Übersichtsarbeiten - OUP 09/2019

Proximale Femur-Osteotomie

Während am ausgewachsenen Skelett das Ziel die Reduktion der Arthroseprogression ist und bei der Hüftkopfnekrose die Verhinderung des Kopfeinbruchs, soll während des Wachstums eine möglichst normale Hüftmorphologie erreicht werden, um präarthrotische Deformitäten zu verhindern.

Bei Vorliegen einer relevanten Coxarthrose wurde das Verfahren der proximalen Valgisations-Osteotomie zugunsten des endoprothetischen Gelenkersatzes praktisch aufgegeben. Wie für alle gelenkerhaltenden Eingriffe ist das gewünschte Ziel der Verzögerung einer endoprothetischen Versorgung um mindestens 10 Jahre in der Regel ab einem Arthrosegrad 3 nach Kellgren-Lawrence nicht mehr erreichbar, bei Arthrosegrad 2 teils zweifelhaft.

Als Kombinationseingriff zu Pfanneneingriffen spielen proximale Femur-Osteotomien jedoch unverändert eine Rolle. Während historisch die proximale Femur-Osteotomie bei den oben genannten Diagnosen in bis zu 100 % der Fälle angewendet wurde, wird sie heute nur noch selten isoliert durchgeführt und in ca. 10–15 % [7, 14] als Zusatzmaßnahme bei Pfanneneingriffen eingesetzt. Vor allem wenn durch Zusatzeingriffe am proximalen Femur die Gelenkkongruenz optimiert werden kann, spielt sie nach wie vor eine Rolle.

Eine genaue Kenntnis und Analyse der Pathomorphologie ist Grundvoraussetzung, um die proximale Femur-Osteotomie isoliert oder als Kombinationseingriff zu Pfanneneingriffen erfolgreich einzusetzen.

Einteilung der proximalen Femur-Osteotomien

Die proximalen Femur-Osteotomien können zum einen anhand der anatomischen Region (Abb. 1) eingeteilt werden in:

  • Hüftkopf (1)
  • Schenkelhals (2)
  • transtrochantär (3)
  • intertrochantär (4)
  • subtrochantär (5)
  • Trochanter (6)

oder nach der Korrekturebene:

  • Varus/Valgus
  • Extension/Flexion
  • Außen-/Innentorsion
  • Drehung in der Schenkelhalsachse
  • Kombination der Ebenen.

Die Korrektur kann hierbei nur in einer Ebene oder in Kombination erfolgen. Wesentliche Indikationen mit Korrekturlokalisation und Korrekturebene sind in Tabelle 1 dargestellt.

Durch die Änderung der Schenkelhals-Ausrichtung kommt es unweigerlich auch zur Veränderung des Drehzentrums, des Femur-Offsets und der mechanische Lastachsen.

Durch die Beinachse ist zusätzlich eine Medialisierung oder Lateralisierung des Drehzentrums bzw. eine Erhöhung oder Reduktion des Femur-Offsets möglich. Für die Femurachse ergibt sich daraus die Möglichkeit einer zusätzlichen Verschiebung nach medial oder lateral sowie nach dorsal und ventral mit entsprechender Auswirkung auf das Kniegelenk.

Das komplexe Zusammenspiel und die Kombinationsmöglichkeit der möglichen Korrekturrichtungen müssen hierbei bezüglich ihrer Wechselbeziehungen stets berücksichtigt werden. Unerwünschte Nebeneffekte, z.B. auf die Beinachse, können bei geeigneter Kombination und Verwendung entsprechender Implantate und Osteotomietechniken vermieden oder bewusst verändert werden. Eine Veränderung der Beinlänge kann z.B. technisch durch Entnahme von Knochenkeilen und Verschiebung bei schiefen Osteotomieflächen in gewissen Grenzen beeinflusst werden.

Präoperative Diagnostik

Anamnestische Hinweise auf eine positive Familienanamnese, auf eine Hüftdysplasie, Schmerz- und Belastungsanamnese oder frühere Erkrankungen des Hüftgelenks lenken den Fokus auf pathologische Veränderungen des Hüftgelenks. Durch die klinische Untersuchung lässt sich die Hüftfunktion darstellen, ein klares Bild der zugrunde liegenden Pathologie lässt sich dadurch in der Regel jedoch nicht ableiten. Ausnahme ist die Torsionsfehlstellung des Femurs. Hierbei zeigt schon das normale Gehen mit einem innenrotierten Gangbild mit Patellaschielen oder der „Charlie-Chaplin-Gang“ mit außenrotiertem Gangbild eine Normabweichung. Eine ungefähre Quantifizierung der Torsionsfehlstellung erfolgt dann in der Bewegungsprüfung, am besten in Bauchlage in Hüftstreckung [20]. Hier zeigt sich dann die typische pathologische Verlagerung der Rotation zur Innenrotation (Coxa antetorta) oder zur Außenrotation (Coxa retrotorta). Eine weitere Pathologie, die klinisch zielführend ist, ist das Drehmannzeichen bei der ECF.

Die Untersuchung der Gelenkbeweglichkeit ist vor geplanten Osteotomien wichtig, da vorbestehende Kontrakturen eine relative Kontraindikation darstellen oder Weichteileingriffe im Bereich der Sehnen zusätzlich notwendig sind. Dies trifft insbesondere für Patienten mit spastischer Bewegungsstörung und Kontrakturen beim Morbus Perthes zu.

Die zentrale Rolle in der Analyse der Pathomorphologie hat jedoch die Bildgebung. Standarddiagnostik ist unverändert die klassische Röntgendiagnostik. Hier sollte als primäre Standarduntersuchung eine Beckenübersicht, idealerweise im Stand und ohne Gonadenschutz, durchgeführt werden. Zur Beurteilung von Kopf-Hals-Übergangsstörungen wird ebenfalls eine axiale Hüftaufnahme in der Primärdiagnostik empfohlen.

Bei Verdacht auf einen Morbus Perthes beim Kind oder eine Hüftkopfnekrose beim Erwachsenen kann auch primär eine MRT erfolgen, da hierdurch auch im Röntgen okkulte Frühstadien erfasst werden.

Weiterführende Aufnahmen wie die Rippstein-Aufnahme zur Bestimmung der Schenkelhalsantetorsion sind durch die Schnittbildgebung ersetzt. Bei inkongruenten Gelenken können An- und Abspreizaufnahmen präoperativ oder die intraoperative Bildwandleruntersuchung die mögliche Verbesserung des Gelenkkongruenz simulieren.

Eine weiterführende Schnittbildgebung erfolgt mittels 3D-Bildgebung. Je nach zugrunde liegender Pathologie sind hier folgende MRT-Verfahren geeignet:

  • FAI – radiäres MRT
  • Torsionsabweichung – Torsions-MRT.

CT-Untersuchungen zur Torsionsmessung [24] oder 3D-Rekonstruktionen sollten aufgrund der Strahlenbelastung bei den in der Regel jungen Patienten streng indiziert sein und – wenn immer möglich – durch MRT-Bildgebung ersetzt werden. Sowohl für das radiäre MRT als auch die Torsionsbestimmung sind standardisierte Protokolle und eine gute Kooperation zwischen Radiologen und Chirurgen notwendig, um Fehlmessungen und Fehlinterpretationen zu vermeiden. Eine Ausmessung der Bilder durch den Chirurgen selbst wird empfohlen.

Intertrochantäre
Osteotomien

Die intertrochantären Osteotomien sind die am häufigsten durchgeführten proximalen Femur-Osteotomien und können in den oben beschriebenen Ebenen eindimensional oder in Kombination erfolgen.

Die am häufigsten durchgeführte Korrektur ist hierbei die Varisations-Derotation bei der Coxa valga et antetorta in Kombination mit einer Pfannen-Reorientierung (Abb. 2). Isolierte Valgisations-Osteotomien sind sehr selten bei extremer Coxa vara mit Glutealinsuffizienz indiziert. Zur Behandlung der manifesten Arthrose kommen sie nicht mehr zum Einsatz.

Bei der Therapie der Schenkelhals-Pseudarthose nach Fraktur ist die Valgisations-Osteotmie mit der klassischen 130°-Platte auch nach fehlgeschlagener Osteosynthese mittels proximalem Femurnagel als Alternativverfahren geeignet, hier zeigen sich in der Literatur Erfolgsraten im Bereich von 90–100 % [2, 8].

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