Übersichtsarbeiten - OUP 09/2018

Rechtliche Aspekte der Digitalisierung in der Medizin

Diese Entwicklung wird in Zukunft noch weiter vorangetrieben. Der Gesetzgeber beabsichtigt nun eine Weiterentwicklung der 2015 gefassten Normierungen, es soll noch in der laufenden Legislaturperiode das „E-Health-Gesetz II“ kommen. Darin enthalten werden weitere Regelungen zur elektronischen Patientenakte, zur Fernbehandlung und zur Kostenverteilung sein.

Die Umsetzung
der Digitalisierung

Die angestrebte Digitalisierung in der Medizin erfordert eine ausreichende Telematik-Infrastruktur (telematics
infrastructure). Mit der Umsetzung und Koordination ist die Gematik – Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH beauftragt worden. Hierbei handelt es sich um eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die von den Spitzenorganisationen im Gesundheitswesen gegründet wurde (GKV-Spitzenverband, KBV, BÄK, BZÄK, DKG, KZBV u.a.). Im Zentrum der Entwicklungen stehen die Einrichtung der Telematik-Infrastruktur und die elektronische Gesundheitskarte.

Die elektronische Gesundheitskarte (electronic health card) ermöglicht zunächst das elektronische Stammdatenmanagement. Die allgemeinen Personendaten der Versicherten werden beim Einlesen der Karte online überprüft und nötigenfalls aktualisiert, beispielsweise bei einer Adressänderung. So kann sichergestellt werden, dass der behandelnde Arzt stets die aktuellen Stammdaten des Patienten hat. Später können auf der Karte auch medizinische Daten, z.B. Notfalldaten, gespeichert werden, die ausschließlich von Angehörigen der Heilberufe ausgelesen werden sollen. Auch Erklärungen wie Vorsorgevollmachten, Organspendeausweise und Patientenverfügungen können auf Wunsch des einzelnen Versicherten erfasst werden.

Seit dem 01.10.2016 haben gesetzlich versicherte Patienten einen Anspruch auf einen Medikationsplan (medication chart) , dieser ist den Patienten in Papierform auszuhändigen und regelmäßig zu aktualisieren (§ 31 a SGB V). Die Medikationspläne sollen aber auch auf der elektronischen Gesundheitskarte gespeichert werden. Dies soll die Patientensicherheit erhöhen, da wichtige Informationen damit auch nachbehandelnden Ärzten oder Notärzten zur Verfügung stehen.

Auch die Kommunikation zwischen den einzelnen Ärzten soll künftig digitalisiert ablaufen. Derzeit werden Arztbriefe (referral letter) analog verfasst und meist postalisch oder per Fax übermittelt. Künftig soll die Kommunikation ausschließlich auf elektronischem Wege erfolgen. Angesichts des Umstands, dass es sich hier um besonders sensible Daten handelt, die der ärztlichen Schweigepflicht unterliegen, wurde die Fachanwendung KOM-LE (sichere Kommunikation zwischen Leistungserbringern) entwickelt. Diese ist angebunden an das jeweilige Praxisverwaltungssystem bzw. an das jeweilige Krankenhaus-Informationssystem. Die Daten werden unmittelbar zwischen den teilnehmenden Praxen bzw. Kliniken verschlüsselt übersandt. Neben der Zeitersparnis auf dem Übertragungsweg soll so auch der Datenschutz gewährleistet werden.

Die Lockerung des Fernbehandlungsverbots (legal prohibition of telemedicine) wird die Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten künftig weitgehend verändern. Seit dem 1. April 2017 sind bereits Videosprechstunden grundsätzlich möglich (§ 291 a SGB V i.V.m. Anlage 31 b zum Bundesmantelvertrag-Ärzte). Nach der Mehrheitsentscheidung auf dem 121. Deutschen Ärztetag, bei der sich auch die Ärzteschaft für eine Lockerung des Fernbehandlungsverbots ausgesprochen hat, hat die Landesärztekammer Sachsen bereits reagiert. Die Berufsordnung der Ärzte in Sachsen wird voraussichtlich zum 01.09.2018 geändert. Künftig wird es nach der Berufsordnung Sachsen erlaubt sein, im Einzelfall eine Behandlung oder Beratung über digitale Kommunikationsmedien durchzuführen. Freilich muss auch hierbei – besonders aus haftungsrechtlichen Gründen – die ärztliche Sorgfalt und Fürsorge stets gewahrt bleiben.

Die Einführung einer elektronischen Gesundheitsakte (electronic health record) ist ebenfalls ein wichtiger Pfeiler bei der Digitalisierung. In dieser Datenbank sollen die Gesundheitsdaten der Patienten, wie Allergien, Anamnesen, Krankengeschichte, Medikamente, Verordnungen und Überweisungen sowie weitere Informationen bundesweit zentral gespeichert werden. Der Zugang soll – im Einverständnis des Patienten – mit der elektronischen Gesundheitskarte in Verbindung mit dem jeweiligen Heilberufe-Ausweis des Arztes möglich sein. Die Karten fungieren insoweit als Zugangsschlüssel. So wird sichergestellt, dass nur befugte Personen Zugang zu den Daten haben. Dabei ist es nach dem Willen des Gesetzgebers letztlich immer der Patient, der die Hoheit über die Daten ausübt und entscheidet, ob und welche Daten in der Akte gespeichert oder auch gelöscht werden. Die bekannte – und von § 630 f BGB gesetzlich vorgeschriebene – Behandlungsdokumentation wird hierdurch nicht ersetzt. Vielmehr bündelt die elektronische Gesundheitsakte die Informationen verschiedener Praxen und gewährt so bestenfalls einen Überblick über den Gesundheitsstatus des Patienten.

Neben diesen Schwerpunkten der neuen Regelungen nutzen viele Arztpraxen und Kliniken eine Vielfalt digitaler Anwendungen (digital applications) bereits selbstverständlich in der
täglichen Praxis: So wird vielerorts die Patientendokumentation unmittelbar elektronisch festgehalten anstatt sie handschriftlich aufzuschreiben. Einige Praxen und Kliniken digitalisieren ihre analogen Daten nachträglich zu Aufbewahrungszwecken. Aufklärungsgespräche werden mit Unterstützung von digitalen Bögen geführt und Unterschriften zur Einwilligung auf dem Tablet geleistet.

Auch aus juristischer Sicht birgt die Digitalisierung im Gesundheitswesen neue Chancen, eröffnet aber auch ganz neue Fragestellungen und Haftungsrisiken.

Chancen und Risiken
der Digitalisierung

Nach dem Willen des Gesetzgebers soll der Patient die vollständige Verfügungsgewalt über seine Daten haben. Dieser Ansatz ist Folge des Selbstbestimmungsrechts der Patienten, welches in der Medizin immer weiter in den Fokus rückt. Es ist mittlerweile Standard, dass sich viele Patienten vor oder nach dem Arztbesuch über die Erkrankung und Therapiemaßnahmen selbst informieren und gezielte Fragen an ihren Arzt stellen. Dies verändert die Gesprächsführungen und die Anforderungen an die Aufklärung (patient education) enorm. Die konkrete Patienteninformation durch den Arzt spielt – auch vor dem Hintergrund des Arzthaftungsrechts – inzwischen eine entscheidende Rolle im Arzt-Patienten-Verhältnis. Der Arzt ist gehalten, den Patienten bei der Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts zu unterstützen und ihm zu helfen, die medizinischen Informationen zu verarbeiten und zu bewerten. Die Patienten erhalten aber nicht nur mehr Rechte, sondern sie sind zukünftig auch dazu angehalten, sich mehr mit Gesundheitsbelangen zu befassen und eigenverantwortlich zu handeln. Nur bei entsprechender Patienten-Compliance können beide Seiten – Arzt und Patient – von den neuen Entwicklungen profitieren.

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