Übersichtsarbeiten - OUP 09/2018

Rechtliche Aspekte der Digitalisierung in der Medizin

Albrecht Wienke1, Kim-Victoria Friese1

Zusammenfassung: Die Digitalisierung im Gesundheitswesen umschreibt die Anpassung der täglichen Abläufe und Prozesse an die aktuellen technischen Möglichkeiten und Kommunikationswege. Aspekte der Datensicherheit und das Selbstbestimmungsrecht der Patienten stehen dabei im Fokus. Der Gesetzgeber selbst treibt die Entwicklung der Digitalisierung voran, neben den bestehenden
Regelungen werden in der laufenden Legislaturperiode
weitere Neuerungen erfolgen. Die Digitalisierung wird die Abläufe im ärztlichen Alltag verändern. Dabei werden auch ganz neue, rechtliche Fragestellungen in den Fokus rücken. Reformen des materiellen Rechts und des Prozessrechts
werden erforderlich sein. Die Jurisprudenz wird die neuen Fragestellungen letztlich lösen, was aber auch zu einer Fortentwicklung des an die ärztliche Sorgfaltspflicht zu stellenden Maßstabs führen wird. Letztlich wird sich kein Arzt der Entwicklung verschließen können.

Schlüsselwörter: Telematik-Infrastruktur, elektronische Gesundheitskarte, Medikationsplan, Arztbriefe, Fernbehandlungsverbot, elektronische Gesundheitsakte, digitale Anwendungen,
Aufklärung, Datenschutz, Arzthaftungsrecht

Zitierweise
Wienke A, Friese KV: Rechtliche Aspekte der Digitalisierung in der
Medizin. OUP 2018; 7: 441–444 DOI 10.3238/oup.2018.0441–0444

Summary: The buzz phrase “digitalization in the health sector” describes the adaptation of daily routines and processes to current technical possibilities and means of communication. Data protection and self-determination of patients are at the focal point in this process. The legislator keeps propelling the development of digitalization: Apart from already existing regulations, further legal novelties are expected to come into being in the subsequent legislative period. Digitalization is bound to alter the day-to-day processes of medical practitioners. In that context completely new legal question are likely to emerge. Reforms of substantive law as well as of procedural law will become necessary. The jurisdiction will have to solve the arising legal problems; this might eventually also lead to an alteration of the criteria of medical due diligence. In the end, these developments will affect every medical practitioner.

Keywords: telematics infrastructure, electronic health card,
medication chart, referral letter, legal prohibition of telemedicine, electronic health record, digital applications, patient education, data privacy, medical malpractice law

Citation
Wienke A, Friese KV: Legal aspects of digitalization in the medical sector. OUP 2018; 7: 441–444 DOI 10.3238/oup.2018.0441–0444

1 Wienke & Becker Rechtsanwälte, Köln

Die Digitalisierung im Gesundheitswesen ist derzeit eines der brennendsten Themen in der Gesundheitspolitik und in aktuellen Gesetzgebungsverfahren. So hat die Bundesregierung im Koalitionsvertrag vom 14.03.2018 festgehalten, dass bis 2020 ein Aktionsplan mit konkreten Maßnahmen entwickelt werden soll (Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 14.03.2018, 19. Legislaturperiode, Rn. 2067). Auch die aktuelle Diskussion um die elektronische Gesundheitskarte für gesetzlich krankenversicherte Patienten dominiert weiterhin in den Medien. Nicht zu vergessen ist auch die Debatte um die Lockerung des Fernbehandlungsverbots, für welche sich eine große Mehrheit auf dem 121. Ärztetag im Mai 2018 ausgesprochen hat.

Angesichts der Vielzahl von Themenkomplexen fällt es schwer, den Überblick zu behalten. Manch einer mag sich fragen, was nun genau unter dem Begriff „Digitalisierung“ zu verstehen ist. Eine allgemein verbindliche Definition ist bisher nicht vorhanden.

Was ist Digitalisierung?

Der Begriff „Digitalisierung“ ist letztlich ein Oberbegriff für die aktuelle Entwicklung, Prozesse unter Einsatz moderner Technik und EDV zu überarbeiten und die Arbeitsabläufe, hier im Gesundheitswesen, dem aktuellen Stand der technischen Möglichkeiten anzupassen. Dazu gehören die elektronische Erfassung und Speicherung von bestimmten Patientendaten, beispielsweise ein elektronischer Impf- oder Mutterpass oder die digitale Verwaltung des Zahn-Bonushefts. Der Ausbau der elektronischen Gesundheitskarte, sicherer elektronischer Kommunikationswege und die Ermöglichung der Fernbehandlungen via Videochat sowie die Anwendung diverser Gesundheits-Apps unterliegen ebenfalls dem Begriff der Digitalisierung. Insgesamt sollen Abläufe vereinfacht und entbürokratisiert werden, wobei der Patient stets selbst Herr über seine Daten sein und bleiben soll.

Diese Anpassung kann nur gelingen, wenn sowohl die technischen als auch die rechtlichen Voraussetzungen vorhanden sind als auch der Wille der Nutzer, sich mit den neuen Abläufen vertraut zu machen. Einige Arztpraxen und Kliniken leisten auf diesem Gebiet bereits Pionierarbeit, andere lassen sich Zeit und warten ab, bis die drängendsten Fragen der Umsetzung beantwortet sind. Der Gesetzgeber hat in der Vergangenheit bereits die ersten Weichen für die Entwicklung der Digitalisierung gestellt, das sogenannte E-Health-Gesetz aus dem Jahr 2015 hat die Prozesse in maßgeblicher Weise angestoßen und beschleunigt.

Das E-Health-Gesetz

Das erste E-Health-Gesetz (Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen sowie zur Änderung weiterer Gesetze) trat am 29.12.2015 in Kraft. Der Gesetzgeber beabsichtigte mit diesem Regelwerk, die flächendeckende Einführung der Telematik-Infrastruktur voranzutreiben. Im Vordergrund stand hier die elektronische Gesundheitskarte, die neben den stets aktuellen Versichertenstammdaten auch die Speicherung von Notfalldaten ermöglichen soll. Ein weiterer Schwerpunkt war, die digitale Infrastruktur von Arztpraxen zu verbessern. Arztbriefe sollen auf elektronischem Wege übermittelt und die elektronische Gesundheitsakte eingeführt werden. Der Heilberufe-Ausweis kann mit einer elektronischen Signatur versehen werden, was die elektronische Kommunikation unter Sicherheitsaspekten erst ermöglicht. Insgesamt versprach sich der Gesetzgeber, durch die digitale Infrastruktur auch die Patientenrechte und die Patientensicherheit zu stärken. Der Patient soll dabei stets Herr seiner Daten sein und seine Mitwirkungsrechte – aber auch Mitwirkungspflichten – im Behandlungsverhältnis aktiv wahrnehmen.

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