Übersichtsarbeiten - OUP 02/2018

Phosphaturischer mesenchymaler Tumor mit Induktion einer onkogenen Osteomalazie – Kasuistik von 2 Fällen

Maya Niethard1, Carmen Tiedke1, Manoj Kakkassery2, Matthias Werner3, Michael Ritter4, Per-Ulf Tunn1

Zusammenfassung: Der phosphaturische mesenchymale Tumor (PMT) ist eine seltene benigne Neoplasie, die im Rahmen eines paraneoplastischen Syndroms Fibroblast-growth-factor 23 (FGF-23) sezerniert. Maligne Transformationen mit Metastasierung sind in Einzelfällen beschrieben [6]. FGF-23 führt zu einer Phosphatverlust-Niere, sodass es im Verlauf zu einer Knochendemineralisation kommt, einer onkogenen Osteomalazie. Es findet sich ein ausgeglichenes Geschlechtsverhältnis sowie ein Erkrankungsalter zwischen 30–40 Jahren. 95 % der PMT treten an den Extremitäten auf, 5 % im Kopf-Hals-Bereich. Die Verteilung zwischen Weichteil- und Knochenmanifestationen ist ausgeglichen (Knochen: 53 %) [5]. Klinisch präsentieren sich die Patienten meist mit unspezifischen Knochenschmerzen, muskulärer Schwäche sowie multiplen pathologischen Frakturen. Laborchemisch sind eine Hyperphosphaturie sowie eine Hyphophosphatämie im Serum nachweisbar. FGF-23 ist erhöht [4].

Schlüsselwörter: phosphaturischer mesenchymaler Tumor,
onkogene Osteomalazie, paraneoplastisches Syndrom, FGF-23

Zitierweise
Niethard M, Tiedke C, Kakkassery M, Werner M, Ritter M, Tunn PU: Phosphaturischer mesenchymaler Tumor mit Induktion einer onkogenen Osteomalazie – Kasuistik von 2 Fällen.
OUP 2018; 7: 121–124 DOI 10.3238/oup.2018.0121–0124

Summary: Phosphoric mesenchymal tumor (PMT) is a rare benign neoplasm that secrets fibroblast growth factor 23 (FGF 23). Malignant transformations with metastasis are described in individual cases. FGF 23 leads to a phosphate-loss kidney, leading to bone demineralization and oncogenic osteomalacia. There is a balanced gender ratio and an age of onset between 30 and 40 years. 95 % of PMT occurs on the extremities, 5 % in the head and neck area. The distribution between soft tissue and bone manifestations is balanced (bone: 53 %). Clinically, patients usually present with unspecific bone pain as well as multiple pathological fractures. Laboratory tests show hyperphosphaturia and serum
hyphophosphatemia. FGF 23 is increased.

Keywords: phosphaturic mesenchymal tumor, oncogenic osteomalacia, paraneoplastic syndrome, FGF 23

Citation
Niethard M, Tiedke C, Kakkassery M, Werner M, Ritter M, Tunn PU:
Phosphaturic mesenchymal tumor with induction of oncogenic
osteomalacia – report of 2 cases.
OUP 2018; 7: 121–124 DOI 10.3238/oup.2018.0121–0124

1 Klinik für Tumororthopädie, Sarkomzentrum Berlin-Brandenburg, Helios Klinikum Berlin-Buch

Fall 1

In unserer tumororthopädischen Ambulanz wurde eine 72-jährige Frau mit seit 5 Monaten bestehenden Kniebeschwerden vorgestellt. Bei V.a. Gonarthrose erfolgte eine Röntgenuntersuchung, in der sich ein periostaler Tumor fand. Die ergänzende Bildgebung mittels MRT und CT zeigte am distalen dorsalen Femur meta-dipahysär einen 1,8 × 3 × 2,7 cm messenden, homogen kontrastierten, weichteildichten Tumor, der der dorsalen Kortikalis aufsaß. Die Raumforderung war vor allem randständig, teilweise kräftig mineralisiert. Mediodorsal war die Kortikalis punktförmig auf einer Breite von 5 x 5 mm vollständig aufgebraucht und in der Umgebung in ihrer Breite rarefiziert. Zum Markraum hin zeigten sich perifokal geringe feine Sklerosierungen. Eine Periostreaktion fand sich kaum (Abb. 1a–c). In der klinischen Untersuchung war das Knie äußerlich blande, ohne Ergussbildung und mit einer Beweglichkeit von Extension/Flektion 0/0/130° altersentsprechend beweglich. Laborchemisch fielen eine Hypophosphatämie sowie eine leicht erhöhte alkalische Phosphatase auf. Als Nebendiagnosen bestanden ein arterieller Hypertonus sowie ein Z.n. Resektion eines gutartigen intrazerebralen Tumors in der Kindheit. Im weiteren Staging ergab sich kein Hinweis für einen anderweitigen Primarius.

Bei bildgebender Differenzialdiagnose eines parossalen Osteosarkoms erfolgte in unserem Sarkomzentrum die Inzisionsbiopsie von lateral. Histopathologisch wird eine mesenchymale, zellreiche, gering riesenzellhaltige Läsion ohne zunächst erkennbare Proliferationsaktivität nachgewiesen. Somatostationrezeptor 2A (SSSTR-2A) wurde exprimiert [1, 3]. In der unentkalkten Präparation und Kunststoffeinbettung fanden sich zusätzlich kleine Fragmente von polarisationsoptisch lamellär konfiguriertem, ortsständigen Knochengewebe mit auffällig breiten Osteoidsäumen. Bei den daraufhin bestimmten Knochenstoffwechselparametern war FGF-23 mit 163 kRU/l (Normwert 26–110 kRU/l) deutlich erhöht.
Se rum-Phosphat war erniedrigt (0,41 mmol/l; Normwert 0,87–1,45 mmol/l). Abschließend konnte so die Diagnose eines phosphaturischen mesenchymalen Tumors gestellt werden.

Nach erfolgreicher Tumorresektion normalisierten sich Phosphat und FGF-23 im Serum zügig. Histologisch wurde im definitiven Resektat der phosphaturische mesenchymale Tumor bestätigt. In den ergänzend durchgeführten Beckenkammstanzen ließ sich die Induktion einer onkogenen Osteomalazie nachweisen, weshalb eine Vitamin-D-Substitution begonnen wurde.

Fall 2

Aus unserer Endokrinologie wurde uns eine 61-jährige Frau mit rechtsseitigen Fußschmerzen vorgestellt. Nach diagnostizierter Stressfraktur wurden im folgenden Jahr weitere Stressfrakturen der Rippen und des linken Sprunggelenks festgestellt. Bei progredienten Knochenschmerzen und rezidivierenden Frakturen ohne adäquates Trauma erfolgte in der ersten diagnostischen Beckenkammbiopsie der Nachweis einer Knochenmarkinfiltration durch ein Plasmazellmyelom, weshalb eine Induktions-Chemotherapie nach VRD-Regime (Bortezomib/Lenalidomid/Dexamethason) sowie eine Hochdosistherapie mit Melphalan und autologer Stammzelltransplantation erfolgte. Bei retrospektiver und persistierender schwerer Hypophosphatämie, auch unter substitutiver Therapie, fiel im weiteren Verlauf ein erhöhter FGF-23 auf, sodass der Verdacht auf das Vorliegen einer tumorinduzierten onkogenen Osteomalazie geäußert wurde. Die PET-CT stellte damals die multiplen Frakturen in Füßen und Rippen kräftig dar, ließ aber zunächst keinen primären Tumor abgrenzen. Da die Patientin auf eine kleine Weichteilschwellung der Fußsohle hinwies, die während der Diagnostik im Rahmen der Stressfrakturen aufgefallen war, ließ sich in einer zweiten Begutachtung der PET-CT eine – im Vergleich zu den Frakturen – minimale Mehrspeicherung in den Fuß-Weichteilen links abgrenzen (Abb. 2a). MR-morphologisch zeigte sich ein 1 cm großer KM-aufnehmender Tumor im Subkutangewebe, der Plantarfaszie anliegend (Abb. 2b). Mit 228 kRU/l (Normwert: 26–110 kRU/l) war FGF-23 deutlich erhöht. Gleichzeitig bestand mit 0,38 mmol/l (Normwert: 0,87–1,45 mmol/l) eine Hypophosphatämie im Serum. In Zusammenschau der Befunde konnte so die Verdachtsdiagnose eines mesenchymalen phosphaturischen Tumors gestellt werden.

Der Tumor wurde primär im Gesunden reseziert (Abb. 3). Die histopathologische Aufarbeitung bestätigte die Verdachtsdiagnose, wobei der Tumor einen Durchmesser von 14 mm aufwies. Die in selber Sitzung durchgeführten Beckenkammstanzen ließen histopathologisch die erwartete onkogene Osteomalazie nachweisen (Abb. 4). Perioperativ wurde die rasche Normalisierung von Phosphatspiegel im Serum und FGF-23 innerhalb von 48 Stunden dokumentiert (Abb. 5). Schon unmittelbar postoperativ berichtete die Patientin über einen Rückgang der beklagten Knochenschmerzen.

Diskussion

Der phosphaturische mesenchymale Tumor ist eine in der Regel benigne mesenchymale Neoplasie, die im Rahmen eines paraneoplastischen Syndroms zu einer onkogenen Osteomalazie führt. Maligne Transformationen sind nur selten beschrieben [6]. Mikroskopisch finden sich eine variable Zellularität sowie fibroblastenartige spindelförmige undifferenzierte Zellen, die typischerweise unregelmäßig verteilt fleckförmige granuläre Kalzifikationen sowie eingestreut auch mehrkernige osteoklastäre Riesenzellen und Blutungsherde aufweisen. Die Koexpression von SATB2, SSTR2A, ERG und CD56 wird als zuverlässig und reproduzierbar beschrieben [1].

Die onkogene Osteomalazie oder tumorinduzierte Osteomalazie (TIO) ist ein seltenes, mit dem PMT vergesellschaftetes paraneoplastisches Syndrom. Die vom Primärtumor sezernierte hormonähnliche Substanz FGF-23 führt dabei zu einem vermehrten renalen Phosphatverlust durch eine Inhibition der Phosphatreabsorbtion. Die resultierende Hypophosphatämie im Blut führt kompensatorisch zu einer Mobilisation von Phosphat und Kalzium aus dem Knochen, was zur Demineralisation führt. In beiden berichteten Fällen konnten wir einen erhöhten FGF-23-Wert und eine Hypophosphatämie im Serum nachweisen. Die Beckenkammstanzen zeigten beide nach entsprechend unentkalkter Präparation und Kunststoffeinbettung stark verbreiterte Osteoidsäume. Die intertrabekuläre Vernetzung war vermindert. In der Saure-Phosphatase-Reaktion waren einzelne flache resorbierende Osteoklasten in Resorptionslakunen nachweisbar.

Bei der zweiten Patientin wurde bereits 2 Jahre vor Diagnosestellung des PMT in einer ersten diagnostischen Beckenkammbiopsie der V.a. eine Osteomalazie geäußert. Da jedoch zusätzlich die Infiltration durch ein Plasmazellmyelom vorlag, erfolgte diesbezüglich die leitliniengerechte Therapie. Erst bei persistierender Beschwerdesymptomatik mit Knochenschmerzen, Fatigue und muskulärer Schwäche sowie trotz Substitution dauerhaft erniedrigten Phosphatwerten erfolgte die erweiterte endokrinologische Diagnostik bei der u.a. ein erhöhtes FGF-23 auffiel und der PMT im weiteren Verlauf lokalisiert und reseziert werden konnte.

Zur Lokalisation des oft sehr kleinen Primärtumors kommen mehrere bildgebende Modalitäten in Frage. Hierzu gehören die Tc99m-Skelettszintigrafie bei ossären Manifestationen sowie die Ganzkörper-MRT bzw. -CT. Bei der Positronen-Emissions-Tomografie (PET) scheint die DOTATATE PET-CT der F-FDG PET-CT überlegen [2]. In unserem ersten Fall war der Primärtumor bereits durch die erfolgte lokale Bildgebung bei Kniebeschwerden lokalisiert und konnte durch eine Inzisionsbiopsie bestätigt werden. Im zweiten Fall konnte erst mit dem Wissen der Verdachtsdiagnose eines phosphaturischen mesenchymalen Tumors und der repetitiven detaillierten Anamnese retrospektiv der Primarius an der Fußsohle lokalisiert werden, da im PET-CT die nur minimale Mehrspeicherung an der Fußsohle aufgrund der alles überstrahlenden Mehrspeicherungen der multiplen pathologischen Frakturen zunächst nicht als relevant eingestuft wurde.

Da Primärtumoren meist nur zwischen 1–5 cm messen, sollten sie, soweit möglich, vollständig chirurgisch reseziert werden. Alternativen wie die Kryoablation sind in Einzelfällen bei Inoperabilität beschrieben [7]. Bei intraossären Befunden ist bei insgesamt guter Prognose eine primäre intraläsionale Resektion gerechtfertigt. Segmentresektionen bleiben dem Rezidivfall vorbehalten [8].

Schlussfolgerung

Der mesenchymale phosphaturische Tumor ist eine Rarität. Publikationen zu primären ossären Manifestationen sind selten. Die Publikationshäufigkeit ist jedoch in den letzten Jahren stetig angestiegen, sodass die Kenntnis dieser Tumorentität empfehlenswert ist, vor allem weil den Patienten, die oft einen langen Leidensweg hinter sich haben, nach Lokalisation des Primärtumors in der Regel rasch und effizient geholfen werden kann.

Aufgrund der unspezifischen Symptome und der ubiquitären Lokalisation des Primarius ist die Diagnosestellung häufig verzögert. Die Diagnostik beinhaltet neben der lokalen Bildgebung auch die Bestimmung von Phosphat im Urin und Serum sowie FGF-23. Aufgrund des oft kleinen Primärtumors ist eine Ganzkörper-Bildgebung (MRT/PET-CT) bei der Lokalisation hilfreich. Goldstandard in der Therapie ist die vollständige Resektion. Im Anschluss kommt es typischerweise zu einer raschen Beschwerdelinderung sowie Normalisierung der Laborparameter.

Interessenkonflikt: Keine angegeben

Korrespondenzadresse

Dr. med. Maya Niethard

Klinik für Tumororthopädie

Helios Klinikum Berlin-Buch

Schwanebecker Chaussee 50

13125 Berlin

Maya.niethard@helios-gesundheit.de

Literatur

1. Agaimy A, Michal M, Chiosea S: Phosphaturic Mesenchymal Tumors: Clinicopathologic, Immunohistochemical and Molecular Analysis of 22 Cases Expanding their Morphologic and Immunophenotypic Spectrum. Am J Surg Pathol. 2017; 10: 1371–80

2. Agrawal K: Comparison of 18F-FDG and 68Ga DOTATATE PET/CT in localization of tumor causing oncogenic osteomalacia. Clin Nucl Med. 2015; 40: e6–e10

3. Clugston E, Gill AC, Graf N, Bonar F, Gill AJ: Use of immunohistochemistry for SSTR2A to support a diagnosis of phosphaturic mesenchymal tumour. Pathology. 2015; 47: 173–5

4. Dey B, Gochhait D, Subramanian H, Ponnusamy M: Oncogenic Osteomalacia: An Approach to Diagnosis with a Case Report. J Clin Diagn Res. 2017; 11: ED05–ED07

5. Qari H, Hamao-Sakamoto A, Fuselier C et al.: Phosphaturic Mesenchymal Tumor: 2 New Oral Cases and Review of 53 Cases in the Head and Neck. Head Neck Pathol. 2016; 10: 192–200

6. Qiu S, Cao LL, Qiu Y et al.: Malignant phosphaturic mesenchymal tumor with pulmonary metastasis: A case report. Medicine (Baltimore). 2017; 96: e6750

7. Tella SH, Amalou H, Wood BJ et al.: Multimodality Image-Guided Cryoablation for Inoperable Tumor-Induced Osteomalacia. J Bone Miner Res. 2017; 32: 2248–56

8. Wang H, Zong D, Liu Y et al.: Surgical Treatments of Tumor-Induced Osteomalacia Lesions in Long Bones: Seventeen Cases with More Than One Year of Follow-up. J Bone Joint Surg Am. 2015; 97: 1084–94

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Fussnoten

2 Institut für Röntgendiagnostik, Helios Klinikum Berlin-Buch

3 Institut für Gewebediagnostik/Pathologie, Sarkomzentrum Berlin-Brandenburg, MVZ am Helios Klinikum Emil von Behring

4 Diabetologie und Endokrinologie, Helios Klinikum Berlin-Buch

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