Übersichtsarbeiten - OUP 07-08/2017

Posttraumatische Schulterinstabilität
Diagnose und Therapie in der PraxisDiagnosis and treatment in practice

Die Bankart-Läsion stellt einen Abriss des Labrum glenoidale vom Limbus dar (Abb. 3). Wenn es im Rahmen des Traumas zu einem zusätzlichen knöchernen Abriss von Glenoid kommt, so wird diese Verletzung als knöcherne Bankart-Läsion bezeichnet. Betrifft der knöcherne Abriss mehr als ein Drittel der Gelenkfläche, spricht man von einer Bankart-Fraktur.

Eine begleitende subperiostale Ablösung des IGHL vom Skapulahals wird als Perthes-Läsion bezeichnet. Kommt es im Verlauf zur Ausbildung einer Narbenwulst am Boden der Periosttasche, nennt man dies ALPSA-Läsion (anterior labral periosteal sleeve avulsion).

Bei jüngeren Patienten sind Verletzungen des anterioren Kapsel-Labrum-Komplexes häufig.

Die Labrumläsion kann sowohl eine chondrale (GLAD: glenolabral articular Disruption) als auch eine ossäre Beteiligung aufweisen und nach superior bis in den Bizepssehnenanker hineinstrahlen (SLAP-Läsion: superiores Labrum von anterior nach posterior).

Die HAGL-Läsion (humeral avulsion of the glenohumeral ligament) beschreibt die humerale Ablösung des mittleren und/oder inferioren glenohumeralen Ligaments.

Im Rahmen des traumatischen Geschehens zeigt sich meist, bei der ventralen Luxation, eine charakteristische Impressionsfraktur des posterosuperioren Humeruskopfs im Sinne einer sogenannten Hill-Sachs-Läsion. Bei der posterioren Luxation tritt der Defekt entsprechend anterosuperior auf und wird dann als Reversed-Hill-Sachs-Läsion bezeichnet (Abb. 4). Ab einem Patientenalter über 40 Jahre finden sich nach traumatischen Luxationen vermehrt ligamentäre oder seltener auch ossäre Verletzungen der Rotatorenmanschette.

Die Inzidenz der begleitenden Pathologien nach traumatischer Schulterluxation lässt sich u.a. nach Boss et al. abschätzen [3]. Sie beobachteten im Rahmen einer prospektiven Evaluation von 106 posttraumatischen Schulterluxationen die in Tab.3 genannten Begleitpathologien.

Diagnostisches Vorgehen

Bei der Schulterinstabilität ist die muskuläre Balance der wichtigste dynamische Stabilisator [19, 20]. Sind in bestimmten Gelenkstellungen die dynamischen Stabilisatoren überfordert, wird der Humeruskopf in die Gelenkkapsel gedrückt und von ihr aufgefangen [23, 31]. In der Anamnese des Patienten können erste Hinweise auf Unterschiede zwischen einer traumatischen oder hyperlaxitätsbedingten Schulterinstabilität erhoben werden.

Es ist wichtig, den Unterschied zwischen Laxizität und Instabilität zu kennen und zu erfassen. Instabilität und Laxität sind nicht gleichbedeutend, sondern stellen 2 unterschiedliche Entitäten dar. Eine Instabilität ist eine symptomatische Verschiebung des Humeruskopfs gegenüber der Gelenkpfanne bei Bewegung [4]. Der Humeruskopf kann nicht aktiv in der Gelenkpfanne zentriert werden. Unter Laxität versteht man die passive Verschiebbarkeit des Humeruskopfs gegenüber der Gelenkpfanne. Das Ausmaß dieser passiven und symptomlosen Verschiebbarkeit des Humeruskopfs kann individuell sehr unterschiedlich sein. Eine allgemeine Hyperlaxität liegt vor, wenn 3 von 5 der von Carter und Wilkinson [6] beschriebenen Kriterien positiv sind (Tab. 4).

Nach Erhebung einer instabilitätsspezifischen Anamnese umfasst die klinische Diagnostik der Schulterinstabilität zahlreiche Instabilitäts- und Laxitätstests.

Die im klinischen Alltag am häufigsten zur Anwendung kommenden Instabilitätstests sind beispielsweise der Apprehension-Test nach Rowe, der Relokations-Test nach Jobe und der Jerk-Test nach Hawkins.

Mit dem Apprehension-Test nach Rowe prüft man die vordere Schulterinstabilität [28]. Am sitzenden oder stehenden Patienten führt der Untersucher den betroffenen Arm in Abduktion, Hyperextension und Außenrotation, während die andere Hand die Skapula fixiert und dabei mit dem Daumen den Humeruskopf von dorsal nach ventral schiebt.

Der Test ist positiv, wenn eine unwillkürliche muskuläre Anspannung zur Verhinderung der Subluxation bzw. Luxation auftritt oder der Patient ein Instabilitätsgefühl angibt.

Der Relokations-Test nach Jobe ist ein weiterer Test zur Prüfung einer vorderen Schulterinstabilität [15]. Hier befindet sich der Patient in Rückenlage und stabilisiert so die Skapula auf der Untersuchungsliege. Der Untersucher führt den Arm in eine 90°-Abduktionsposition mit maximaler Außenrotation. Der Untersucher führt nun einen Druck von vorn unten auf den Humeruskopf aus, wodurch eine Rezentrierung des Humeruskopfs im Glenoid erfolgt. Bei einem positiven Test wird die Anspannung verringert, die Schmerzen werden reduziert und der Arm kann evtl. weiter außenrotiert werden.

Der Jerk-Test nach Hawkins & Bokor dient der klinischen Untersuchung einer hinteren Schulterinstabilität [12]. Dieser wird am aufrecht stehenden oder sitzenden Patienten durchgeführt. Der Untersucher stabilisiert mit einer Hand den Schultergürtel und führt mit der anderen Hand den Arm des Patienten in eine 90°-Abduktionsposition. Bei axialem Druck in Richtung Gelenkpfanne kommt es bei innenrotiertem Oberarm und zunehmender Adduktion zu einer dorsalen Subluxation. Mit einer anschließenden Horizontalabduktion erfolgt die Reposition des Humeruskopfs. Der Test ist positiv, wenn der subluxierte Humeruskopf mit einem Schnappen in die Gelenkpfanne zurückspringt.

Tests zur Prüfung der Laxizität beurteilen das Ausmaß der Verschiebung des Humeruskopfs in Relation zur Gelenkpfanne nach anteroposterior und inferior. Diese sollten immer im Seitenvergleich durchgeführt werden. Hierzu gehören z.B. der Schubladen-Test, der Sulcus-Test oder der Hyperabduktions-Test.

Der vordere und hintere Schubladen-Test ist ein klinischer Routinetest zur Beurteilung der vorderen und hinteren Verschiebbarkeit des Humeruskopfs gegenüber der Gelenkpfanne [8]. Dabei sitzt der Patient mit leicht vorgebeugtem Oberkörper, Unterarme auf den Oberschenkeln abgelegt und entspanntem Schultergürtel. Der Untersucher steht hinter dem Patienten, dabei umfasst die eine Hand des Untersuchers die Spina scapulae und den Processus coracoideus. Mit der anderen Hand wird der Humeruskopf in der Fossa glenoidalis zentriert und anschließend soweit wie möglich nach vorne bewegt. Nach Zentrierung des Gelenks wird anschließend die Schublade nach hinten ausgeführt. Beim pathologischen Schubladentest lässt sich der Kopf aus der Pfanne drücken und subluxieren.

Die untere Verschiebbarkeit des Humeruskopfs kann mit dem Sulcus-Test geprüft werden. Am sitzenden oder stehenden Patienten fixiert der Untersucher mit einer Hand die Skapula und führt mit der anderen Hand im Bereich des Ellenbogens eine Traktion entlang der Armachse aus. Der Test ist positiv, wenn sich unterhalb des Akromions ein Sulcus bildet (Sulcuszeichen). Die Tiefe der Rinne kann in Zentimetern geschätzt werden.

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