Übersichtsarbeiten - OUP 01/2021

Posttraumatische Achsfehlstellung mit nachfolgender Ellenbogensteife
Welche Therapiekonzepte gibt es?

Die klinische Untersuchung sollte das Bewegungsausmaß des betroffenen Ellenbogens (im Vergleich zur Gegenseite) mittels Neutral-0–Methode dokumentieren. Neben der Extensions-/Flexionsachse ist besonders die Pronations-/Supinationsachse bedeutsam, ebenso wie der Anschlage des Gelenkes bei Bewegungseinschränkung (weicher Anschlag vs. Blockade). Die Achsstellung des Ellenbogens wird klinisch dokumentiert und am (bis auf den proximalen Unterarm aufgeblendeten) a.p.- und seitlichen Röntgenbild in der frontalen und sagittalen Ebene ausgemessen (Abb. 2) [9]. Hobbys, Einschränkungen im täglichen Leben, Schmerz- und Medikationsprofil und der Stellenwert kosmetischer Aspekte der Deformität sollten angesprochen werden und fließen in die Beratung mit ein. Alle Patienten mit Komplexkorrekturen erhalten einen validierten sog. PROM Patient-Reported Outcome Measure, meist den Q-DASH am Ellenbogen und den PWRE am Handgelenk), der regelmäßig wiederholt wird [9]. Weitere wichtige Punkte sind die offene Aufklärung über die Aussichten einer Korrektur, die möglichen Komplikationen und eine Evaluation der Compliance des Patienten und seiner Familie (besonders bei Fixateur-gestützten Verfahren) [1–6]. Die Compliance hat einen echten Impact auf die Wahl des Therapieverfahrens, manche Patienten (mit niedriger Compliance) profitieren häufig von einer Akutkorrektur mit internen Verfahren als von einer komplexen langwierigen Fixateur-gestützten Modulation der Bewegungs-/Achskorrektur [2, 4, 5, 7, 9, 10, 17]. Jedweder Komplexkorrektur geht ein schriftlicher strukturierter Behandlungsplan mit Diagnosen, Problemen (Achsfehlstellung, Ausmaß der Steife etc.) und der entsprechenden Therapie voraus (Abb. 3) [6, 9, 13, 14]. Wird eine Fixateur-gestützte Distraktionsarthrolyse angeschlossen, ist eine profunde Kenntnis von Fixateursystemen und der Technik des Bewegungsfixateurs unabdingbar, eine Checkliste ist für dieses Verfahren etabliert und absolut sinnvoll [6].

Konventionelle Planung vs. computergestützte Planung (Rapid Prototyping)

In den letzten 5 Jahren haben wir bei allen Komplexkorrekturen, besonders bei ausgeprägten coronaren (Rotations-) Fehlstellungen eine computergestützte 3D-Planung mit/ohne Patienten, spezifischen Bohr- und Sägelehren oder zumindest den präoperativen 3D-Druck zur besseren Analyse der Fehlstellung und Analyse der extrinsischen Ursachen für die Ellenbogensteife verwendet, da diese multiplanaren Fehlstellungen nur akkurat 3-dimensional geplant und korrigiert werden können [9, 13, 14]. Das DRG-System in Deutschland bildet diese komplexen rekonstruktiven Eingriffe leider nicht entsprechend ab, derzeit erreicht man eine leicht positive Kosten-Nutzen-Bilanz, allerdings nur ohne die teure 3D-Planung inklusive Bohr- und Sägelehren (sogenannte custom made devices (CMD) zusätzlich derzeit Euro 3500). Daher ist für die Kostenübernahme oft eine individuelle Kostenübernahmeabklärung präoperativ notwendig. Die Abbildungen 3–10 zeigen exemplarisch die Möglichkeiten der 3D-Planung, die Planung der Bohr- und Sägelehren und die aktuelle Korrekturoperation (Abb. 3–10). Ein wirklich innovatives Tool bei konkomitanter Ellenbogensteife ist die Möglichkeit, den Bewegungsgewinn bei Abtragung degenerativer Anbauten zu simulieren und zu berechnen (Abb. 6).

Das Armamentarium

Bei Einsatz von computerisierten Planungstools und Rapid Prototyping Bohr- und Sägelehren werden diese zusammen mit den 3D gedruckten Modellen des prä- und post- Korrekturstatus sterilisiert und im Operationssaal kontrolliert und geordnet (Abb. 4).

Komplexe Korrekturen an Ellenbogen, Unterarm und Hand führen wir grundsätzlich mit steriler Blutleere und Lupenbrille durch (zur obligaten Identifikation und in situ-Neurolyse des Nervus ulnaris bei einer Flexionskontraktur von > 90°). Die sterile Blutleere kann dann nach erfolgter Korrektur/Arthrolyse/Neurolyse für eine fakultative Distraktionsfixateur-/Bewegungsfixateuranlage entfernt werden.

Bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen wird ein ganzes Arsenal von low-profile, multiangulär winkelstabilen Plattensystemen (für den distalen Humerus und den Unterarm) eingesetzt, diesen ist allen die erfolgte Implementation in das 3D-Planungsprogramm (eg. Mimics) gemeinsam. Zur temporären Fixation der Platten setzen wir häufig das sog. FFS-System (Fragment Fixation System der Fa. Orthofix®, (Abb. 11d)) ein, des Weiteren werden verschiedende Fadenankersysteme für die etwaige Refixation von sekundären (mediale und laterale Bandstrukturen) und tertiären Stabilisatoren (der streck- und beugeseitigen Muskelbündel) des Ellenbogens nach Arthrolyse oder zur Befestigung einer Interpositionsmembran (eg. Fascia lata) benötigt.

Der standardisiert eingesetzte Distraktionsfixateur und Bewegungsfixateur ist der Galaxy©-Fixateur der Firma Orthofix® (Abb. 12). Bei Kindern < 13 Jahren wird ein Handgelenksfixateur mit eingebauter Distraktionseinheit und der Original-Pennig-Ellenbogenfixateur eingesetzt [4, 5, 10]. Die Technik ist äußerst anspruchsvoll, eine aktuelle step-by-step-Operationsanleitung findet sich unter den Literaturhinweisen [6]. Im Folgenden wird das planerische und chirurgische Vorgehen an 2 komplexen Beispielfällen aufgezeigt.

Varusmalunion mit
ventralen Knochenanbauten und schwerer
posttraumatischer Steife

Der Cubitus varus/valgus ist häufig Folge einer kindlichen distalen Humerusfraktur, der Varus ist hierbei häufig mit einer Malunion nach suprakondylärer Humerusfraktur, der Valgus häufig nach Malunion/Nonunion mit dem Zustand nach Kondylus radialis-Fraktur assoziiert [9]. Während eine leichte Varusfehlstellung häufig als rein kosmetisches Problem wahrgenommen wird, gibt es selten schwere Verläufe mit multiplanarer Fehlstellung und konsekutiver Ellenbogensteife. Der erste Beispielpatient ist ein 13-jähriger junger rechtshändiger Patient, der 2 Jahre vor der Indexoperation eine suprakondyläre komplexe distale Humerusfraktur linksseitig (Marzi III–IV) erlitten hatte. Die operative Versorgung (mittel K-Drahtosteosynthese und Metallentfernung) wurde auswärts durchgeführt, insgesamt wurden bereits über 50 Behandlungen mit intensiver Krankengymnastik durchgeführt. Die Vorstellung erfolgt bei posttraumatischer Varusfehlstellung links und schwerer kombinierter Ellenbogensteife. Neben dem sichtbaren Varus ist bei uneingeschränkter Unterarmdrehung die Extension-Flexion mit 0–30–80° deutlich eingeschränkt. Bei hartem Anschlag in der Flexion wird die posttraumatische Steife in Anlehnung an Sun et al. als EFII klassifiziert [19]. Das Planungs- und Analyse-CT zeigt neben der ausgeprägten extraartikulären Fehlstellung massive ventrale knöcherne Anbauten. Mit dem Patienten und seiner Familie wird nach entsprechender Kommunikation mit der Krankenkasse eine computerisierte Planung und Operation mittels Rapid Prototyping und CMD durchgeführt. Nach der online durchgeführten Planungssession (zwischen dem Operateur und einem „Medical Engineer“ der entsprechenden Firma) wird ein strukturierter Behandlungsplan und ein PDF der gemeinsam durchgeführten Messungen und Operationsschritte erstellt und mit dem Patienten, den Eltern und dem Behandlungsteam besprochen (Abb. 2–10). Die Simulation der Korrektur der multiplanaren Fehlstellung (es handelt sich um eine Fehlstellung in allen 3 Ebenen) wird mit entsprechenden Bohrlehren für die mediale Platte, einer kombinierten Bohr-Sägelehre für die Osteotomie und Plattenosteosynthese lateral durchgeführt und zusätzlich können bei der Korrektur die knöchernen Vorsprünge (sog. „Bumps“) mittels Anzeichnungsschablonen zielgerichtet abgetragen werden (Abb. 5, 7). Die Simulation des möglichen Bewegungszugewinns ergibt einen Zuwachs von 50° in der E/F-Achse, dazu ist neben der Korrektur eine Abtragung der ventralen Osteophyten (über den radialen Zugang) notwendig (Abb. 6). Nach entsprechender Aufklärung wird in Vollnarkose und steriler Blutleere die Korrektur (mit Lupenbrille für die obligate in situ-Neurolyse des N. ulnaris) durchgeführt: Vorteil des Einsatzes von CMD ist neben der genauen Platzierung der Platten und einer exakten 3D-Osteotomie die Möglichkeit, durch die sterile Verfügbarkeit der Devices, intraoperativ die Lage der Bohr- und Sägelehren zu prüfen (Abb. 4, 8–10). Die Operation wird mit einem sog. „Briefing“ begonnen, einem Durchgehen der operativen Schritte und den einzelnen wichtigen Eckpunkten, sodass eine derartige Komplexkorrektur mit ventraler Osteophytenabtragung insgesamt nur 90 Minuten dauert. Zum Ende der Operation wird die passive Bewegung getestet und dokumentiert, sie beträgt 0–10–130° in der E/F-Achse bei freier Unterarmdrehung. Nach postoperativer Gipsruhigstellung und Überprüfen des intakten Gefäß- und Nervenstatus wird nach 10 Tagen mit der geführten Physiotherapie begonnen. Klinische und radiologische Kontrollen erfolgen nach 2/8 Wochen und 6/12 Monaten. Bei letztmaliger Vorstellung ist die Achse vollständig korrigiert, die E/F beträgt 0–20–135° und der q-DASH beträgt 10.

Intraartikuläre Fehlstellung bei fehlgeheilter Trochlea und schwerster Steife mit beginnender Arthrose

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