Übersichtsarbeiten - OUP 06/2022

Periprothetische Acetabulumfrakturen geriatrischer Patienten

Anamnestisch sollten vorherige Beschwerden oder Hinweise für eine Implantatlockerung oder eine Protheseninfektion erfragt werden. Falls möglich, sollten auch ältere Röntgenbilder der Hüftprothese herangezogen werden.

MERKE: Die exakte Anamneseerhebung kann Hinweise über Beschaffenheit der Hüftpfanne vor der Fraktur geben.

Klinisch ist je nach Dislokationsgrad eine Beinverkürzung erkennbar. Es bestehen Leistenschmerzen und Schmerzen bei Bewegung in der Hüfte. Die Hüftbeweglichkeit ist bei Subluxation ins kleine Becken ggf. stark eingeschränkt. Typisch ist ein Stauchungsschmerz in der Hüfte.

Die initiale Diagnostik umfasst eine Beckenübersichtsaufnahme und eine axiale Aufnahme der betroffenen Hüfte. Ggf. müssen ergänzende Röntgenaufnahmen des Oberschenkels angefertigt werden. Es ist zu fordern, dass die gesamte Hüft-TEP dargestellt wird.

Sollte auf den Röntgenaufnahmen keine Fraktur erkennbar sein, muss sich bei entsprechender klinischer Symptomatik eine CT-Diagnostik des Beckens anschließen, um nicht-dislozierte Frakturen oder auch differenzialdiagnostisch mögliche Frakturen des hinteren Beckenrings zu detektieren. Auch beim Nachweis einer periprothetischen Fraktur in der Röntgendiagnostik ist zwingend eine CT-Untersuchung durchzuführen. Nur mit Hilfe der CT kann die Fraktur korrekt klassifiziert und die Therapie geplant werden. Idealerweise sollte bei der CT auf eine Supprimierung von Metallartefakten geachtet werden.

MERKE: Eine CT-Untersu-
chung des Beckens ist obligat!

Liegen anamnestisch Hinweise auf einen Infekt vor, sollte ggf. präoperativ eine Punktion durchgeführt werden. Alternativ sollten intraoperativ ausreichend Gewebeproben entnommen werden und eine kalkulierte Antibiotikatherapie begonnen werden.

Klassifikation

Ein validiertes und allgemein verwendetes Klassifikationssystem zur Klassifikation von periprothetischen Acetabulumfrakturen, welches einfach in der Anwendung ist und ausreichende Informationen über die Therapieempfehlung bietet, liegt bisher nicht vor.

Grundsätzlich können periprothetische Acetabulumfrakturen analog zur Klassifikation reiner Acetabulumfrakturen klassifiziert werden. Dabei bleiben jedoch die Beschaffenheit der Pfanne, die Knochenqualität und auch die Ätiologie unberücksichtigt, obwohl diese Faktoren einen entscheidenden Einfluss auf die Therapieentscheidung haben.

Im Folgenden werden die nach Einschätzung der Autoren gängigsten Klassifikationssysteme vorgestellt:

Periprothetische Acetabulumfrakturen können in Analogie zu periprothetischen Frakturen anderer Lokalität nach dem Unified Classification System (UCS) in Anlehnung an die AO-Klassifikation klassifiziert werden. Ein Vorteil liegt in der universellen Anwendung aller periprothetischen Frakturtypen [7].

Eine weitere Möglichkeit zur Klassifikation wurde von Pastarella et al. gegeben [8]. Der Vorteil dieser Klassifikation ist darin zu sehen, dass in der Verbindung mit Frakturklassifikation eine Therapieempfehlung gegeben wird. Zunächst wird zwischen intraoperativen und traumatischen Frakturen unterschieden. Entscheidend ist für beide Frakturtypen die Bewertung der Stabilität der Prothese. Bei stabilen Prothesen wird grundsätzlich eine eher konservative Therapie empfohlen, während bei instabilen Prothesen eine Implantatrevision und/oder einer Osteosynthese empfohlen wird [8].

In ähnlicher Weise erfolgt die Klassifikation bzw. der Therapiealgorithmus nach Patsiogiannis et al. [4]. Von großer Bedeutung ist gemäß dieser Kollegen die Unterscheidung zwischen einer traumatischen Fraktur und einer chronischen Fraktur durch Osteolysen.

In Ergänzung der Klassifikation sollte beim Vorliegen ossärer Defekte eine Analyse und Klassifikation z.B. nach Paprosky erfolgen [9].

Im eigenen Vorgehen haben sich für geriatrische Patienten eine Einteilung und ein Behandlungsalgorithmus in Anlehnung nach Patsiogiannis et al. bewährt (Abb. 1).

Therapiegrundsätze

Zur Planung der konkreten Therapie ist eine umfassende Analyse der Fraktursituation aber auch des Patienten notwendig.

MERKE: Es handelt sich zumeist um komplexe Frakturen bei komplexen Patienten.

Anhand der gewonnenen Informationen kann ein individuelles Behandlungskonzept erstellt werden. Für die operative Therapie von periprothetischen Acetabulumfrakturen ist eine ausreichende Erfahrung sowohl in der Beckenchirurgie als auch in der Revisionsendoprothetik essentiell. Zudem müssen entsprechende Implantate zur Stabilisierung des Acetabulums und Revisionspfannen vorgehalten werden [5].

Nach Einschätzungen der Autoren ist bei geriatrischen Patienten das Hauptziel, möglichst früh eine belastungsstabile Situation zu schaffen oder zumindest eine Mobilisation unter Entlastung zu ermöglichen. Daher kommt eine konservative Therapie nur in Ausnahmefällen z.B. bei fissuralen Frakturen oder bettlägerigen Patienten in Frage.

Insbesondere für jüngere Patienten mit höherem Aktivitätslevel und längerer Lebenserwartung sind die Ziele in der Versorgung periprothetischer Acetabulumfrakturen w.m. ein Erhalt der Prothese und im Revisionsfall die Wiederherstellung des anatomischen Rotationszentrums, physiologischen Offsets sowie ggf. die Rekonstruktion ossärer Defekte und des Beckenringes mit Erzielung einer Langzeitstabilität durch Osteointegration sowie eines adäquaten funktionellen Ergebnisses [5].

Diese Ziele sind bei den häufig multimorbiden und stark eingeschränkten alterstraumatologischen Patienten gegenüber dem vorgenannten Ziel einer sofortigen belastungsfähigen Mobilisation von eher untergeordneter Bedeutung.

MERKE: Behandlungsziel ist eine frühzeitige schmerzarme Mobilisation.

In Analogie zu Patienten mit proximaler Femurfraktur kommt auch bei Patienten mit periprothetischer Acetabulumfraktur der interdisziplinären unfallchirurgisch-geriatrischen Behandlung ein hoher Stellenwert zu. Falls möglich, sollten diese Patienten perioperativ im Setting eines Alterstraumazentrums behandelt werden. Ein weiterer Aspekt in der weiteren Therapie ist die Detektion und Therapie der zumeist zugrunde liegenden Osteoporose.

Operative Therapie

Grundsätzlich kommen Osteosynthesen zur Stabilisierung der Fraktur und eine Revision der Pfanne oder die Kombination aus beiden Operationsverfahren in Frage. Gerade bei geriatrischen Patienten ist es das Ziel, mit einem möglichst kleinen Operationstrauma eine belastbare Situation zu schaffen, die eine möglichst frühzeitige Mobilisierung erlaubt.

Intraoperative Frakturen

Wird intraoperativ eine Acetabulumfraktur erkannt, so sollte eine Anpassung der Pfannenverankerungen vorgenommen werden [5, 10]. Ziel ist ein ausreichendes Pressfit bzw. eine ausreichende Verankerung, um postoperativ eine Belastung der Pfanne zu ermöglichen und eine Migration zu vermeiden. Die Versorgungsmöglichkeiten reichen von additiven Schrauben bei fissuralen Frakturen und ausreichend stabiler Pfannenverankerung über eine Osteosynthese der Fraktur bis hin zur Überbrückung der Fraktur mit einem Burch-Schneider-Ring.

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