Übersichtsarbeiten - OUP 06/2017

Patellofemorales Schmerzsyndrom

Ausgewählte therapeutische Modalitäten von physikalischen Maßnahmen wie Ultraschall, Kälteanwendung, Elektro-, Wärme- oder Lasertherapie zeigten in verschiedenen Studien bei alleiniger Anwendung keine erwiesene Wirkung zur Behebung des patellofemoralen Schmerzes [5, 8, 26, 35]. Als unterstützende Therapie zu physiotherapeutischen Behandlungsinhalten können diese jedoch eingesetzt werden.

Manuelle Therapie

Zur Anwendung kommen hier lokale Maßnahmen wie eine gezielte Patellamobilisation mit manuellen Techniken. Bei einer hypomobilen Patella kann die Mobilisation mit dem gleichen Ziel wie bei einer operativen balancierten Verlängerung des lateralen Retinakulums eingesetzt werden [45]. Zur Effektivität liegen jedoch nur eingeschränkte Untersuchungen vor. Störungen der LWS und der Sakro-Iliacalgelenks (SIG) können vertebragen ausgelöste pathologische Muskelansteuerungen verursachen. Primäre oder reaktive Blockaden und sonstige vertebragene Störungen können behandelt werden, die neuromuskuläre Situation positiv beeinflussen und damit die Patellaposition normalisieren [53]. Zusätzlich können Faszientechniken bindegewebige Störfaktoren minimieren. Diese Erkenntnisse basieren derzeit hauptsächlich auf Erfahrungswerten, auch wenn die theoretischen Überlegungen ein schlüssiges Konzept bieten [29, 36].

Bandagen/Orthesen Tapes

Zur positiven Beeinflussung der Patellaposition tragen auch Tapeverbände sowie spezielle Orthesen und Bandagen bei [12]. Tapeverbände wirken meist weniger durch eine direkte Stabilisierung der Patella, sondern mehr durch eine kutane Stimulation der tiefer liegenden Weichteilstrukturen [9]. Hingegen können Rezentrierungsorthesen auch einen direkten biomechanischen Effekt erzielen. Dies wurde auch unter Belastung und in verschiedenen Kniebeugewinkeln im MRT untersucht. Für erkrankungstypische patellofemorale Parameter, wie dem Patella-Tilt und Bisect offset (Lateraliserung), konnten signifikante Verbesserungen nachgewiesen werden [2, 14, 21].

Zusätzlich werden durch Tapeverbände und Bandagen neuromuskuläre und biomechanische Faktoren, vor allem bei vorliegenden Defiziten, günstig verändert. So konnte in verschiedenen Studien eine signifikante Verbesserung der Propriozeption und Steigerung der Quadrizepsaktivität nachgewiesen werden. Auch das verspätete Onset des M. vastus medialis gegenüber dem M. vastus lateralis konnte wieder normalisiert werden [6, 28]. Die Kontaktflächen im PFG können vergrößert und die Spitzendrucke reduziert werden [41, 61]. Dies kann insgesamt zu einer Verbesserung der Funktion und zur Verminderung des Schmerzes führen, wohl wissend, dass die Studienqualität zum Teil Einschränkungen beinhaltet [19].

Zusätzlich können Schuheinlagen eine Behandlungsoption bei Fußfehlstellungen sein. Die Studienlage hierzu ist uneinheitlich, einzelne Autoren zeigen Verbesserungen in Funktionsscores und Schmerzlevels in einem Kurzzeit-Follow-up [10, 25].

Belastungsmodifikation

Die Modifikation der Belastungen kann sowohl quantitativ als auch qualitativ stattfinden, um den individuellen „envelope of function“ nicht zu verlassen oder wieder zu erreichen. Neben den Umfängen und Intensitäten der Belastungen kann die Art der Belastung angepasst werden. Dies betrifft die offene und geschlossene Kette, die Gelenkwinkelstellungen und die Technik in der jeweiligen Sportart. Zum Beispiel treten höhere Kräfte im PFG bei einer vermehrten Stemmphase beim Laufen auf. Hier kann ein gezieltes Techniktraining eingesetzt werden. Bei Ausdauerbelastungen werden beim Gehen und Radfahren sowie Aquajoggen und Schwimmen (Kraul, Rücken) generell deutlich geringere resultierende retropatellare Kräfte gefunden als beim Joggen [44]. Die unterschiedlichen Effekte auf den retropatellaren Knorpel konnten zum Teil in vivo dargestellt werden [24].

Bei Knorpelveränderungen können den betroffenen Lokalisationen relativ gut die entsprechenden Kniebeugewinkel zugeordnet werden, bei denen femoropatellare Kontakte auftreten, sodass auch hier Rückschlüsse auf ungünstige Belastungssituationen gezogen werden können.

Medikamentös

Die Wirkungsweise der klassischen nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAID) beruht auf ihrer antipyretischen, antiphlogistischen und analgetischen Eigenschaft. NSAID zeigen deshalb eine Schmerzreduktion von bis zu 50 %. Der Effekt ist beim PFSS jedoch nur kurzfristig. Ein wesentlicher Unterschied bei der Anwendung verschiedener Medikamente konnte nicht gefunden werden [4, 27, 58].

Der Einsatz von Glucosaminoglucane (GAG) soll den chondralen Stoffwechsel positiv beeinflussen. Eine Überlegenheit gegenüber Physiotherapie (PT) allein oder verglichen mit Placebos und PT konnte durch GAG nicht nachgewiesen werden [34, 43].

Durch anabole Steroide kann die Muskelfunktion verbessert und der Schmerz positiv beeinflusst werden, aufgrund verschiedener Risiken und Antidopingregularien ist deren Einsatz jedoch als problematisch anzusehen [15, 30].

Intraartikuläre Injektionen von Glucocortikoiden zeigen bei Reizzuständen eingeschränkte Effekte [30]. Über die Reduktion eines Gelenkergusses mit Verminderung der Kapselspannung kann, wie bei der Anwendung von Analgetika, durch die Schmerzminderung eine Inhibition der Agonisten reduziert und die Aktivität der Antagonisten gesenkt werden [16, 49, 52].

Mit Injektionen von Botolinum-Toxin in den distalen vastus lateralis kann eine Dysbalance der Quadrizepsmuskulatur durch Verminderung der lateralen Zugspannungen auf die Patella ausgeglichen werden. Es zeigten sich hier in randomisierten, Placebo-kontrollierten Studien positive Effekte bezüglich der Schmerzreduktion, der Kraft und Muskelbalance [20, 50]. Ähnliche Ergebnisse können wahrscheinlich auch mit Lokalanästhetika-Injektionen in die Muskulatur erzielt und eventuell auf den Tensor fascia latea ausgeweitet werden.

Akupunktur

Der Nutzen von Akupunktur beim PFSS ist bisher nur wenig untersucht. In einer randomisierten verblindeten Studie konnte ein positiver signifikanter Effekt auf den Schmerz beim PFSS in der Verumgruppe gezeigt werden [18, 33]. Dieser Effekt kann als Alternative zur medikamentösen Schmerzbehandlung oder unterstützend eingesetzt werden.

Operative Therapie

Nur bei strukturellen Schädigungen oder ausgeprägten Veränderungen der anatomischen Einflussfaktoren sollten chirurgische Maßnahmen in Betracht gezogen werden. Deshalb ist eine gezielte Analyse der potenziellen Auslöser eines PFSS und deren Ausprägung notwendig, um Überlegungen zur operativen Korrektur und deren biomechanische positive Auswirkung auf das Geschehen durchführen zu können. Prinzipiell sind operativen Verfahren möglich, die das Alignement und Tracking im PFG verbessern. Abzuwägen sind die zu erwartenden positiven Effekte mit dem Aufwand und denRisiken eines Eingriffs. Die Evidenzlage ist hier recht spärlich.

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