Übersichtsarbeiten - OUP 06/2017

Patellofemorales Schmerzsyndrom

Die gezielte Analyse dient als Grundlage für eine differenzierte Therapie. Die Anamnese und klinische Untersuchung stellen die Basisdiagnostik dar. Es können hier prinzipiell durch eine gezielte Befragung und eine strukturierte Untersuchung fast alle relevanten Einflussfaktoren für eine patellofemorale Problematik qualitativ erfasst werden. Eine zentrale Rolle spielt die Patellamobilität und -position, welche in Relation zur Trochlea statisch und dynamisch durch verschiedenste Tests geprüft und dokumentiert werden kann. Abhängigkeiten zur Beinachs- und Torsionssituation sowie zum neuromuskulären Status lassen sich ebenfalls gezielt ermitteln. Die Ergebnisse der klinischen Untersuchung steuert die notwendige und sinnvolle Bildgebung zur Bestätigung und Quantifizierung der Befunde mit Graduierung oder Typisierung einzelner Komponenten. Zusätzlich können pathologische Veränderungen des Tibiofemoralgelenks entdeckt und beurteilt werden. Die bildgebende Basisuntersuchung stellt nach wie vor das Nativröntgen des Kniegelenks in 3 Ebenen dar (a.p., streng seitlich und tangential). Die MRT-Untersuchung kann die Röntgendiagnostik unterstützen oder ergänzen. Chondrale Läsionen und ossäre Reaktionen sind gut darstellbar. Weichteilige Veränderungen wie Plicae oder Hoffareizungen und eine Ergussbildung können exakt abgebildet werden [39, 48]. Es gilt, je geringer strukturelle Veränderungen festgestellt werden können, umso wahrscheinlicher sind funktionelle Aspekte Auslöser der Problematik.

Die Unterscheidung zwischen strukturellen Auslösern und einem funktionellen Problem bahnt den Weg für die Behandlungsmöglichkeiten. Aber auch der Anspruch des Patienten an spätere sportliche und berufliche Belastungen spielt sowohl in der Diagnostik als auch in der Therapie eine nicht unwesentliche Rolle.

Bei Auffälligkeiten des neuromuskulären Systems können Ganganalysen, Kraftmessungen und weitere biomechanische Untersuchungen die funktionellen Befunde objektivieren und quantifizieren, die vergleichbar einer Bildgebung für strukturelle Analysen eingesetzt werden.

Klassifikation

Die Einteilung des PFSS in eine ursachenorientierte Nomenklatur impliziert mögliche Therapieansätze. Eine Unterscheidung in ein rein funktionell oder isoliert strukturell verursachtes PFSS kann nach der Analyse getroffen werden.

Als strukturelle Auslöser sind Schädigungen oder Degenerationen von Geweben bekannt und sind von anatomischen Normvarianten zu unterscheiden, die das Alignement und Tracking stören. Hier können chirurgische Maßnahmen in Erwägung gezogen werden, auch wenn eine Evidenz-basierte Therapie hier nur teilweise abgesichert ist.

Bei funktionellen Auslösern können diese in lokale Störungen, Probleme der Gelenkkette und vertebragene Ursachen grob unterteilt werden (Abb. 2). Hier sind konservative Therapieoptionen das Mittel der Wahl. Bei Mischformen der auslösenden Faktoren (strukturell und funktionell) sollte in der Regel den konservativen Optionen Vorrang gegeben werden.

Therapie

Neuromuskuläres Training

Ein Hauptbestandteil der konservativen Therapie des PFSS ist das neuromuskuläre Training. Die muskuläre Situation kann durch gezielte physiotherapeutische Inhalte und Eigenübungen positiv beeinflusst werden. Durch die Verminderung von Dysbalancen normalisiert sich die statische und dynamische Patellaposition und es resultiert eine Reduktion der ligamentären und osteochondralen Belastungen im PFG.

Neben der knieumgreifenden Muskulatur und dem Tractus iliotibialis spielt die gesamte Gelenkkette vom Fuß bis zum Rumpf eine wichtige Rolle für das Patellofemoralgelenk. Ziele des neuromuskulären Trainings sind die Erhöhung der Quadrizepskraft und die Normalisierung des Quadrizepskraftvektors. Beim Quadrizepstraining sollte den biomechanischen Kenntnissen über die Belastungen in der geschlossenen und offenen Kette Rechnung getragen werden. In der geschlossenen Kette, z.B. bei Kniebeugen, sind die Kräfte auf das PFG strecknah zwischen 0–30° am geringsten. Im Gegensatz hierzu verhält sich dies in der offenen Kette reziprok. Bei Beinstrecker-Übungen wirken z.B. die geringsten Kräfte zwischen 90–60° Kniewinkel [51]. Es können also ein relativ großer Bewegungsumfang in unterschiedlichen Belastungsmodalitäten trainiert und so Schmerzen sowie erhöhte Belastungen vermieden werden.

Die Dysbalance zwischen M. vastus medialis gegenüber dem M. vastus lateralis sollte zugunsten der medialen Kräfte verschoben werden. Eine isolierte Ansteuerung des M. vastus medialis kann durch eine lokale elektrische Muskelstimulation erfolgen [7]. Weitere Möglichkeiten, beim Quadrizepstraining den M. vastus medialis besser anzusteuern, sind Biofeedback-Verfahren, Gelenk- und Beinstellungen, die den M. vastus medialis gezielter aktivieren, Co-Kontraktionen weiterer Muskelgruppen und die Steuerung der Belastungsintensität [31, 32, 38, 59]. Auch der Shift des Onset zugunsten des M. vastus medialis gegenüber dem M. vastus lateralis konnte mit speziellen Stechschritt und Step-down-Übungen (Abb. 3, 4) biomechanisch und elektromyografisch nachgewiesen werden [40, 62].

Ein ungünstiges Agonisten-Antagonisten-Verhältnis zwischen der Quadrizeps- und Hamstring-Muskulatur bezüglich Muskelkraft und Dehnzustand kann zu einer unerwünschten tibiofemoralen Translation und Rotation führen und damit das PFG negativ beeinflussen [1]. Eine Normalisierung der Verhältnisse ist anzustreben. Bei einer Verkürzung von Muskelgruppen sollten diese gezielt gedehnt, bei Abschwächung gekräftigt werden.

Die Spannung des Tractus iliotibialis beeinflusst die patellofemorale Kinematik in mehreren Dimensionen. Die Reduktion einer Verspannung des Tractus iliotibialis vermindert die laterale Translation, Flexion und den lateralen Tilt der Patella [37]. Die mediolaterale Mobilität der Patella wird verbessert und damit patellofemorale Druckverhältnisse gemindert und Zugkräfte auf den medialen patellaren Bandapparat reduziert. Hierzu können Dehnübungen, verschiedenste Triggerpunktbehandlungen und Black-Roll-Übungen eingesetzt werden (Abb. 5) [22, 42].

Auch die dynamische Bein- und Beckenachsensituation spielt eine wichtige Rolle für die Position der Patella in Relation zum Gleitlager und verändert die lateral wirkenden Kräfte auf die Patella maßgebend. Drei Etagen sind hier zu berücksichtigen. Die Rumpf-/Beckenposition, die Kniewinkel und die Rückfußstellung. Alle können bei einer Abweichung zu einem dynamischen Valgusdrift mit Innenrotation des Femur und einer Außenrotation der Tibia führen.

Neben der Kräftigung einzelner Muskelgruppen, bei denen die Hüftabduktoren mit dem Glutaeus medius eine zentrale Rolle spielen, sollten gezielt koordinative Inhalte wie Ausfallschritte, Step-up- und Step-down-Übungen mit korrekter Bewegungsausführung und methodischen Hilfen eingesetzt werden [13, 47, 55].

Physikalische Therapie

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4