Übersichtsarbeiten - OUP 01/2017

Physiologische Gelenklinienrekonstruktion und radiologisch/ anatomische Landmarken in der Revisions-Knieendoprothetik

Michael Manzke1, Jörg Jerosch1

Zusammenfassung: Die stetig steigende Anzahl von implantierten Knie-Totalendoprothesen führt zu einer fortlaufend steigenden Zahl von Revisionseingriffen. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass eine adäquate Rekonstruktion der physiologischen Gelenklinie in der Revisions-Knieendoprothetik zu besseren klinischen Ergebnissen führt. Allerdings ist die Bestimmung der Lage der Gelenklinie immer noch eine Herausforderung. Mehrere Verfahren wurden vorgestellt, um die physiologische Gelenklinie zu bestimmen, die sich meist an anatomischen Landmarken orientieren, wie z.B. dem Fibulaköpfchen, der Tuberositas tibiae, dem Tuberculum adductorium, den Femur-Epikondylen oder der distalen Femur-Weite. Die aktuellere Literatur zeigt, dass aufgrund der großen individuellen Schwankungen die Verwendung von relativen Werten in Beziehung zu der transepikondyläre-Achsen-Weite (TEAW) zuverlässiger zu sein scheint, die Lage der Gelenklinie zu berechnen, als absolute Messwerte. Die am häufigsten genannten relativen Verhältnisse sind die Adduktor- und Epikondylen-Ratio.

Schlüsselwörter: Revisions-Knieendoprothetik, Gelenklinie,
radiologische Landmarken

Zitierweise
Manzke M, Jerosch J: Physiologische Gelenklinienrekonstruktion und radiologisch/anatomische Landmarken in der Revisions-Knieendoprothetik. OUP 2017; 1: 049–054 DOI 10.3238/oup.2016.0049–0054

Summary: The steadily increasing number of total knee replacements leads to a consecutive rising number of re-interventions. Various studies have shown that a proper restoration of the physiological joint line in revision total knee arthroplasty leads to improved clinical outcome. However, the assessment of the joint line is still challenging. Several methods have been introduced to determine physiological joint line that refer to anatomic landmarks e.g. fibular head, tuberositas tibiae, adductor tubercle, transepicondylar axis or distal femur width. Recent literature has suggested that because of the large individual variations the use of relative values in relationship to the transepicondylar-axis-width seems to be more reliable to calculate the level of joint line than absolute values. The most commonly mentioned relative ratios are the adductor- and epicondylar-ratio.

Keywords: revision total knee replacement, joint line,
radiological landmarks

Citation
Manzke M, Jerosch J: Physiological joint line reconstruction and radiological/anatomical landmarks in the revision of total knee replacement. OUP 2017; 1: 049–054 DOI 10.3238/oup.2016.0049–0054

Einleitung

Eine stetig steigende Zahl der weltweit implantierten Knieendoprothesen führt zu einer konsekutiven Steigerung der durchgeführten Revisionseingriffe [1]. Dy et al. [2] berichten eine Revisionsrate von primären totalen Knieendoprothesen nach 5 Jahren von 4 % und nach 9 Jahren von 8,9 %. Berücksichtigt man zusätzlich die zunehmenden sozioökonomischen Belastungen für die Gesellschaft [3, 4], so ist es von großem Interesse für Patient und Gesellschaft, den Prozess der Revisions-Knieendoprothetik möglichst zu optimieren.

Einer adäquaten Rekonstruktion der Gelenklinie kommt in diesem Kontext eine bedeutsame Rolle zu. Die Literatur zeigt je nach Studie, dass eine Erhöhung der Gelenklinie von mehr als 4–8 mm mit schlechteren klinischen Ergebnissen einhergeht [5–9]. Porteus et al. [10] beschreiben eine Gelenklinienerhöhung von über 5 mm in 36 % und Romero et al. [11] berichten in 60 % ihrer 22 Revisionsprothesen über eine durchschnittliche Erhöhung von 6,1 mm ± 3,7. Die Erhöhung der Gelenklinie mit einhergehender Patella baja führt zu einem erhöhten Anpressdruck im Tibio- und Patellofemoralgelenk, Impingement der Patella gegen Polyethylen oder gegen die tibiale Komponente [12] und kann ab ca. 5 mm zu einer Mid-flexion-Instabilität führen [13]. Erhöhter Knochenverlust aufgrund mehrfacher Revisionseingriffe, mechanischer Lockerungen, Polyethylenabrieb, chronischer Infektionen oder Mehr-Stufen-Revisionen mit Antibiotikaspacern erschweren den Prozess der adäquaten Wiederherstellung der Gelenklinie [14]. Porteus et al. unterteilten ihr Patientengut und zeigten, dass bei Verwendung distaler Femuraugmente in 30 % der Fälle die Gelenklinie erhöht wurde. War jedoch kein Augment verwendet worden, betrug die Rate der Gelenklinienerhöhung 62,5 %. Dies zeigt die Bedeutung distaler Femuraugmente zur Rekonstruktion von Knochendefekten und Gelenklinie [15].

In der Primärendoprothetik ist die Orientierung meist unkomplizierter, da dort eine Reihe von knöchernen und ligamentären Strukturen noch erhalten ist. In der Revisionsendoprothetik ist dies jedoch deutlich schwieriger, da meist anatomische Landmarken fehlen.

Der Operateur kann im Fall einer Knieprothesenrevision prinzipiell nach 2 Methoden vorgehen. Zum einen kann er sich an der Gelenklinie der bereits einliegenden Prothese orientieren, vorausgesetzt diese ist adäquat rekonstruiert und nicht der eigentliche Grund der Beschwerden. Zum anderen gibt es die Möglichkeit, sich an einer Reihe anatomischer Strukturen zu orientieren, welche im weiteren Verlauf erläutert werden sollen.

Fibulaköpfchen

Clave et al. [5] definierten die Höhe der Gelenklinie als Distanz zwischen der Tangente zur distalen Kante der Femurkondylen (bzw. des Implantats) und einer Parallele durch die Spitze des Fibulaköpfchens im a.p.-Röntgenbild (Abb. 1). Die durchschnittliche Distanz betrug auf der gesunden Seite ca. 15,2 mm und auf der Revisionsseite 17,4 mm, also 2,2 mm Erhöhung der Gelenklinie. Patienten mit einer Gelenklinienerhöhung von 4 mm oder mehr zeigten einen signifikant niedrigeren KSS-Score. Servien et al. [16] maßen in einer MRT-Studie von ca. 200 gesunden Knien in einer sagittalen Ebene die Distanz zwischen einer parallelen Linie durch die der Spitze des Fibulaköpfchens und einer Tangente des Tibiaplateaus. Dieser Abstand betrug im Schnitt 14,1 mm, jedoch mit einer Spannweite von 4,5–22,1 mm. Aufgrund dieser Spannweite halten die Autoren das Fibulaköpfchen für eine nicht verlässliche Landmarke zur Rekonstruktion der Gelenklinie. Eine Röntgenaufnahme der Gegenseite kann jedoch einen Hinweis auf die individuelle Höhe der Gelenklinie geben.

Tuberositas tibiae

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