Übersichtsarbeiten - OUP 01/2017

Physiologische Gelenklinienrekonstruktion und radiologisch/ anatomische Landmarken in der Revisions-Knieendoprothetik

In einer Folgearbeit untersuchten Iacono el al. [25] in 21 Revisionseingriffen von Knieendoprothesen das ATJL/FW-Verhältnis und konnten zeigen, dass die berechnete Gelenklinie der intra-operativ nach Prothesenimplantation gemessenen ATJL glich.

Luyckx et al. [26] untersuchten in 100 Ganzbeinaufnahmen von gesunden Probanden ebenfalls das ATJL/FW-Verhältnis. Die ATJL-Distanz betrug 44,6 mm ± 4,3 und die femorale Weite 85,4 mm ± 7,1. Es zeigte sich eine starke lineare Korrelation zwischen ATJL und der FW (r = 0,82) und einer errechneten Ratio von 0,52.

Gürbüz et al. [27] untersuchten 117 a.p.-Röntgenbilder von 108 Patienten (m/w: 63/45, Durchschnittsalter 31y). Die ATJL-Distanz betrug im Durchschnitt 47,9 mm und die FW 87,2 mm. Auch hier konnte analog zu den o.g. Arbeiten eine alters- und geschlechtsunabhängige Korrelation zwischen dem Verhältnis von femoraler Weite und dem Abstand von Tuberculum adductorium zur Gelenklinie ermittelt werden mit einer Ratio von 0,52.

Aus diesen genannten Studien lässt sich eine Analogie ableiten, die sich mit einer 50 %-Regel beschreiben lässt, da 50 % der TEAW die Lage der Gelenklinie distal des Tuberculum adductorium ergibt.

Abbildung 4a zeigt einen bikondylären Oberflächenersatz, der aufgrund von Seitenbandinstabilität in eine achsgeführte Knie-TEP gewechselt wurde (Abb. 4b). Die Lage der Gelenklinie, beschrieben durch die ATJL-Distanz, wurde in diesem Fall mit 68,1 mm vs. präoperativ 68,2 mm adäquat rekonstruiert.

Weite der Femurdiaphyse

Clement et al. [28] konnten im lateralen Knie-Röntgenbild eine signifikante Korrelation zwischen der distalen Femurschaftweite und der Lage der Gelenklinie beobachten. In 105 lateralen Knie-Röntgenbildern (Abb. 5) wurde die Gelenklinie vom Punkt, an welchem die posteriore femorale Kondyle in eine Tangente des posterioren Kortex der Femurdiaphyse übergeht, zum distalen Femur gemessen (b). Diese Strecke wurde im Verhältnis zur Weite der Femurdiaphyse (a) gesetzt (auf Höhe es o.g. Übergangs der posterioren Kondyle und Tangente des posterioren Femurkortex). Die Gelenklinie betrug im Schnitt 63,5 mm (53–71 mm) und die Femurweite 33,4 mm (28–38 mm), woraus sich eine Ratio von 1,90 ergab. Mithilfe dieser Ratio lässt sich laut Autoren mit einer Genauigkeit von ca. 4 mm die Gelenklinie in schwierigen Revisionsfällen berechnen.

Fallbeispiel

68-jähriger männlicher Patient mit anhaltender Instabilität bei gestielter Knie-TEP rechts (Abb. 6a, ATJL= 65,1 mm, TEAW = 106,9 mm). Revision auf erneut achsgeführte Knie-TEP, jedoch mit Proximalisierung der Gelenklinie um ca. 3 cm (Abb. 6b, ATJL = 36,7 mm). Klinische bestand nun eine Hemmung der Kniestreckung. Es erfolgte eine Revision der femoralen Komponente mit Distalisierung der femoralen Gelenklinie um 3 cm, hierzu erfolgte eine femorale Zement-in-Zement-Zementierung und Knochenaufbau mit allogenem Bankknochen (Abb. 6c, ATJL = 65 mm).

Schlussfolgerung

Die Rekonstruktion der Gelenklinie ist ein wichtiger von mehreren Faktoren, welcher das Outcome nach Revision einer Knieendoprothese beeinflusst. Schlechtere Ergebnisse bei nicht adäquater Rekonstruktion sind vielfach in der Literatur beschrieben. Eine adäquate Orientierung an anatomischen Strukturen stellt einen elementaren Schritt zur Rekonstruktion dar. Bei Durchsicht der Literatur zeigt sich, dass die Verwendung verschiedener Ratio absoluten Messwerten überlegen ist. Hier sind vor allem 2 Ratio in jüngerer Vergangenheit häufig beschrieben worden (Abb. 7), von welchen sich 2 Regeln ableiten lassen:

  • 1. Für die Adduktor-Ratio gilt die 50 %-Regel, da 50 % der TEAW die Lage der Gelenklinie distal des Tuberculum adductorium ergibt.
  • 2. Für das Epikondylen-Ratio gilt die „Eindrittelregelung“, da ein Drittel der TEAW die Lage der Gelenklinie distal der transepikondylären Achse (TEA) ergibt.

Sollten im jeweiligen Fall nun weder die Epikondylen noch das Tuberculum adductorium zu identifizieren sein, so sollte eine Ganzbeinaufnahme der Gegenseite erfolgen. Alternativ kann im Einzelfall auch je nach Anatomie des Patienten einer der anderen o.g. Parameter, wie z.B. das Fibulaköpfchen, verwendet werden.

Interessenkonflikt: Keine angegeben

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Jörg Jerosch

Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin

Johanna-Etienne-Krankenhaus

Am Hasenberg 46

40416 Neuss

J.Jerosch@ak-neuss.de

Literatur

1. Kurtz S, Mowat F, Ong K et al.: Prevalence of primary and revision total hip and knee arthroplasty in the United States from 1990 through 2002. J Bone Joint Surg Am. 2005; 87: 1487–97

2. Dy CJ, Marx RG, Bozic KJ et al.: Risk factors for revision within 10 years of total knee arthroplasty. Clin Orthop Relat Res. 2014; 472: 1198–207

3. Oduwole KO, Molony DC, Walls RJ et al.: Increasing financial burden of revision total knee arthroplasty. Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc. 2010; 18: 945–8

4. Laverni C, Lee DJ, Hernandez VH: The increasing financial burden of knee revision surgery in the United States. Clin Orthop Relat Res. 2006; 446: 221–6

5. Clave A, Le Henaff G, Roger T et al.: Joint line level in revision total knee replacement: assessment and functional results with an average of seven years follow-up. Int Orthop. 2016; 40: 1655–1662

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