Übersichtsarbeiten - OUP 09/2018

Rechtliche Aspekte der Digitalisierung in der Medizin

Ein besonders brisanter Aspekt bei der Entwicklung der Digitalisierung ist der Datenschutz (data privacy ). Mit der am 25.05.2018 in Kraft getretenen
EU-Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO) wurden die bisher geltenden Datenschutzregelungen umfassend novelliert. Durch die den Arztpraxen und Kliniken darin auferlegten Verpflichtungen wurde der Datenschutz auch wieder verstärkt ins Bewusstsein gerufen. Ärzte sind generell – auch vor dem Hintergrund der ärztlichen Schweigepflicht, vgl. § 203 Strafgesetzbuch – verpflichtet, mit den Daten ihrer Patienten sensibel umzugehen. Die neuen Regelungen sollten daher zum Anlass genommen werden, Prozesse und Abläufe zu prüfen und gegebenenfalls anzupassen. Gerade hier bietet die Nutzung digitaler Anwendungen aber auch große Chancen, wie beispielsweise die elektronische Kommunikation via KOM-LE.

Datenschutzrechtliche Fragestellungen wird die neue Telematik-Infrastruktur jedenfalls in großer Zahl aufwerfen. Dies beginnt bereits bei der Frage, wer auf die auf der elektronischen Gesundheitskarte gespeicherten medizinischen Daten überhaupt zugreifen darf und wie lange diese dort gespeichert bleiben sollen. Gleiches gilt für die elektronische Patientenakte. Die Einhaltung des Datenschutzes ist unumgänglich und sollte – angesichts der drohenden Bußgelder – von jedem Arzt ernst genommen werden. Bei der Einführung von neuen digitalen Anwendungen in der Arztpraxis sollte daher immer auch ein datenschutzrechtlicher Check-up erfolgen; zudem sind die Mitarbeiter im Umgang mit den sensiblen personenbezogenen Daten der Patienten zu schulen und zu sensibilisieren. Der unbefugte Zugriff auf Daten muss durch entsprechende technische Maßnahmen (TOMs) verhindert werden, dies kann einen nicht zu unterschätzenden Aufwand bedeuten.

Die Digitalisierung wird auch im Arzthaftungsrecht (medical malpractice law ) große Bedeutung erlangen. Ärzte müssen bei dem Umgang mit digitalen Anwendungen auch immer berücksichtigen, welche Haftungsrisiken aus ihnen erwachsen. Die einzelne Arztpraxis wird die internen Abläufe entsprechend anpassen müssen. Über die elektronische Kommunikation eingehende Arztbriefe und Informationen müssen von dem Arzt auch tatsächlich (zeitnah) zur Kenntnis genommen werden. Medikationspläne sind stets zu aktualisieren (§ 31 a Abs. 3 SGB V), ebenso wie die Notfalldaten. Dies wirft auch die Frage nach der Zuständigkeit für die Aktualisierung der Daten auf. Ist jeder Arzt verpflichtet, den Patienten auf etwaige neue Umstände zu befragen bzw. zu untersuchen oder darf er sich uneingeschränkt auf die vormals gespeicherten Daten verlassen? Und in welchem Umfang muss der Arzt diese überhaupt zur Kenntnis nehmen, muss der Orthopäde die Behandlungsunterlagen des Psychotherapeuten vollständig zur Kenntnis nehmen, wenn er die elektronische Gesundheitsakte liest? Wer haftet, wenn die Daten nicht aktualisiert worden sind – der ursprünglich dokumentierende Arzt oder vielleicht der nachbehandelnde Arzt, der aber ein ganz anderes Fachgebiet hat und dem sich der Patient nur wegen einer ganz spezifischen Erkrankung vorstellt? Oder hat der Patient selbst ein Mitverschulden, wenn er wichtige Daten aus seiner elektronischen Gesundheitsakte löscht bzw. nicht aufnehmen lässt? Im Falle eines Notfalls muss überhaupt erst einmal sichergestellt werden, dass der jeweils behandelnde Arzt die auf der elektronischen Gesundheitskarte gespeicherten Daten auch zur Kenntnis nimmt und diese bei der Behandlung berücksichtigt. Die Digitalisierung wird daher auch das Arzthaftungsrecht nicht unberührt lassen und neue Fragestellungen aufwerfen, welche die Jurisprudenz der kommenden Jahre entscheiden und weiterentwickeln wird. Wahrscheinlich werden zukünftig die Sorgfaltsverpflichtungen der Ärzte eine neue Gestalt erhalten, auch im Hinblick auf nun mögliche Fernbehandlungen. Denkbar ist auch, dass Patienten auch unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten selbst eine höhere Mitverantwortlichkeit erfahren werden.

Natürlich kommt es in der ärztlichen Praxis vor, dass Streitigkeiten aus einem Behandlungsverhältnis vor Gericht ausgetragen werden müssen. Dies kann beispielsweise der klassische Arzthaftpflichtfall sein, in dem der Patient Ansprüche wegen eines Behandlungsfehlers geltend macht, oder aber die Klage des Arztes gegen den Patienten auf Zahlung seines Honorars. Das geltende Prozessrecht (procedural law) ist für den Ausgang eines Verfahrens von großer Bedeutung. Die prozessualen Beweislastregelungen und die Beweisbarkeit eines Tatsachenvortrags sind streitentscheidend. Als bedeutendste Beweismittel in einem solchen Zivilprozess dienen natürlich der Sachverständige und die Zeugen; aber auch Urkunden – wie die Behandlungsdokumentation oder eine Gebührenvereinbarung – spielen eine wesentliche Rolle.

Die geltenden Formvorschriften (formal regulation ) sind derzeit bei Weitem nicht an die technischen Möglichkeiten angepasst. Besteht ein gesetzliches Schriftformerfordernis, bspw. nach § 2 GOÄ oder bei IGeL-Leistungen (§ 18 Abs. 8 BMV-Ä), ist besondere Vorsicht geboten. Die gesetzliche Schriftform erfordert derzeit noch die handschriftliche Unterschrift auf einem körperlichen Dokument oder aber eine elektronische Signatur, die kaum ein Patient haben wird. Digitale Unterschriften, z.B. auf einem Tablet, erfüllen diese Voraussetzungen nicht. Werden Schriftstücke nachträglich digitalisiert und die Originale vernichtet, so besteht zudem ein erhebliches Risiko, dass der Beweis im Fall der Fälle nicht gelingt. Denn die Vorlage des Originals ist für das Führen eines Urkundenbeweises unerlässlich. Digitalisierte Schriftstücke wird ein Gericht im Regelfall zwar nicht unberücksichtigt lassen, jedoch ist es ohne die Vorlage des Originals für die Gegenseite wesentlich einfacher, die Beweiskraft zu erschüttern. Vor der Vernichtung der Originalunterlagen sollte daher bestenfalls ausgeschlossen sein, dass diese noch Gegenstand eines Streitfalls werden können. Ähnlich wie die Medizin steht auch die Jurisprudenz vor einem digitalen Wandel. Die elektronische Akte und elektronische Kommunikation mit Gerichten und Behörden wird auch dort bald zum Standard gehören.

Ausblick

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