps des Beckenrings entwickeln können [2, 19].

Beckenringfrakturen lassen sich zunächst mittels der AO-Klassifikation in A-, B- und C-Frakturen einteilen. Typ A beschreibt eine stabile Fraktur, Typ-B-Verletzungen sind rotationsinstabil, während die Typ-C-Fraktur Rotationsinstabilität sowie eine vertikale Instabilität aufweist [9]. Allerdings ist diese Klassifikation nicht auf die Morphologien der Beckenringverletzungen im Alter anwendbar und kann im geriatrischen Patientenkollektiv eine falsche Verletzungsschwere abbilden, weil Fragilitätsfrakturen nicht mit Beckenringfrakturen jüngerer Patienten vergleichbar sind. Gerade die bei älteren Patienten vorkommenden bilateralen Sakruminsuffizienzfrakturen sind bei jungen Erwachsenen eine Seltenheit und weisen in der Regel auf ein hochenergetisches Trauma hin (Typ C3 nach AO).

Von Rommens und Hofmann wurde auf Grundlage einer detaillierten radiologischen Analyse des eigenen Patientenkollektivs ein neues Klassifikationssystem entwickelt, welches auch die Sakruminsuffizienzfrakturen berücksichtigt [16]. Hierbei spielt insbesondere der Grad der Instabilität eine entscheidende Rolle. Dieses Kriterium trägt im Wesentlichen zur operativen Entscheidungsfindung bei [2]. Darüber hinaus wird in den verschiedenen Subtypen die jeweilige Lokalisation der Instabilität des posterioren Beckenrings charakterisiert.

Die FFP-Klassifikation beschreibt insgesamt 4 Typen (Abb. 2–5).

  • FFP Typ I: Es handelt sich hierbei um isolierte anteriore Beckenringfrakturen ohne Beteiligung der posterioren Strukturen. Typ-Ia-Frakturen sind unilateral, Typ-Ib-Frakturen bilateral (Abb. 2).
  • FFP Typ II: Diese Läsionen beschreiben nichtdislozierte Frakturen des hinteren Beckenrings. Dabei ist Typ IIa durch eine isolierte dorsale Läsion gekennzeichnet, Typ IIb ist eine Kompressionsfraktur der vorderen Massa lateralis des Sakrums einhergehend mit einer Instabilität des vorderen Beckenrings. Typ IIc beschreibt eine unverschobene, aber vollständige Sakrumfraktur, Iliumfraktur oder iliosakrale Verletzung mit begleitender Instabilität des vorderen Beckenrings (Abb. 3).
  • FFP Typ III: Diese Frakturen sind gekennzeichnet durch eine dislozierte unilaterale hintere Beckenringverletzung mit gleichzeitiger Instabilität des vorderen Beckenrings. Typ IIIa beschreibt die verschobene Iliumfraktur, Typ IIIb ist durch eine verschobene unilaterale iliosakrale Ruptur gekennzeichnet, während Typ IIIc eine verschobene unilaterale Sakrumfraktur darstellt (Abb. 4).
  • FFP Typ IV: Hierbei handelt es sich um bilaterale verschobene hintere Beckenringverletzungen. Typ IVa beschreibt bilaterale Iliumfrakturen oder bilaterale iliosakrale Rupturen. Typ-IVb-Frakturen sind spinopelvine Sprengungen mit einhergehenden bilateralen vertikalen Läsionen der Massa lateralis des Sakrums und einer gleichzeitigen horizontalen Komponente, die die beiden vertikalen Läsionen verbindet (U- oder H-Fraktur des Sakrums). Typ IVc ist eine Kombination verschiedener dislozierter Instabilitäten des hinteren Beckenrings (Abb. 5).

Diagnostik

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