Übersichtsarbeiten - OUP 01/2017

Physiologische Gelenklinienrekonstruktion und radiologisch/ anatomische Landmarken in der Revisions-Knieendoprothetik

Bei dieser Landmarke wird in sagittaler Ebene die Distanz des tibialen Ansatzes der Patellasehne zur Gelenklinie (Tangente am Tibiaplateau) bestimmt. Servien et al. [16] konnten im MRT eine Distanz von 21,9 mm messen, jedoch mit einer großen Spannweite von 10,6–32,1 mm. Figgie et al. [8] maßen bereits Mitte der 80er Jahre in 116 Posterior-stabilized- Knieprothesen im lateralen Röntgenbild die Distanz von der Tuberositas tibiae zur Gelenklinie (Tangente am Tibiaplateau, Abb. 2). Es zeigte sich eine durchschnittliche prä- zu postoperative Proximalisierung der Gelenklinie von 8,9 mm ± 4,6. Patienten mit einer Proximalisierung der Gelenklinie von weniger als 8 mm zeigten bessere klinische Ergebnisse. Andere Autoren konnten mit derselben Messmethode ebenfalls schlechtere klinische Ergebnisse bei einer Anhebung der Gelenklinie von 5 bzw. 8 mm beobachten [6, 10]. Claßen et al. [17] kritisierten, dass bei der Figgie-Methode das Tibiaplateau als Landmarke verwendet wurde und nutzten stattdessen eine Senkrechte zur Tibiaschaftachse, die als Tangente an die distalen Femurkondylen angelegt wurde. Damit ist die Messung nicht mehr vom individuellen Slope abhängig, welcher in der Figgie-Methode zu Messfehlern führen kann. Weiterhin ist es nicht mehr nötig, die Höhe des Polyethyleninlays zu kennen, welche in der herkömmlichen Messweise mit einberechnet werden musste.

Femurepikondylen

Mountney et al. [18] untersuchten in einer radiologischen Studie von 50 Knie-CT-Untersuchungen und einer Computer-Studie mit anatomischen Daten aus ca. 100 Computer-assistierten Knieendoprothesen das Verhältnis der Transepikondylen-Achsen-Weite (TEAW, Abb. 3) und der Höhe der Gelenklinie. Die TEAW wurde zunächst in einer axialen CT-Ebene zwischen medialer und lateraler Epikondyle vermessen und dann in der passenden frontalen Ebene identifiziert. Von dieser Achse (TEA) wurden 2 Senkrechte auf die mediale und laterale distale Oberfläche der Femurkondylen gezogen. Es zeigte sich eine signifikante Korrelation zwischen der TEAW und dem Abstand der TEA zur medialen und lateralen Oberfläche der Femurkondylen. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass sich die Höhe der Gelenklinie entlang der distalen Femurkondylen folgendermaßen ergibt: TEAW dividiert durch 3,4 = Höhe der Gelenklinie distal der transepikondylen-Achse (TEA).

Bieger et al. [19] untersuchten 69 Patienten nach Revisions-Knieendoprothese hinsichtlich ihres Outcomes im KSS und setzten diese in Beziehung zur Lage der Gelenklinie. Es wurden vergleichend die Methode nach Figgie [8] und das Epikondylen-Ratio verwendet. Das Epikondylen-Ratio errechnet sich aus der Distanz von medialer bzw. lateraler Epikondyle zur Gelenklinie, geteilt durch die TEAW (MEJL bzw. LEJL/TEAW, Abb. 3). Die Gelenklinie wurde in der Figgie-Methode als rekonstruiert angesehen, wenn diese maximal ± 5 mm zu präoperativ abwich oder in einer Reichweite von 10,6–32,1 mm nach Servien [16] lag. Ob die Gelenklinie nach der Epikondylen-Ratio rekonstruiert war, wurde ebenfalls nach den Normwerten von Servien et al. bewertet. Nach der Figgie-Methode konnte in 24 bzw. 26 Fällen die Gelenklinie adäquat rekonstruiert werden, nach der Epikondylen-Ratio-Methode in 46 Fällen. Der postoperative KSS-Score war bei Patienten mit positiv rekonstruierter Gelenklinie nach der Epikondylen-Ratio-Messmethode signifikant den Patienten ohne positive Rekonstruktion überlegen. Bei der Figgie-Methode konnte bei rekonstruierter Gelenklinie, ungeachtet welche der beiden Standardwerte verwendet wurden, keine klinische Überlegenheit nachgewiesen werden. Die Autoren empfehlen die Epikondylen-Ratio zur Rekonstruktion der individuellen Gelenklinie in der Revisions-Knieendoprothetik.

Romero et al. [11] konnten bei 45 Patienten im Knie a.p.-Röntgenbild ohne Kniepathologie außer Meniskusschäden ebenfalls eine signifikante Korrelation zwischen der TEAW und der Distanz von medialer bzw. lateraler Epikondyle zur Gelenklinie (Tangente der distalen Femurkondylen) finden. Es ergab sich ein Koeffizient von 0,4 medial und 0,3 lateral, welcher mit der TEAW multipliziert wird um die mediale bzw. laterale Gelenklinienhöhe distal der TEA zu berechnen.

Die aufgeführten Studien stimmen mit MRT-Untersuchungen von Griffin et al. überein, welcher ein nicht-geschlechtsspezifisches Ratio zwischen TEAW und senkrechter Distanz der Epikondylen zur Gelenklinie von 0,36 medial und 0,31 lateral errechnete [20].

Bei Durchsicht der letzten genannten Studien lässt sich eine ‚Eindrittelregelung‘ beobachten, da ein Drittel der TEAW die Lage der Gelenklinie distal der transepikondylären Achse (TEA) ergibt.

In einer Kadaverstudie mit 4 erfahrenen Chirurgen konnten Stoeckl et al. [21] jedoch zeigen, dass womöglich in einem Operationssetting das Identifizieren der Epikondylen durch den Chirurgen schwierig sein kann. So sei im Bereich der lateralen Epikondyle der klinisch meist prominente Punkt mehr proximal und ventral als der vorher im CT bestimmte Punkt.

Jerosch et al. [22] konnten ebenfalls in einer Kadaverstudie zeigen, dass die Lokalisation der Epikondylen mit einer Nadel an Spenderleichen zwischen erfahrenen Operateuren variiert. So variierten im Mittel an der lateralen Epikondyle die Werte um 6,44 mm und an der medialen Epikondyle sogar um 9,7 mm.

Tuberculum adductorium

Da absolute Messwerte der interindividuell ausgeprägten Unterschiede der Anatomie oft nicht gerecht werden [16, 20, 23], empfehlen einige Autoren, das Verhältnis verschiedener anatomischer Strukturen (Fibulaköpfchen, Tuberculum adductorium oder med/lat. Epikondyle) zur femoralen Weite (FW = TEAW, Abb. 3) zu studieren. Eine erst seit wenigen Jahren in der Literatur diskutierte Landmarke ist das Tuberculum adductorium. Iacono et al. [24] konnten in a.p.-Röntgenbildern von 110 Patienten (m/w 55/55, range 27–38y) mit Kreuzband oder Meniskusläsionen eine lineare, nicht geschlechtsspezifische Korrelation (r = 0,83) zwischen der femoralen Weite (FW, 89,8 ± 8,4 mm) und der Distanz vom Tuberculum adductorium zur Gelenklinie (ATJL, 48,7 ± 4,8 mm) finden. Gleiche Messungen mit der medialen Epikondyle (r = 0,52) und dem Fibulaköpfchen (r = 0,21) zeigten sich weniger verlässlich. Aus dieser Korrelation schließen die Autoren, dass sich die Höhe der Gelenklinie distal des Tuberculum adductorium berechnen lässt, indem die femorale Weite mit 0,53 multipliziert wird. Sollten die Epikondylen nicht erkennbar sein, wird ein Röntgenbild der Gegenseite empfohlen.

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