Übersichtsarbeiten - OUP 07-08/2017

Posttraumatische Schulterinstabilität
Diagnose und Therapie in der PraxisDiagnosis and treatment in practice

Dervis Kücükköylü1, Jörg Jerosch1

Zusammenfassung: Das Schultergelenk ist das am häufigsten von einer Instabilität betroffene Gelenk des Menschen, die Schulterluxation ist die am meisten auftretende Schulterverletzung; dabei macht die traumatische Schulterluxation mehr als ein Drittel der Schulterverletzungen aus. Es gibt verschiedene Klassifikationen basierend auf Luxationsursache und -richtung. Problem der meisten Klassifikationen ist die korrekte Abbildung häufig vorliegender Mischformen. In der Anamnese des Patienten können erste Hinweise auf Unterschiede zwischen einer traumatischen oder hyperlaxitätsbedingten Schulterinstabilität erhoben werden. Es ist wichtig, den Unterschied zwischen Laxizität und Instabilität zu kennen und zu erfassen. In der Bildgebung gilt die MRT heute weiterhin als der Gold-Standard in der morphologischen Diagnostik der Schulterinstabilität.

Die Entscheidung zwischen konservativer und operativer

,Therapie richtet sich in erster Linie nach dem Risiko für eine Rezidivluxation und hängt neben der Diagnose vom Alter, den Funktionsansprüchen und der Compliance des Patienten ab.

Schlüsselwörter: Schulterinstabilität, Klassifikation, Diagnostik, Therapie

Zitierweise
Kücükköylü D, Jerosch J: Posttraumatische Schulterinstabilität. Diagnose und Therapie in der Praxis.
OUP 2017; 7/8: 356–361 DOI 10.3238/oup.2017.0356–0361

Summary: The shoulder joint is the human joint which is most frequently affected by instability. The shoulder dislocation is the most common shoulder injury, and the traumatic shoulder dislocation makes up more than a third of the shoulder injuries. There are different classifications based on causes of dislocation and direction of dislocation. The problem of most classifications is the correct mapping of
frequently present mixing forms. In the patient‘s medical
history, first indications of differences between traumatic or hyperlaxis-induced shoulder instability can be obtained.
It is important to know the difference between laxity and
instability. In MR imaging today, MRI remains the gold standard in the morphological diagnosis of shoulder instability. The decision between conservative and operative therapy primarily depends on the risk of recurrence dislocation and depends on the diagnosis of the age, functional requirements and compliance of the patient.

Keywords: shoulder instability, classification, diagnostics, treatment

Citation
Kücükköylü D, Jerosch J: Posttraumatic shoulder instability. Diagnosis and treatment in practice.
OUP 2017; 7/8: 356–361 DOI 10.3238/oup.2017.0356–0361

Epidemiologie

Ungefähr 50 % Prozent aller Luxationen betreffen das Schultergelenk. Die Schulterluxation zeigt eine Inzidenz von 11–29 pro 100.000 Einwohner und ist damit die am häufigsten auftretende Schulterverletzung, wobei Männer bis zu 3-mal häufiger betroffen sind [17, 22, 30, 32]. Die traumatische Schulterluxation macht mehr als ein Drittel der Schulterverletzungen aus. Dabei zeigt sich eine vordere/untere Schulterluxation mit 80–90 % am häufigsten. Hintere Luxationen mit 4 % sind eher selten. Bei axillären Luxationen kommt es oft zu neurovaskulären Begleitverletzungen.

Ätiologie

Die forcierte Abduktions-Außenrotations-Bewegung stellt ein adäquates Trauma für die vordere Luxation (Abb. 1) dar und ist der typische Unfallmechanismus. Dies geschieht durch eine hebelnde Krafteinwirkung auf den gestreckten Arm wie z.B. beim Handballspieler mit ausgestrecktem Wurf-Arm oder beim Abfangen des gesamten Körpergewichts bei einem Sturz [18, 29]. Die selteneren hinteren Luxationen (Abb. 2) werden häufig durch epileptische Anfälle (Krampfleiden) oder Stromunfälle verursacht. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Schulter ein primär muskelgeführtes Gelenk ist.

Klassifikation der Schulterinstabilität

Es gibt verschiedene Klassifikationen, basierend auf Luxationsursache und -richtung. Problem der meisten Klassifikationen ist die korrekte Abbildung häufig vorliegender Mischformen. Die aktuell gängigsten Klassifikationen für den klinischen Alltag sind die Einteilung nach Gerber [9] und Matsen [19].

In der Klassifikation der Schulterinstabilität nach Gerber erfolgt eine genaue Abgrenzung zwischen Instabilität und Hyperlaxität, sowie indirekt zwischen traumatischer (unidirektional) und atraumatischer (multidirektional) Instabilität (Tab. 1). Hier wird die Laxität des Glenohumeralgelenks besonders berücksichtigt. Hyperlaxizität besteht, wenn der Humeruskopf in der antero-posterioren und inferioren Richtung aus dem Glenoid subluxiert werden kann, und macht keine klinischen Symptome. Die Hyperlaxizität kann durchaus physiologisch sein, stellt aber einen Risikofaktor für die Entwicklung einer chronischen Schulterinstabilität dar und hat Einfluss auf die Auswahl des Therapieverfahrens.

Die Einteilung nach Matsen berücksichtigt zusätzlich das mögliche operative Vorgehen und gliedert sich in 2 große Gruppen (Tab. 2). Sie basiert auf der Ätiologie, der Morphologie oder der Richtung der Instabilität.

Eine wichtige Unterscheidung ergibt sich hinsichtlich Traumaschwere und Unfallmechanismus, wobei zwischen traumatischer Instabilität (TUBS) und atraumatischer Instabilität (AMBRI) unterschieden wird [26].

Die traumatische Instabilität (TUBS) beruht auf einem adäquaten traumatischen (T) Ereignis, welches zu einer unidirektionalen (U) Instabilität führt, durch eine Bankart-Läsion (B) charakterisiert ist und im chronischen Fall chirurgisch („surgically“ S) behandelt wird [24].

Die atraumatische Instabilität (AMBRII) ist atraumatischen (A) Ursprungs, in der Regel assoziiert mit einer multidirektionalen (M) Gelenklaxität und häufig bilateral (B) anzutreffen. Die Behandlung erfolgt hauptsächlich durch Rehabilitation (R). Bei frustraner konservativer Therapie kann eine chirurgische Intervention notwendig werden. Das Rekonstruktionsprinzip beruht auf dem Verschluss des Rotatorenintervalls (I) sowie auf einem inferioren (I) Kapselshift.

Verletzungsfolgen

Je nach Alter des Patienten zeigt eine traumatische Schulterluxation typische Verletzungsfolgen. Anatomisch gehören die glenohumeralen Bänder zu den wichtigsten Stabilisatoren (superiores, mediales und inferiores glenohumerales Band), wobei die beiden letzteren bei der Luxation nach vorne regelhaft geschädigt sind.

Der Labrum-Ligament-Komplex kann an 3 Stellen verletzt werden, am glenoidalen Ansatz, im Bereich der Kapsel-/ Bandstrukturen und am humeralen Ansatz.

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