Übersichtsarbeiten - OUP 03/2018

Osteoporose-assoziierte Fragilitätsfrakturen des Beckenrings*

Die Verletzungen vom FFP Typ III und IV sind durch eine deutliche unilaterale oder bilaterale Instabilität des hinteren Beckenrings gekennzeichnet. Da Typ-III-Läsionen selten spontan ausheilen, empfehlen wir eine operative Therapie. Auch hier sind perkutane Verfahren einer offenen Reposition vorzuziehen, solange keine grobe Dislokation vorliegt.

Auch Typ-IV-Verletzungen sollten operativ versorgt werden. Zur Vermeidung einer Intrusion des lumbosakralen Fragmentes sind beide Seiten operativ zu stabilisieren [2].

Die verschiedenen operativen Verfahrensmöglichkeiten zur Stabilisierung des hinteren und des vorderen Beckenrings werden in Tabelle 1 dargestellt. Im Folgenden werden lediglich die am häufigsten angewandten Stabilisierungen erläutert (Abb. 7).

Operative Verfahren zur
Stabilisierung des hinteren Beckenrings

Eine Mehrzahl der posterioren Sakrumfrakturen [komplette oder verschobene Frakturen der Massa lateralis des Sakrums) können mit der perkutanen transiliosakralen Schraubenosteosynthese versorgt werden. Diese Technik ist bereits für die Stabilisierung von hinteren Beckenringverletzungen bei hochenergetischen Beckentraumata weit verbreitet und akzeptiert. Es werden ein oder zwei 7–8 mm kannülierte Schrauben mit Teil- oder Vollgewinde in den ersten Sakralwirbel (S1) eingebracht, zusätzlich kann eine zweite Schraube in S2 eingebracht werden. Im Falle einer bilateralen dorsalen Instabilität können beide Seiten simultan mittels zweier iliosakraler Schrauben versorgt werden. Alternativ kann hier der transsakrale Positionsstab eingesetzt werden.

Bei isolierten und inkompletten Kompressionsfrakturen der Massa lateralis (FFP Typ IIa) stellt die Sakroplastie eine Alternative dar. Hierbei wird analog zur Vertroplastie lediglich eine Zementapplikation im Frakturbereich durchgeführt. Selten treten Fragilitätsfrakturen im Bereich des Ilium lateral der Iliosakralfuge auf (FFP Typ IIIa). Falls eine Instabilität und Dislokation vorliegen, erfolgt die operative Versorgung mittels Plattenosteosynthese (Tab. 1).

Bei einer ausgeprägten Dislokation und vertikalen Instabilität wie bei FFP Typ III und IV kann eine unilaterale oder bilaterale lumbopelvine Fixation notwendig sein. Im Falle einer multiplanaren Instabilität kann zusätzlich eine iliosakrale Schraubenosteosynthese durchgeführt werden, um eine horizontale und vertikale Stabilität zu erreichen. Diese als „triangulare Stabilisierung“ bekannte Technik scheint biomechanisch die stabilste Fixationsform zu sein [32].

Operative Verfahren zur
Stabilisierung des vorderen Beckenrings

Bei einer ventralen Instabilität (z.B. FFP Typ IIb) kann eine Stabilisierung bei immobilisierenden Schmerzen mithilfe eines Fixateur externe erfolgen. Hierbei werden minimalinvasiv Schanz‘sche Schrauben bilateral in den supraazetabulären Bereich eingebracht. Analog zu der Versorgung mit dem Fixateur externe kann die Stabilisierung des vorderen Beckenrings ebenfalls durch interne Fixationstechniken erreicht werden. Hierbei kommen sowohl rein subkutane als auch tiefe (submuskuläre) Verfahren zum Einsatz. Möglich ist auch das Einführen einer retrograden transpubischen Schraube (sogenannte „Kriechschraube“).

Komplikationen
und Prognose

Trotz der deutlich steigenden Inzidenz der Fragilitätsfrakturen des Beckenrings finden sich in der Literatur bisher lediglich retrospektive Auswertungen. Die durchschnittliche Krankenhaus-Liegezeit beträgt zwischen 9,3 und 45 Tage [3, 14]. Die 1-Jahres-Mortalität wird in der Literatur zwischen 9,5 % und 27 % angegeben [3, 13, 33], vergleichbar mit dem Kollektiv bei der proximalen Femurfraktur. Hill et al. zeigten sogar eine Mortalität nach 5 Jahren von 54,4 % [34].

Bei einer erfolgreichen konservativen Therapie (FFP Typ I und II) ist mit einer Schmerzlinderung innerhalb von 2 Wochen und einer Wiederherstellung der Mobilität innerhalb von 6 Wochen zu rechnen. Bei einer operativen Therapie (FFP Typ II, Typ III und Typ IV) ist mit einer schnellen Schmerzlinderung zu rechnen. Die Frakturheilung dauert zwischen 6 Wochen und 3 Monaten, die Erlangung der vollen Gehfähigkeit gelingt in der Regel nach 3 Monaten [24].

Bei konsequenter und adäquater Durchführung der konservativen Therapie mittels frühzeitiger Mobilisation treten nach eigener Erfahrung selten therapieassoziierte Komplikationen auf, allerdings berichten Maier et al. in ihrem konservativ therapierten Kollektiv (n = 93) von einer Komplikationsrate von 58 % (Harnwegsinfekte (61 %), Pneumonie (29 %), Depression (5 %), thrombembolische Ereignisse (3 %)). Im Langzeitverlauf (durchschnittliche Nach beobachtungszeit: 34 Monate) zeigte sich nahezu eine Verdopplung der Patientenzahl, die Hilfe im täglichen Leben benötigten. 77 % der Patienten waren vor der erlittenen Fraktur selbstständig, während 66 % nach der Fraktur hilfsbedürftig wurden [13]. Breuil et al. konnten eine Reduktion der Selbstständigkeit bei fast 50 % der Patienten innerhalb eines Nachbeobachtungszeitraums von durchschnittlich 29 Monaten nachweisen [11]. In der Fallserie von Taillandier et al. erlangten lediglich 22 der nachuntersuchten 56 Patienten ihren ursprünglichen funktionellen Status [35].

Das Risiko einer sekundären Dislokation sowie Veränderung des Frakturtyps innerhalb des Therapieverlaufs sollten beachtet werden. So kann eine konservative Therapie bei Persistenz der Schmerzen und Immobilisation in eine operative Therapie münden. In Einzelfällen können nach konservativer Therapie Pseudarthrosen entstehen, die gegebenenfalls einer sekundären operativen Stabilisierung zugeführt werden müssen.

Im Falle einer operativen Therapie reichen die Komplikationen von den üblichen OP-Komplikationen (Nachblutung, Infektion, Nervenläsionen, Beinvenenthrombosen) bis hin zu Lungenarterienembolien und Multiorganversagen. Diese schwerwiegenden Komplikationen sind allerdings aufgrund der zunehmend minimalinvasiven Verfahren selten [36, 37]. Es existieren noch keine Vergleichsdaten unterschiedlicher Osteosyntheseverfahren bezüglich Komplikationsraten und Ergebnis bei FFP. Hopf et al. konnten in ihrer retrospektiven Untersuchung eine signifikante Schmerzreduktion nach durchgeführter perkutaner iliosakraler Schraubenosteosynthese zeigen (VAS 6,8 bei Aufnahme, VAS 1,8 bei Entlassung). Alle 30 behandelten Patienten wurden zunächst einer konservativen Therapie über einen Zeitraum von 6 Tagen zugeführt, wobei sich hier nur eine unwesentliche Schmerzabnahme zeigte (VAS 6,0), sodass eine perkutane iliosakrale Schraubenosteosynthese durchgeführt wurde. 22 der 30 Patienten erreichten ihre ursprüngliche Mobilität. Nach einem Beobachtungszeitraum von 31 Monaten zeigten sich bei 16 von erreichten 22 Patienten keine oder nur minimale Einschränkungen im täglichen Leben [ 38]. Hauptsächliche Komplikationen der iliosakra len Schraubenosteosynthese sind Schraubenfehllagen (3–17 %) und Nervenläsionen (0–8 %) [37]. Um einer Schraubenlockerung aufgrund der osteoporotischen Knochenqualität vorzubeugen wird eine zusätzliche Zementaugmentation empfohlen [39]. Dabei sollte die Zementapplikation vorsichtig erfolgen, um Zementleckagen zu vermeiden [2]. Ob die additive Zementaugmentation zu einem Standardverfahren bei der Sakruminsuffizienzfraktur wird, müssen weitere klinische Studien zeigen [2]. Bezüglich der Komplikationsraten bei der Versorgung des ventralen Beckenrings finden sich vor allem Daten hinsichtlich des Fixateur externe. Hier werden Pininfekte (2,5–50 %), Schraubenlockerungen (0–19 %) und Repositionsverluste (0–33 %) beschrieben [40], sodass dieses Verfahren mittlerweile kontrovers diskutiert wird [2]. Subkutane Systeme zeigten eine deutliche Reduktion der Infektionsrate (3 %), sollten allerdings in weiteren klinischen Studien evaluiert werden [40].

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