Übersichtsarbeiten - OUP 06/2021

Radiosynoviorthese bei entzündlich rheumatischen Gelenkkrankheiten

Wolfgang Rüther

Zusammenfassung:
Die RSO ist eine ergänzende Intervention zur lokalen Therapie krankhafter Veränderungen des Synovialgewebes. Anders als im internationalen, und auch deutschsprachigen, Ausland ist die Indikation zur RSO in Deutschland an festgelegte Diagnosen gebunden. Jede darüber hinausgehende Anwendung entspricht einem off-label-use, der erhebliche Vorsichtsmaßnahmen, Dokumentationen und letztlich die Krankenkassengenehmigung verlangt. Die RSO ist in Deutschland für eine Anwendung bei Arthrosen aller Art wegen fehlenden Wirkungsnachweisen nicht zugelassen. Empfehlungen einer deutsch-schweizerisch-österreichischen aktuellen Leitlinie zur Indikation der RSO z.B. bei rezidivierenden Ergüssen bei einliegenden Endoprothesen, bei Abriebsynovialitis oder bei Kristallarthropathien sollte mit Skepsis begegnet werden. Auch wenn es allein dem Nuklearmediziner zukommt, die rechtfertigende Indikation zur RSO zu stellen, tragen zuweisende Orthopäden/Unfallchirurgen und Rheumatologen eine erhebliche Mitverantwortung bei der korrekten Indikationsfindung.

Schlüsselwörter:
Radiosynoviorthese, Synovialitis, entzündlich rheumatische Krankheiten, konservative Therapie

Zitierweise:
Rüther W: Radiosynoviorthese bei entzündlich rheumatischen Gelenkkrankheiten.
OUP 2021; 10: 260–263
DOI 10.3238/oup.2021.0260–0263

Summary: Radiosynoviorthesis (RSO) complements the available options in nonsurgical treatment of synovial diseases. In Germany the application of RSO differs significantly from foreign countries. In Germany the indication is bound to distinct pathological entities such as rheumatoid arthritis, haemophilia and tendosynovial giant cell tumor. In Germany RSO lacks the registration for any kind of osteoarthritis. The same is true for any kind of synovial affection in joints that are replaced by endoprosthesis. Main reason is inadequate evidence for sufficient curative effect.The nuclear physician is legally responsible to indicate radiosynoviorthesis properly. But the orthopaedic surgeon and the rheumatologist take part in careful patient selection and the pre- and aftercare.

Keywords: Radiosynoviorthesis, synovitis, rheumatic diseases, non surgical treatment

Citation: Rüther W: Radiosynoviorthesis in rheumatic diseases.
OUP 2021; 10: 260–263. DOI 10.3238/oup.2021.0260–0263

Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Krankenhaus Reinbek St. Adolf-Stift & Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf

Einleitung

Als Synoviorthese bezeichnet man die lokale therapeutische Beeinflussung einer Artikulosynovialitis auf chemischem oder aktinischem Wege. Substanzen wie Osmiumsäure, Cytostatica, Silikonöl, ungesättigte Fettsäuren, katalytische Enzyme usw. sind nicht mehr im Gebrauch. Die Synoviorthese mit Kortisonkristallen wird hingegen nach wie vor mit Erfolg durchgeführt [8].

Die aktinische Zerstörung des pathologisch veränderten Synovialgewebes wird als Radiosynoviorthese (RSO) seit mehreren Jahrzehnten angewendet. In Deutschland wird RSO weltweit am häufigsten durchgeführt, obwohl hier deutlich strengere Indikationskriterien bestehen als im internationalen Ausland.

Die deutsche, österreichische und schweizerische wissenschaftliche Gesellschaft für Nuklearmedizin legte 2019 eine aktualisierte 3-Länder-Leitlinie vor, bei der es sich um eine S1k-Leitlinie und damit um eine Handlungsempfehlung handelt [2]. Da in Österreich und in der Schweiz die Indikationen zur RSO deutlich weiter gefasst bzw. nicht durch Verordnungen geregelt sind, ergibt sich für Deutschland ein ganz anderes Spektrum zugelassener Indikationen als man in Anbetracht dieser S1k-Leitlinie den Eindruck haben könnte.

Diese Leitlinie nennt entzündlich verändertes Synovialgewebe als Indikation für eine RSO, und zwar weitgehend unabhängig von der Ätiologie der Synovialitis. Unter diesen Voraussetzungen erscheint es folgerichtig, eine präinterventionelle positive Mehrphasenszintigraphie als indikationsbegründend einzuordnen. Diese Sichtweise ist für Deutschland nicht anwendbar. In Deutschland bezieht sich die amtliche Zulassung der Radionuklide auf klar umrissene Krankheitsbilder, die gesicherte Diagnosen voraussetzen. Für die praktische Anwendung sind diese Unterschiede erheblich [2].

Die Ursachen für die unterschiedlichen Regelungen im deutschsprachigen Raum liegen u.a. in den unterschiedlichen Rechtsvorschriften der Länder. Die internationale wissenschaftliche Literatur zur RSO, die die Entscheidungsgrundlage der Verordnungsgeber darstellt, muss als spärlich bezeichnet werden. Dieser Umstand mag umso mehr verwundern, als die RSO seit Jahrzehnten Verwendung findet.

Für Orthopäden/Unfallchirurgen und für Rheumatologen, welche die
Indikationsstellung mitverantworten, aber die Prozedur nicht selbst durchführen, mögen folgende Erläuterungen hilfreich sein. Die Ausführungen fassen sich bezüglich der praktischen Durchführung, der Auswahl des geeigneten Kolloids und der strahlenhygienischen Obliegenheiten bewusst kurz.

Wirkungsweise

Die radioaktiven Kolloide (Erbium, Rhenium oder Yttrium, je nach Gelenkgröße) werden per Injektionen in das Gelenkkavum eingebracht und verteilen sich hier gleichmäßig. Septierungen, Reiskörper, Fibrinflocken usw. können die gleichmäßige Verteilung behindern. Die Kolloide werden im Stratum synoviale phagozytiert und bewirken eine Strahlennekrose der Zellen und ihrer Umgebung.

Yttrium (90Y), Rhenium (186Re) und Erbium (169Er) zerfallen mit einer physikalischen Halbwertszeit von 64 Stunden, resp. 3,72 Tagen und 9,40 Tagen. Beim Zerfall wird Beta-Strahlung freigesetzt, die bei 90 Y bis zu 11 mm in Weichgewebe eindringt, bei Erbium und Rhenium deutlich weniger tief. Die Wirkungen auf das Synovialgewebe lassen sich noch über mehrere Monate histologisch als Zellnekrosen nachweisen. Nachteilige Wirkungen auf den Gelenkknorpel werden als vergleichsweise gering erachtet. Nach Abheilung des Strahleneffektes resultiert eine Fibrose des Synovialgewebes, die sich positiv auf die Blutungsneigung bei der Hämophilie [1] und auf die synovialen Entzündungsvorgänge bei der rheumatoiden Arthritis auswirkt [8].

Indikationen

Der RSO-Anwender muss sich in Deutschland an die gültige Version der Fachinformation halten, die wiederum auf den Zulassungsbescheiden der zuständigen Behörde BfArM fußt. Will der Anwender davon abweichen, begründet sich ein off-label-use. Dies ist unter Umständen zulässig, verlangt aber eine besondere Patientenaufklärung, muss besonders begründet sein und sich auf Ausnahmeindikationen begrenzen, schließt eine Herstellerhaftung aus und die Krankenkassen sind nicht zur Kostenübernahme verpflichtet [7]. In Deutschland ist die Anwendung der RSO klar auf 4 Indikationen beschränkt:

1. Rheumatoide Arthritis

2. Seronegative Spondyloarthropathie (z.B. reaktive
Arthritis, Psoriasisarthritis)

Die Indikation zur RSO bei bekannter rheumatoider Arthritis oder Spondyloarthritis hat der Verordnungsgeber nicht an einen Ausprägungsgrad der Synovialitis oder an einen prä- oder postoperativen Status gebunden. Die Leitlinien empfehlen aber, die RSO auf die Stadien 1 und 2 nach Larsen, Dale, Eek zu beschränken, vor allem um eine Ausbreitung des Nuklids in den intraossären Raum zu verhindern [2–3]. Die Indikation darf erst nach erfolgloser medikamentöser Therapie gestellt werden, d.h. ein Erfolg leitliniengerechter Therapieeskalation bis hin zu den Biologica ist zunächst abzuwarten. Auch die Möglichkeiten anderweitiger intraartikulärer Lokaltherapie sind vor der RSO auszuschöpfen [4–6].

3. Pigmentierte villonoduläre Synovialitis nach erfolgter Operation

Beim tendosynovialen Riesenzelltumor eines Gelenkes (pigmentierte villonoduläre Synovitis PVNS) ist die RSO in Deutschland erst nach erfolgter operativer Therapie zugelassen [4–6]. Ohne histologische Diagnosesicherung eines diffusen PVNS-Typs wird man in Deutschland eine RSO nicht indizieren können.

4.

Hämophilie mit Arthropathie (zur Blutungsprophylaxe)

Bei der Hämophiliearthropathie soll die RSO die intraartikuläre Blutungsfrequenz senken. Die RSO ist hier nicht als Schmerztherapeutikum zu betrachten. Einschränkungen sind im Kindesalter bei noch offenen Wachstumsfugen zu beachten. Vor Injektion ist eine ausreichende Faktorensubstitution erforderlich.

Anwendung

Die Anwendung der RSO bei jedweder Form der Arthrose ist in Deutschland als off-label-use einzustufen - mit allen Konsequenzen. Die in der multinationalen S1k-Leitlinie dargestellten Empfehlungen u.a. bei therapierefraktären Gelenkergüssen nach Endoprothesen und bei fremdkörperbedingter Synovialitis sind in Deutschland nicht gültig und können nur in begründeten seltenen Ausnahmefällen als off-label-use Anwendung finden. Auch Arthritiden durch Kristalle (Gicht, Pseudogicht) fallen in Deutschland nicht unter das zugelassene Indikationsspektrum einer RSO [3–6].

Allein der Nuklearmediziner stellt und verantwortet die rechtfertigende Indikation, nicht der Zuweiser, wenngleich dieser bei der Indikationsfindung unentbehrlich ist [7]. Laut Fachinformation müssen in Deutschland „die Diagnosen und die Indikationsstellung im Rahmen einer interdisziplinär getragenen Therapiestrategie in Zusammenarbeit mit einem rheumatologisch versierten Arzt gestellt werden“ [4–6]. Der Nuklearmediziner stützt sich auf die abgesicherte Diagnose der Zuweiser. Diese sind sowohl bei der präinterventionellen Diagnosesicherung als auch bei der individuellen Indikationsstellung maßgeblich und verantwortlich beteiligt. Das gilt auch für die ggf. notwendige medikamentöse und physiotherapeutische Vor- und Nachbehandlung. Dementsprechend hat ein ausreichender Informationsfluss zwischen dem Zuweiser und dem Nuklearmediziner zu erfolgen. Nach Meinung des Autors ist es nicht ausreichend, auf dem Überweisungsschein die Diagnose „Osteoarthritis“ (in Deutschland auch Synonym für eine aktivierte Arthrose) zu vermerken, die der Nuklearmediziner als indikationsrechtfertigende, systemische entzündlich rheumatische Krankheit („Arthritis“) auffassen könnte, zusammen mit einem Synovialitisnachweis durch Mehrphasenszintigraphie eine RSO-Indikation nach den deutschen Indikationskriterien 1 oder 2 für gerechtfertigt hält. Dieses Vorgehen würde den strengen Indikationskriterien in Deutschland nicht entsprechen.

Kontraindikationen

Die deutsche Fachinformation [4–6] kennzeichnet die Kontraindikation Schwangerschaft am deutlichsten: Schon die vermutete Schwangerschaft ist eine Kontraindikation. Frauen im gebärfähigen Alter müssen vor Beginn und bis 4 Monate nach der Behandlung eine wirksame Schwangerschaftsverhütung praktizieren.

Die rupturierte Bakerzyste wird in allen älteren und neueren Leitlinien als Kontraindikation benannt. In der aktuellen S2k-Leitlinie der DGOU „Synovialektomie“ [3] erscheinen jetzt zu Recht „Arthrocelen und kommunizierende Bursae mit Ventilmechanismus“ als Kontraindikation. In diesen Fällen lässt sich nämlich nicht ausschließen, dass sich das Kolloid extraartikulär in unkalkulierbaren Konzentrationen sammelt und Strahlenschäden an Weichgeweben, u.a. angrenzenden Nerven und Gefäßen erzeugt. Zu nennen sind hier nicht nur die Bakerzyste, sondern z.B. auch die kommunizierende Bursa iliopectinea am Hüftgelenk und die ventralen Arthrocelen am Ellengelenk.

Weitere Kontraindikationen

Überempfindlichkeit gegen
Inhaltsstoffe

Stillzeit

massives Hämarthros

septische Arthritis

Arthritis urica und andere Kristallarthropathien

Hauterkrankungen in der Umgebung der Injektionsstelle

intraartikuläre Fraktur oder Ruptur der fibrösen Gelenkkapsel

Die RSO ist bei Kindern und
Jugendlichen in der Wachstumsphase nur in begründeten Ausnahmefällen zulässig, um Beeinträchtigungen der teils intraartikulär
liegenden Wachstumsfugen zu
verhindern.

Durchführung

Die Anwendung obliegt dem Nuklearmediziner, so dass an dieser Stelle nur einige Eckpunkte, die auch für den Orthopäden und Rheumatologen von Bedeutung sind, aufgeführt werden.

Eine RSO kann grundsätzlich ambulant durchgeführt werden. Gelingt die Ruhigstellung nur unzuverlässig, kann die Hospitalisierung in Erwägung gezogen werden.

Um das unerwünschte Abströmen der Aktivität über die Lymphbahnen zu vermindern, muss das Gelenk für 48 Stunden weitgehend ruhiggestellt werden. Dieser Zeitraum ermisst sich nicht an der Strahlungsdauer des Nuklides, sondern an der Zeit bis zur Phagozytose der Kolloide im Synovialgewebe. Strenge Bettruhe ist nicht erforderlich [4–6].

Bei paraartikulärer Injektion können Nekrosen an unerwünschter Stelle auftreten (cave PIP-Gelenke). Einer Stichkanalnekrose kann durch Ausspülen der Injektionsnadel in situ vorgebeugt werden (Abb. 1). Nach Synovialbiopsie oder Arthroskopie müssen die Operationswunden sicher verheilt sein.

Auch bei guter interdisziplinärer Nachbetreuung ist der Nuklearmediziner entsprechend der Richtlinie Strahlenschutz verpflichtet, den klinischen Zustand des behandelten Gelenkes nach 3, 6 und 12 Monaten selbst zu überprüfen und zu dokumentieren [7].

Die Fachinformation [4–6] empfiehlt eine Wiederholung der Radiosynoviorthese frühestens 6 Monate nach Erstapplikation, da erst dann der Therapiemisserfolg der Erstapplikation beurteilt werden kann. Eine Wiederholung der Radiosynoviorthese bei Patienten, bei denen eine zweimalige Applikation keinen Effekt gezeigt hat, erscheint nicht sinnvoll.

Der präinterventionelle Synovialitisnachweis mittels Mehrphasenszintigraphie wird in der täglichen Praxis geradezu regelhaft vorgenommen. Er ist aber nicht immer erforderlich. Ist die Diagnose einer entzündlich-rheumatischer Arthropathie gesichert, kann eine floride lokale Synovialitis mittels Doppler-Sonographie, MRT oder 3-Phasen-Skelettszintigraphie nachgewiesen werden. Liegt ein MRT vor, ist eine Mehrphasenszintigraphie vor RSO meist verzichtbar. Für eine RSO, die 6 Wochen nach einer chirurgischen Synovialektomie durchgeführt wird, bedarf es keines weiteren Nachweises einer lokalen Synovialitis. Dennoch können in manchen Fällen Zweifel bestehen, ob die bestehende Symptomatik auf eine persistierende Synovialitis oder eine Sekundärarthrose zurückzuführen ist; in letzterem Fall ist dann eine RSO nicht indiziert. Auch bei Monarthritiden mag es Situationen geben, bei denen ein Synovialitisnachweis vor RSO hilfreich ist. Wurde eine PVNS per Synovialektomie operiert, leistet eine Frühszintigraphie zur Indikationsstellung keinen weiteren Beitrag. Bei der Hämophiliearthropathie hat sich die Mehrphasenszintigraphie als nicht voraussagefähig für den Erfolg einer RSO herausgestellt und ist daher in dieser Indikation entbehrlich [9].

Interessenkonflikte:

Keine angegeben.

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de

Korrespondenzanschrift

Prof. Dr. Wolfgang Rüther

Klinik für Orthopädie und

Unfallchirurgie

Krankenhaus Reinbek St. Adolf-Stift

Hamburger Str. 41

21465 Reinbek

ruether@uke.de

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