Originalarbeiten - OUP 11/2012

Rehabilitation und Innovation in Orthopädie und Traumatologie –
Schnittstellen-Kautelen zur Prozesskette OP-Klinik/Rehabilitations-Klinik/ ambulanter Sektor
Vortrag anlässlich der 60. Jahrestagung der Vereinigung Süddeutscher Orthopäden und Unfallchirurgen e.V. am 28.04. 2012, Baden-Baden

W.J. Kirschner1

Zusammenfassung: Die orthopädisch/traumatologische Rehabilitation unterliegt – ebenso wie die operativen, akut-konservativen und ambulanten Bereiche – vielfältigen Vorgaben seitens gesetzlicher, vertraglicher und ökonomischer Bedingungen, die wesentlichen Einfluss auf diagnostisch/therapeutische Prozeduren haben. In diesem Zusammenhang steht auch die sog. Schnittstellenproblematik, die systematische intersektorale Grenzen begründet. Diese werden konstituiert aus Bereichen der Medizin (Expertise Orthopädie/Traumatologie und weitere medizinische Fachdisziplinen) und weiteren paramedizinischen Sektoren (Administration, Arbeits-/Sozialsektor u.a.).

Dabei besteht eine tradierte Trennung relevanter Sektoren, die zu defizitären Behandlungen und Behandlungs-/Versorgungsketten führt. Die ‚Schnittstellen-Kautelen’ werden in ihren wesentlichen Aspekten näher analysiert, Beispiele aus Klinik und Praxis aufgezeigt. Konsekutiv werden Perspektiven möglicher Optimierungen dargestellt unter Berücksichtigung der Überwindung traditioneller intersektoraler Grenzen zur Bewältigung zukünftiger Anforderungen. Es wird ausdrücklich dargestellt, welchen Beitrag die Expertise Orthopädie/Traumatologie zum Gesamtbeitrag nachhaltiger Behandlungs-/Versorgungsketten leisten kann.

Schlüsselwörter: Expertise Orthopädie/Traumatologie, Rehabilitation und Innovation, Schnittstellen-Kautelen, intersektorale Grenzen, traditionelle Behandlungspfade, Perspektiven möglicher Optimierungen

Summary: Orthopaedic rehabilitation as well as surgical, acute non-surgical and outpatient sectors, is subject to a variety of regulations by legal, contract and economic terms, which have considerable influence on diagnostic and therapeutic procedures. In this context there is an intersectoral problem causing systematic intersectoral limits. These consist of medical sectors (expertise orthopaedics and other medical specialties) and other non-medical sectors (administration, occupational/social sector etc.).

At the same time there is a traditional separation of relevant sectors leading to deficient treatments and lines of treatments and care. Intersectional conditions have been analysed in detail as to essential aspects, clinical and practical examples are described.

Consequently perspectives of possible optimisation are shown in order to force on traditional intersectoral limitations, thus managing future needs. It is explicitly shown which contribution might be accomplished by the expertise in orthopaedics as to the entire contribution concerning the line of sustainable treatments and care.

Keywords: Orthopaedic expertise, rehabilitation and innovation, terms of intersections, intersectoral limitations, traditional treatment pathways, perspective of possible optimisation

Einleitung

Aufgrund des medizinischen Fortschritts und sich zunehmend verändernder Paradigmen bei neuen demografischen Entwicklungen mit deutlicher Zunahme des Lebensalters und damit verbundener Komorbidität bei chronischen Erkrankungen und multiplen Funktionsstörungen gewinnt die medizinische Rehabilitation im Rahmen der medizinischen Versorgung zunehmend an Bedeutung.

Angesichts komplexer kontextualer Faktoren ist allerdings die bisherige konventionelle Trennung der verschiedenen Sektoren, u.a. Akutmedizin, Rehabilitation, stationärer/ambulanter Bereich sowie weitere paramedizinische Bereiche (Arbeits-/Sozialsektor u.a.) nicht mehr sach- und zeitgerecht. Vielfältige neue Herausforderungen erfordern zunehmend vernetzte Strukturen sowohl im Bereich der einzelnen medizinischen Fachbereiche (Expertisen), als auch im Bereich der weiteren relevanten Sektoren zur Überwindung bisheriger intersektoraler Grenzen und damit verbundener nicht optimierter Schnittstellenprozesse [1].

Allein schon nach wie vor bestehende Trennungen zwischen ambulanten und stationären Sektoren sind oftmals zeitgerechten diagnostischen und therapeutischen Prozessen im Wege. Dabei bestehen zum Teil erheblich diversifizierte Zuständigkeiten im administrativen und ökonomischen Bereich, sodass die vor Ort zuständigen Experten (hier: Orthopädie/Traumatologie oder auch andere medizinische Fachbereiche) nicht direkten Zugriff auf medizinisch erforderliche Prozesse haben. Infolgedessen kann es häufig erst zu sehr verzögerten Veranlassungen kommen, zum Teil sind medizinisch erforderliche Veranlassungen und Indikationen nicht oder nicht ohne weiteres umsetzbar. Bei dieser systematischen Vorgehensweise sind defizitäre Behandlungsprozesse programmiert, sodass die resultierenden Patientenversorgungsmaßnahmen nicht optimiert sind. Diese intersektoralen Verwerfungen innerhalb der Behandlungsprozesse sind näher zu hinterfragen, um neue Ansätze für Modelle integrativer Behandlungs- und Versorgungsstrukturen zu ermöglichen.

Hierzu ist zunächst eine nähere Analyse traditioneller Behandlungspfade und Routinen vorzunehmen. Ausgehend hiervon können Perspektiven möglicher Optimierungen entwickelt werden. Dabei sind vielfältige kontextuale innovative Ansätze (zukünftig neue demografische Anforderungen!) erforderlich [2]. Neuen medizinischen und gesundheitspolitischen Forschungsansätzen bleibt es vorbehalten, relevante Fragen nach Erwünschtem und Erreichbaren zu stellen und diese in konkreten neuen Projektansätzen zu beantworten.

Bisherige erkennbare Trennungen zwischen den einzelnen Sektoren geben vielfache Hinweise auf eine sog. Schnittstellenproblematik. Dabei sind neben der Betrachtung entsprechender intersektoraler Prozessbedingungen auch innersektorale Bedingungen hinsichtlich ihrer Sinnhaftigkeit näher zu prüfen. Im Bereich des Spezialistentums (medizinische Expertisen) sind Inhalte und Systematik medizinischer Verfahren zu hinterfragen. Wo sind zu verändernde Defizite feststellbar, wo sind etwa Kommunikationsprobleme innerhalb von Expertengruppen der Medizin oder auch in Bezug auf die anderen Verfahrensbeteiligten inkl. Verwaltung und Ökonomie feststellbar [3, 4]? Sind die jeweiligen Entscheidungskompetenzen sachgerecht zugeordnet? Wie ist es mit der traditionellen Trennung der operativen und konservativen medizinischen Bereiche bestellt, sind notwendige interdisziplinäre Kooperationen und vollständige Behandlungsketten gewährleistet? Werden Behandlungsergebnisse (klinischer Outcome, perspektivische Behandlungsziele) beachtet, werden Qualitätssicherungsmaßnahmen gemäß medizinischer Expertise umgesetzt oder sind lediglich formale Qualitätssicherungsprozeduren feststellbar? Wo sind im Bereich der intersektoralen Behandlungsketten systematische Fehlentwicklungen (Über-/Unterversorgung) feststellbar?

Bisherige diagnostische und therapeutische Verfahrensweisen sind gemäß neuartiger und demografischer Entwicklungen zu revidieren und an komplexe längerfristige Behandlungs- und Versorgungsziele anzupassen. Im Rahmen zukünftig erforderlicher Patientenversorgung wird es anders als in der Vergangenheit nicht mehr möglich sein, ausschließlich oder überwiegend unidimensionale medizinische Einzelmaßnahmen durchzuführen, ebenso wenig werden zukünftig isolierte Entscheidungen durch Administration und Kostenträger sowie Gesundheitspolitik einer medizinischen und gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung gerecht werden können – ohne adäquate Implementierung der medizinischen Expertise in Behandlungs- und Versorgungsprozeduren.

Daher werden tradierte Routinen auch unter diesen Zusammenhängen näher betrachtet, um hieraus innovative Ansätze für Optimierungen der Behandlungsschritte zu finden.

Dabei werden exemplarisch aus dem Expertenbereich Orthopädie/Traumatologie bisherige Behandlungspfade einzelner Krankheitsbilder aufgezeigt, auf Prozess- und Outcome-Defizite hingewiesen. Nachfolgend werden mögliche Veränderungs- und Optimierungsansätze aufgezeigt.

Thematische Aspekte

Zum Gesamtzusammenhang sollen nachfolgende zentrale Schwerpunkte im Näheren betrachtet werden:

  • Aktueller Status akutmedizinischer/rehabilitativer Aspekte
  • Tradierte Trennung relevanter Sektoren (Akutmedizinischer Bereich, rehabilitativer Bereich, ambulanter/stationärer Sektor, operativer/konservativer Sektor)
  • Status interdisziplinärer ärztlicher Kooperationen
  • Intersektorale integrative Prozesse
  • (Medizinischer Bereich, paramedizinische Sektoren, Arbeits-/Sozialverwaltung etc.)
  • Kooperationen Ärzte/Patientenverbände
  • Traditionelle Behandlungspfade
  • (Routinen, Defizite)
  • Perspektiven möglicher Optimierungen (Innovative Ansätze – Erwünschtes, Erreichbares?)

Exkurs

Spezialisiertes Wissen (Expertise) – Kontext (Gesamtzusammenhang)

Spezialisiertes Wissen allein stellt noch keinen Nutzen an sich dar. Ein solcher Nutzen entsteht erst dann, wenn dieser als Beitrag zum größeren Ganzen integriert ist (z.B. Einzelmaßnahme – Behandlung – Behandlungs-/Versorgungskette). Ohne diese Integration bleibt Spezialwissen (Expertise) wirkungslos. Umgekehrt bedeutet dies aber auch: Spezialwissen ist für das Gesamtergebnis erforderlich.

Schnittstellenproblematik

1. Spezialistentum

Im Sektor Spezialisten (hier: Expertise Orthopädie/Traumatologie) liegen vielfältige Spezifizierungen sowie Subspezifizierungen fachlicher Tätigkeitsbereiche vor. Eine Besonderheit im Bereich Orthopädie/Traumatologie liegt dabei in dem Umstand begründet, dass sowohl vielfältige operative als auch konservative Subspezifitäten zu unterscheiden sind. Dabei wird die fachspezifische körperliche (physikalische) Untersuchungstechnik durch vielfältige weiterführende technisch-apparative Verfahren ergänzt (u.a. MRT, CT, Nativ-Radiologie, EMG etc.). Differente diagnostische Vorgehensweisen sind dabei evidenzbasiert und qualitätsgesichert (vgl. fachärztliche Standards, Weiterbildungsordnungen, Leitlinien). Analoges gilt für therapeutische Verfahren im operativen, im konservativen sowie im ambulanten und stationären Bereich.

Aufgrund der fachbezogenen Spezifität ergeben sich Konsequenzen für Indikationsstellungen (Standards, diagnostisch/therapeutische Algorithmen), wobei Außenstehende (Nicht-Orthopäden/Nicht-Traumatologen) von diesen Verfahrensweisen ausgeschlossen sind [5, 16]. Dieser Situation ist geschuldet, dass es zu Kommunikationsproblemen mit Experten anderer Subspezialitäten und mit Außenstehenden (z.B. anderer Sektoren, wie etwa Administration, Ökonomie) kommen kann. Infolgedessen kommt es zu einer partiellen, ggf. auch totalen Nicht-Umsetzbarkeit fachlicher Erfordernisse (Diagnostik/Therapie) wegen Kompetenzdefiziten. Dennoch sind Prozesse und Entscheidungen weiterhin dadurch bestimmt, dass das Primat von Entscheidungen beim ökonomischen Sektor sowie bei gesetzlich/vertraglichen Vorgaben verbleibt. Im intersektoralen Spannungsfeld werden weiterhin fachliche Entscheidungen von Außenstehenden getroffen, die von den zuständigen Experten (hier Expertise Orthopädie/Traumatologie) nicht oder nicht ausreichend beeinflussbar sind.

2. Trennung operative/
konservative Orthopädie/
Traumatologie

Die tradierte Routine zeigt nach wie vor eine strikte Trennung beider Sektoren. Ein Ineinandergreifen (intersektoral) im Sinne vollständiger Prozess- und Versorgungsketten fehlt. In der Konsequenz kommt es zu fragmentierten, unvollständigen Behandlungsverfahren. Diese liegen dann ggf. in einzelnen Schwerpunkten im diagnostischen und therapeutischen Bereich, beziehen sich ggf. nur oder überwiegend auf ambulante oder auf stationäre (selektiv) Maßnahmen. Somit ist programmiert, dass derart fragmentierte Behandlungsprozeduren nicht zu integrierten, vollständigen Behandlungsverfahren und Prozesspfaden führen.

Im rehabilitativen Sektor wäre etwa nachfolgende Prozesskette erforderlich: Konservative Therapie präoperativ – Abfolge operativer Indikationen/Maßnahmen – frühe postoperative Maßnahmen (OP-Klinik) – weiterführende postoperative Nach- und Weiterbehandlung (Rehaklinik, selektiv ambulant) – Strategien/Algorithmen, weitergehende Verlaufskontrollen – Konzept präventive Maßnahmen.

Angesichts defizitärer Prozesspfade kann es damit zu „Unterbrechungen“ notwendiger Behandlungsketten nach ‚beliebigen’ Einzelmaßnahmen kommen. Im klinischen Outcome bedeutet dies: unvollständige Therapie-/Behandlungsketten (vgl. Indikationen, gezielte Therapiemöglichkeiten) und damit im Ergebnis eine ungenügende Patientenversorgung. [6].

3. Trennung ambulanter und stationärer Sektor

Die Prozesse sind im Wesentlichen isoliert voneinander, wobei relevante Entscheidungskompetenzen in den Sektoren Ökonomie und Administration liegen, d.h., dass nach bisherigen gesetzlichen und ökonomischen Vorgaben Indikationen zu aktuellen medizinischen Maßnahmen nicht primär durch ärztliche Expertise festgelegt werden. Dies gilt auch für den weiteren Behandlungsverlauf.

Durch hierbei oftmals reduzierte Kommunikationsmöglichkeiten intersektoral (Ärzte, Fachärzte, Kostenträger, Verwaltungen, Gesetzgeber, Behörden) ist programmiert, dass Differenzialdiagnostik und Therapieindikationen nicht optimal gestaltbar sind. Potenzielle Gefahren liegen darin begründet, dass systematische Fehldiagnosen und -therapieindikationen unausweichlich sind. In diesem Zusammenhang kommt es zu defizitärer Therapieverlaufsplanung, da die Bewertungskriterien gemäß administrativer Vorgaben erfolgen, jedoch nicht regelhaft durch fachliche Expertise (hier: Orthopädie/Traumatologie). Im klinischen Outcome kann es dabei zu einer nicht sinnhaften ‚Über’versorgung (Fehlindikation) kommen, zum anderen zu medizinischen ‚Unter’versorgungen (nicht patientengerecht).

4. Unzureichende integrative Prozesse/Behandlungspfade – medizinische/paramedizinische Sektoren

Diagnostik-Bereich:

Bei fehlenden integrativen Prozessen (sektorale Grenzen) kann es zu defizitären zielführenden diagnostischen Vorgehensweisen kommen (defizitäre Expertise), womit es in der Folge zu ungezielten Über-/Unterdiagnostiken kommt. Administrative/ökonomische Vorgaben führen regelhaft zu Restriktionen, sodass zum einen sowohl spezifische Einschränkungen bestehen (qualitative Einbußen – z.B. nur Nativröntgendiagnostik, kein mögliches MRT, CT oder andere Maßnahmen), zum anderen können Mengenbegrenzungen in Verbindung mit der Vorgehensweise vorliegen (quantitative Einschränkungen – z.B. können nur wenige oder gar keine Konsiliaruntersuchungen veranlasst werden, technische Untersuchungen nicht zum definierten Zeitpunkt erfolgen etc.).

 

Therapie-Bereich:

Unzureichende Kopplungen therapeutischer Einzelmaßnahmen in erforderlichen Behandlungsketten (nicht überwundene inner-/intersektorale Grenzen) führen zu unvollständigen und damit oftmals zu nicht oder nicht ausreichend erfolgreichen Behandlungsergebnissen. Im innersektoralen Bereich (Medizin) bedeutete dies, dass nach medizinischen Kriterien keine künstliche Einschränkung der therapeutischen Maßnahmen vorliegen dürfte – jeweils erforderliche medizinische Behandlungsmaßnahmen müssten jederzeit vom aktuellen Behandler nach medizinisch-wissenschaftlichen Kriterien möglich sein. Dabei dürften sektorale Trennungen zwischen ambulantem und stationärem, operativem und konservativem Bereich keine Rolle spielen, selbstredend dürfte dabei das Entscheidungsprimat nicht im außermedizinischen Bereich liegen [7].

Auch im intersektoralen außermedizinischen Bereich (Verwaltung, Kostenträger, Hilfsmittelversorger, Arbeitsschutz, Sozialverwaltung u.a.) dürften medizinisch relevante und patientenbezogene Entscheidungen nicht losgelöst von medizinischer Expertise (Arzt, Klinik) erfolgen. Tradierte Routinen besagen allerdings nach wie vor, dass Indikationen und Therapiemodus gemäß administrativ/ökonomischem Primat wesentlich vorgegeben sind, woraus sich ein notwendiger Interessenkonflikt zur entsprechenden Fachexpertise (Medizin allgemein, einzelne Fachbereiche, hier Orthopädie/Traumatologie) ergibt.

Im klinischen Outcome kommt es dabei potenziell zu unsachgemäßen Indikationen sowie zu defizitären Therapieverfahren und Behandlungsketten, was im Ergebnis dessen wegen entsprechender Fehlversorgung unökonomisch ist. Gemäß administrativer Vorgaben ergeben sich damit Schein-Expertisen, wobei Entscheidungskompetenzen in verschiedensten Sektoren etabliert werden: Verwaltung, juristische Zuständigkeiten, Ökonomie, Politik.

Dabei ist der medizinische Sektor (hier: zur Expertise Orthopädie/Traumatologie) regelhaft von entsprechenden Entscheidungskompetenzen ausgeschlossen, sodass die tatsächliche fachliche Expertise ohne entscheidungsrelevante Beteiligung als externer Partner verbleibt.

5. Arbeits-/Sozial-Sektor

Bezüglich dieser Sektoren liegen erhebliche Interdependenzen zu Symptomatik, Therapie, Arbeits- und Lebensbedingungen von Patienten vor. Ohne Berücksichtigung vielschichtiger Kontextfaktoren wären grundlegende und längerfristig erfolgreiche Behandlungseffekte nicht erreichbar.

Diesbezüglich weisen bisherige Vorgehensweisen und Behandlungsroutinen erhebliches Konfliktpotenzial aus, da bis dato ungenügende oder keine integrativen Behandlungs- und Versorgungsketten in systematischer Weise etabliert sind. Angesichts der ganz erheblichen Vielschichtigkeit und Komplexität beteiligter Kontextfaktoren kann eine künstliche Begrenzung auf nur einzelne Faktoren nicht zielführend sein. In Zieldefinitionen der Deutschen Rentenversicherung sind rehabilitative Vorgehensweisen entwickelt – allerdings als einseitig definierte Vorgaben, nicht jedoch als kooperativ und integrativ entwickelte medizinische Vorgehensweisen zur Etablierung vollständiger Behandlungsketten. Nicht primär medizinisch-wissenschaftliche Kriterien führen potenziell zu ungenügenden Behandlungsresultaten und zu systematischen Fehlversorgungen.

6. Sektor Prävention

Inner- und intersektoral (medizinischer und außermedizinischer Bereich) sind diverse Einzelaktivitäten und -maßnahmen vorhanden, regelhaft jedoch keine komplexen integrierten Programme. Hierdurch sind naturgemäß effektive und langfristig perspektivische Auswirkungen limitiert.

Bei einer integrierten Vorgehensweise ist hier zunächst der medizinische Sektor als fachliche Expertise gefragt. Ausgehend von medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen sind zunächst mögliche präventive Ziele und Vorgehensweisen zu benennen. Die Umsetzung entsprechender präventiver Strategien und Programme kann und muss danach integrativ durch die weiteren relevanten Sektoren in kooperativer Weise erfolgen. D.h.,
9 in der konkreten Umsetzung können dann medizinische Experten zusammen mit Gesundheitspolitik, Industrie/Betrieben, Verbänden, öffentlichen Instituten etc. gezielt zusammenwirken [8]. Erst durch solcherart koordinierte integrative Vorgehensweisen sind perspektivisch effektive präventive Ergebnisse zu erwarten.

7. Sektor Bewegung/Sport

Bewegung und Sport sind kardinale Aspekte in Orthopädie und Traumatologie sowohl bezüglich therapeutischer Maßnahmen, als auch bezogen auf Prävention. Behandlungen am Bewegungssystem sind ohne vielfältige Einbeziehungen von Bewegungsmomenten nicht möglich, entsprechende Bewegungsmuster sind je nach Art der Erkrankung und/oder Verletzung anzupassen. Insbesondere nach erfolgreicher Behandlung akuter Symptomatiken und nach Operationen sind im weiteren Heilverlauf zunehmende bewegungstherapeutische Strategien zu implementieren.

Sowohl in therapeutischer als auch in präventiver Hinsicht sind zudem intensivierte sportliche Aktivitäten je nach Heilverlauf und Kondition des Patienten anzupassen, zudem individuelle Instruktionen für gezielte Eigenaktivitäten ergänzend erforderlich.

Gezielte Aufklärung und präventive Förderung ist orthopädisch darüber hinaus von besonderem Interesse, da wir in unserem kulturellen und historischen Umfeld – sowohl im beruflichen, öffentlichen als auch im privaten Bereich – eher in bewegungsreduzierten Alltagsgewohnheiten leben. Bewegung und Sport werden in dieser Hinsicht eher als Besonderheit und nicht für alle Menschen als relevant angesehen, somit nicht als natürlich vorgegeben und als etwas psychophysiologisch Erforderliches. Diesbezügliche sekundäre vielfältige sog. zivilisatorisch bedingte Folgeerkrankungen sind hinlänglich bekannt.

Umso mehr liegen entsprechende langfristige Programme und Konzepte eben auch im gesamtgesellschaftlichen Interesse. Daher sind neben Einzelprogrammen insbesondere überregionale, nationale weitreichende Programme und Konzepte vonnöten, die intersektoral zu implementieren sind, z.B. im Bereich öffentlicher und privater Kostenträger, Schulen, Betrieben, medizinischer Einzeldisziplinen (Expertisen, die bei allen programmatischen Vorgängen einzubeziehen sind) etc.

8. Sponsoring/Stiftungen

Auch dieser paramedizinische Sektor ist von besonderem Interesse und stellt eine wichtige Möglichkeit dar. Leider wird er in Deutschland wenig genutzt, beispielsweise im Vergleich zu den USA oder auch anderen Ländern. Allerdings ist hierbei zu bedenken, dass eine Beschränkung auf spezifische isolierte Themen oder Programme (z.B. Onkologie) vermieden werden sollte. Vielmehr sind integrative, umfassende Konzepte erforderlich. Nur so lassen sich systematische, perspektivisch längerfristige medizinische Behandlungen oder Vorsorgemaßnahmen mit breiterer Wirkung erzielen.

Wenn in diesem Bereich mehr Möglichkeiten erschlossen werden, können weitreichende strukturierte Programme auch finanziell und logistisch umgesetzt werden. Bisherige behandlungsbezogene Strukturen und finanzielle Mittel lassen dies in der Regel in unserem professionellen und gesellschaftlichen Umfeld nicht zu. Aus Sicht der bisherigen Erfahrung ist zu fragen, ob es diesbezüglich in intersektoraler Weise bereits ausreichend interessierte und überzeugende Experten gibt, oder ob diese Thematik zukünftig unter neuen Paradigmen gesehen und gefördert werden muss.

9. Interdisziplinäre Kooperationen

Innerhalb des medizinischen Sektors sind innerhalb des Fachbereiches Orthopädie und Traumatologie grundsätzliche strukturierte Kooperationsformen weiterzuentwickeln, sowohl um synoptische Bewertungskriterien zu verbessern, als auch um Behandlungsketten in optimierter Weise zu integrieren [1, 9]. Analoges gilt für den Umgang innerhalb der verschiedenen medizinischen Fachbereiche außerhalb der Orthopädie und Traumatologie.

Ein entsprechender allgemeiner grundsätzlicher Konsens zur Kooperation besteht, die bisherigen praktischen Vorgehensweisen und die gewohnten üblichen Behandlungspfade zeigen hier jedoch nach wie vor nicht unerhebliche Defizite.

Neue Ansätze und entsprechende Vorgehensweisen sind zu entwickeln. Die Auswirkungen ausbleibender gezielter interdisziplinärer Kooperationen sind suboptimale und kurzfristige Behandlungsergebnisse, darüber hinaus auch unzureichende Langzeitergebnisse.

10. Patientenverbände –
ärztlicher Sektor

In diesem Sektor-Komplex sind bis dato unzureichende langfristige sachbezogene Programme und Kooperationen feststellbar. Bisherige Routinen und Ergebnisse weisen aus, dass periodische vereinzelte öffentliche Diskussionen erfolgen, allerdings fehlen systematische Vorgehensweisen, konstruktive und produktive Orientierungen sind nicht erkennbar. Zuständigkeiten und Organisationsformen sind nur zum Teil etabliert und nicht systematisiert.

Im Ergebnis sind bis dato keine ausreichenden Patientenorientierungen (und für Patienten greifbare positive Ergebnisse) zu erkennen. Dies trifft auf alle potenziell beteiligten Partner und Interessenverbände zu. Dringend erforderlich sind diesbezügliche Neuorientierungen und Vorgehensweisen [2; 17].

Beispiele – tradierte
isolierte Behandlungspfade

1. Rezidivierende chronische Rückenschmerzen:

Patient kommt zur stationären Rehabilitationsbehandlung.

Bisherige Maßnahmen: Intermittierende Behandlungen: seit Jahren Analgetika, Physiotherapie – manchmal periradikuläre Therapie (PRT), ggf. weitere Maßnahmen. Beschwerden insgesamt unverändert.

Zu diesem Zeitpunkt war noch keine klärende Diagnostik erfolgt (Nativröntgen, MRT ...). Daher: suboptimale Kautelen/Bedingungen für vorgesehene Rehabilitationstherapie.

Outcome: Variabel. Suboptimale Behandlungsergebnisse sind programmiert.

2. Persistierende Knieschmerzen:

Patient kommt zur stationären Rehabilitation.

Bisherige Diagnostik: Nativröntgenaufnahmen vor 2–4 Jahren, ggf. MRT vor 1–2 Jahren.

Bisherige Therapiemaßnahmen: Analgetika, ggf. Physiotherapie, ggf. Hilfsmittel, ggf. ein- bis mehrfach Arthroskopie, mäßiger Erfolg, z.T. schlimmer.

Folgen: Schmerzen seit Jahren, Job verloren/selbst aufgegeben.

Outcome: Mäßiger Behandlungserfolg, vor Rehabilitation war noch keine klärende Diagnostik/Differenzialdiagnostik erfolgt.

Weitere Erfordernisse/Maßnahmen: ggf. OP erforderlich, Indikationsprüfung, sekundäre Veranlassung. Insgesamt suboptimale Prozesse, ungenügende Versorgung des Patienten.

3. Postoperative persistierende Schmerzen nach Bandscheiben-OP

Patient kommt zur stationären Rehabilitation. Schmerzen seit 6 Monaten (a) oder 2–3 Jahren (b).

Bisherige Therapie (a): Analgetika, Kontroll-MRT ja/nein, ab-/zuwarten.

Bisherige Therapie (b): Kontroll-MRT vor 1–2 Jahren, Analgetika (nur initiale Wirkung), ggf. PRT.

Outcome: Problematisch bei (a) und (b), da (vor Antritt der Rehabilitationsbehandlung) noch keine abgeschlossene Diagnostik/Differenzialdiagnostik erfolgt ist. Ggf. operative Revision erforderlich (sekundäre Veranlassung zur Durchführung nach Rehabilitation), ggf. Psychotherapie, ggf. berufshelferische Maßnahmen/Job/Umschulungen etc.

Insgesamt nicht ausreichende integrative Prozesse/Behandlungs-/Versorgungskette.

4. Persistierender Bein-Belastungs-Schmerz bei Zustand nach Hüftgelenkendoprothetik:

Patient kommt zur stationären Rehabilitationsbehandlung.

Seit 2–3 Jahren Schmerzen am operierten Gelenk und am operierten Bein, zum Teil im Bereich beider Beine.

Bisherige Diagnostik: 3 Monate post-op, ggf. vor 3–6 Monaten erfolgt: o.B.

Bisherige Therapie: Analgetika, zuwarten.

Während Rehabilitationsbehandlung:

Mögliche Diagnostik: klinisch und radiologisch (Hüften, Knie), weitergehende Maßnahmen jedoch nicht möglich (z.B. MRT, FA Neurologie, weitere diagnostische Maßnahmen).

Therapeutische Möglichkeiten: Physiotherapie und komplexe physikalische Therapie (wird gemäß Rehasetting durchgeführt).

Anästhesiologische Techniken hingegen nicht möglich (keine Ressourcen bezüglich akutmedizinischem Komplikationsmanagement innerhalb Rehaklinik), ebenso nicht möglich, weitere Maßnahmen gemäß akutmedizinischer Kriterien.

Outcome: ggf. passagere Linderung.

Weitere Differenzialdiagnostik und Klärung erst nach Abschluss der Rehabilitationsbehandlung möglich.

Weitere erforderliche Maßnahmen:

Leidensgerechter Arbeitsplatz, Weiteres noch erforderlich.

Ggf. OP-Indikation – noch zu klären (MRT, FA Neurologie, Weiteres ....)

Verfahrensdefizite: ungenügende interdisziplinäre/integrative Prozesse/Behandlungspfade (fehlende Überwindung intersektoraler Grenzen).

Mögliche, erweiterte Perspektiven zu
Behandlungsketten

1. Medizinischer Sektor

Von Interesse sind zukünftig neue Ansätze medizinischer Konzepte, die an interdisziplinär/integrativen Aspekten orientiert sind.

Hierzu ist u.a. erforderlich:

  • Entwicklung von Prozessen und Strukturen, die eine Realisierung vollständiger Behandlungs- und Versorgungsketten ermöglichen. Entsprechend des aktuellen medizinischen Wissens müssen diese spezifisch sein, z.B. auf den Fachbereich Orthopädie/Traumatologie abgestimmt sein, dabei nicht in allgemeinmedizinischen Kriterien „verwässern“. Inhalte und Prozeduren müssen sich an der entsprechenden Expertise (hier: Orthopädie/Traumatologie) orientieren, andere Maßstäbe müssen dabei ausgeschlossen sein (fehlende Expertise) [18].
  • Solche spezifischen Behandlungs-/Versorgungs-Ketten sind fachlich bedarfsgemäß durch erforderliche weitere medizinische Maßnahmen zu ergänzen, um etwaige Behandlungslücken zu schließen (Erfordernis interdisziplinärer medizinischer Maßnahmen, Expertisen) [10, 5].
  • Um-/Neugestaltung von Fachgremien, sowohl bezüglich Expertise Orthopädie/Traumatologie, als auch bzgl. der weiteren medizinischen Fachbereiche und weiterer relevanter Gremien z.B. aus Gesundheitspolitik, Kostenträgern, wie auch relevanter Gremien aus anderen Sektoren (Arbeits-/Sozialverwaltung), sofern diese an Versorgungsketten beteiligt sind [6, 11, 12].
  • Weiteres: Zukünftig werden zunehmend neue Erfordernisse im Rahmen medizinischer Behandlungsmaßnahmen entstehen. Ein wichtiger Aspekt ist hierbei der erkennbare demografische Wandel mit Veränderungen in allen gesellschaftlichen Bereichen, einschließlich des medizinischen Sektors [13].

Bei einer älter werdenden Bevölkerung wird es sich eine Gesellschaft zukünftig nicht mehr wie bisher leisten können, ökonomische, fachliche und personelle Ressourcen des Gesundheitssystems überwiegend oder nahezu ausschließlich im akutmedizinischen Bereich zu fokussieren. Vielmehr werden kontextuale Behandlungs- und Versorgungskonzepte zunehmend vitale Bedeutung bekommen.

Dies trifft in besonderer Weise auf den Bereich der medizinischen Rehabilitation zu, da hier u.a. langfristig orientierte Behandlungskonzepte unter zusätzlicher Berücksichtigung relevanter sog. Kontextfaktoren (Arbeits- und Sozialbereich, Lebensgewohnheiten, psychoemotionaler Status etc.) in Behandlung und Betreuung von Patienten implementiert sind [14].

Eine relevante medizinische und gesellschaftliche Umorientierung in diese zukünftig zunehmend erforderlichen Maßnahmen hat noch nicht stattgefunden. Diese Entwicklung steht erst am Beginn. In diesem Zusammenhang gewinnt auch der Sektor Prävention zukünftig erheblich mehr an Bedeutung. Aus aktueller Sicht muss man jedoch konstatieren, dass hier noch ganz erhebliche Defizite bestehen.

Insofern bedarf es noch ganz erheblicher Anstrengungen im Forschungsbereich sowohl bezüglich der medizinischen Subexpertensysteme (inkl. Sektor Orthopädie/Traumatologie als spezifischer Fachbereich), als auch bezüglich der gesamten gesellschaftlichen Organisation des Gesundheitswesens. Somit müssen hier auch Diskurs und Kommunikation der relevanten Fachgruppen mit der Gesundheitspolitik erfolgen [2].

2. Administrativ-ökonomischer Sektor

Bisherige Entscheidungskompetenzen zeigen ein ausschließliches bzw. alleiniges Entscheidungs-Primat durch:

Gesetzliche/öffentliche Träger

Behörden/Institute

Andere Kostenträger (Konsortien, Holdings bei entsprechend primärer Profitorientierung).

Stattdessen sind zukünftig zur Realisierung neuer Behandlungsketten und Versorgungsstrategien andere Vorgaben erforderlich. Dabei sind Kooperationen aller beteiligten Sektoren als Grundlage gemeinsamer Entscheidungsfindungen erforderlich – z.B. im Sinne einer „konzertierten Aktion“. Anders sind die tatsächlich komplexen medizinischen Behandlungs- und Versorgungsbedarfe nicht zu realisieren [14].

3. Forschung, wissenschaftliche Gesellschaften

Gefragt ist zukünftig die systematische Etablierung von Leitlinien zu neuen integralen Behandlungsketten, wie sie bis dato nicht vorhanden sind.

Bisherige Vorgehensweisen mit selektiven Definitionen einzelner Symptome und einzelner akutmedizinischer Behandlungsverfahren sind zukünftig aus den o.a. benannten demografischen und anderen Gründen nicht ausreichend. Hingegen sind vollständige komplexe Behandlungs- und Versorgungsketten zu definieren, dies unter besonderer Berücksichtigung aller relevanten Sektoren (also nicht nur begrenzt auf den jeweiligen subspezifischen medizinischen Bereich).

Des Weiteren ist eine systematische sog. Outcome-Forschung anzustreben. Diese ist auf komplette Behandlungskonzepte zu orientieren, nicht ausschließlich auf Studien isolierter einzelsymptomatischer Fragestellungen zu begrenzen. Auch hierbei sind unbedingt neben den medizinischen Bereichen auch weitere paramedizinische Sektoren in interdisziplinärer Kooperation zu berücksichtigen. So sind z.B. bezüglich der Leistungsbeurteilung von Erwerbstätigen nicht ausschließlich aktuelle medizinische Befunde von Bedeutung, sondern naturgemäß weitere Faktoren wie Arbeitssituation, arbeitsspezifische Belastungen mit Auswirkungen auf den gesamten Patienten und andere relevante Faktoren, zudem die allgemeine psychosoziale Lebenssituation der Betroffenen und Weiteres mehr [2, 8, 11, 15].

Weiterhin hilfreich wäre die Etablierung sog. „integraler“ Kommissionen der intersektoral Prozessbeteiligten, d. h. neben dem medizinischen Sektor sollten hier Fachvertreter aus dem berufshelferischen Bereich (Arbeits-/Erwerbssektor), Sozialhelfer sowie zuständige Kostenvertreter beteiligt sein.

Solche Kommissionen sind damit zu befassen eine Synopsis von medizinischen Einzelmaßnahmen und weiteren Nachfolgemaßnahmen vorzunehmen und integrierte Behandlungskonzepte zu entwickeln. Aufgrund einer Fülle neuartiger demografischer Herausforderungen ist hier die Forschung gleichermaßen gefordert [2, 5, 11].

4. Fort-/Weiterbildung/
Qualitätsmanagement

Eine Revision konventioneller Konzepte ist zugunsten neuer interdisziplinärer/integraler Behandlungs- und Versorgungsketten erforderlich. Maßnahmen und Ziele sind über das bisherige konventionelle akutmedizinische Fort-/Weiterbildungsziel hinaus zu erweitern. Neben den fachwissenschaftlichen Maßnahmen sind zusätzliche epidemiologische, Public Health- sowie Präventionskriterien zu implementieren.

Erst unter Berücksichtigung dieser Kautelen werden gezielte fachbezogene Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen perspektivisch effektiv.

In ähnlicher Weise ist eine Revision konventioneller QM-Konzepte angezeigt. Neben unübersehbaren Modeeffekten und damit verbundenen erheblichen bürokratischen formalen Zwängen sind zukünftig zunehmend komplexe fachliche Inhalte gemäß o. a. angegebener interdisziplinärer und integraler Erfordernisse zu Behandlungs- und Versorgungsketten zu berücksichtigen.

Dabei ist insbesondere der demografisch neue Aspekt und die gesellschaftliche Gesamtressource verstärkt zu berücksichtigen. Die zwischenzeitlich eingetretene Verfahrensindustrialisierung und damit verbundene profitwirtschaftliche Orientierung ist sowohl aus medizinischen als auch aus gesellschaftlichen Gründen revisions- und veränderungsbedürftig.

In diesem Zusammenhang sind bislang in Deutschland noch wenig gebräuchliche Zentralregister zu etablieren, um hiermit systematisch Transparenz der medizinischen Prozesse und aller relevanten Nachfolgemaßnahmen zu ermöglichen. Hierbei werden u.a. Risiken und Komplikationen besser beherrscht, somit deutlich mehr Patientensicherheit geschaffen. Die Vielzahl derzeitiger auf dem Markt befindlicher sog. r QM-Verfahrensweisen ist nach fachlichen, insbesondere nach medizinischen Kriterien, kritisch zu prüfen, unsinnige und überwiegend formalisierte und kostenträchtige Verfahren sind regelhaft abzuschaffen. Auch hier sind die fachwissenschaftlichen Gesellschaften aufgefordert – auch unter neuer Forschungsorientierung – valide fachliche Kriterien zu etablieren, um zukunftsorientierte neue QM-Konzepte zu entwickeln.

5. Sponsoring, Stiftungen

Dieser Sektor wird im Allgemeinen z.B. in Deutschland erheblich unterschätzt. Im Vergleich z.B. zu den USA bestehen ganz erhebliche Defizite. Das Sponsoring- und Stiftungssystem in den USA ist gesellschaftlich weit akzeptierter und erheblich entwickelter. Diesbezüglich besteht dort weitaus bessere gesellschaftliche Akzeptanz, sodass im Resultat ganz erhebliche finanzielle und nicht finanzielle Mittel für Medizin und gesellschaftliche Gesundheit generiert werden.

Insofern ist es von Bedeutung auch hier gezielte Appelle zu benennen und alle weiterführenden Maßnahmen (sowohl im gesundheitspolitischen als auch im wirtschaftlichen und öffentlichen Leben) und Aktivitäten zu fördern. Auf diese Weise lassen sich zukünftig erforderliche zusätzliche finanzielle und weitere nicht finanzielle Mittel eröffnen. Der diesbezügliche Bedarf ist erheblich angesichts des gegebenen gesellschaftlichen Gesundheitsinteresses. Relevanter Projektbedarf ist vielfältig und zahlreich, z.B. Arthrose, Osteoporose, Schmerztherapie, Onkologie, Diabetes, rheumatische Erkrankungen, metabolische Syndrome etc.

Resümee
(Essentials, Ausblicke)

1. Strategien

Aufgrund zukünftiger neuer demografischer Entwicklungen mit älter werdender Bevölkerung und konsekutivem vielfältigen Krankheitsspektrum und Behandlungsbedarfsveränderungen sind neue Orientierungen und Strategien zur Etablierung angepasster Behandlungs- und Versorgungsstrategien mit Überwindung intersektoraler Grenzen erforderlich.

Die Überwindung solcher intersektoraler Grenzen muss sowohl innerhalb des Sektors Medizin mit den damit verbundenen unterschiedlichen Fachbereichen verbunden sein, als auch im Bereich weiterer relevanter paramedizinischer Sektoren, wie Administration/Ökonomie, Politik, Patientenverbände, Arbeits- und Sozialsektor. Nur mit derart neuen intersektoralen und integrativen Behandlungs- und Versorgungskonzepten sind die zukünftig veränderten Anforderungen an Medizin und Gesundheitspolitik zu bewältigen.

2. Orthopädisch/
traumatologische Expertise

Zu einer entsprechenden neuen Orientierung sind fachspezifische Facharztverbände, wissenschaftliche Gesellschaften sowie entsprechende Berufsverbände aufgefordert, eigene fachliche Konzepte für Behandlungs- und Versorgungsstrategien zu entwickeln. Diese sind an o. a. dargestellten neuen zukünftigen interdisziplinären/integrativen Kriterien zu orientieren.

Aus Sicht der Fachexpertise sind systematische Hinweise zu adressieren an Administration, Kostenträger und Politik – z.B. fachbezogene Leitlinien, „global“ gültige Prozesskonzepte, mehr Öffentlichkeitsarbeit zur besseren Kommunikation und Akzeptanz der fachlichen Erfordernisse und weiteres mehr.

3. Wissenschaftliche
Gesellschaften

Eine Aktualisierung medizinischer Konzepte gemäß o.a. dargestellter Kriterien im Sinne interdisziplinärer/integrativer Kooperationen ist zur Überwindung bisheriger konventioneller sektoraler Grenzen erforderlich. Dabei sind systematische Programme sowohl sektoral als auch intersektoral auszurichten, z.B. QM (Leitlinien, Register, Outcome-Research, Evaluation u.a.).

Der Sektor Forschung und Forschungsförderung ist in allen Belangen an zukünftig neuen demografisch bedingten Verhältnissen und damit verbundenen Konsequenzen für Medizin und Gesundheitspolitik zu orientieren. Bisherige konventionelle Forschungen und Förderungsmaßnahmen sind dabei zukünftig transparenter und weiter zu fassen, eine überwiegende Limitierung auf den universitären und institutionellen Bereich ist zu vermeiden und zugunsten einer vielfältigeren Förderung aller relevanten Forschungsgruppen auszuweiten.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Walther J. Kirschner

Kurparkklinik Dr. Lauterbach-Klinik GmbH

Fachklinik für orthopädischtraumatologische Rehabilitation,
AHB, BGSW und Sportmedizin

Heinrich-Mann-Straße 5

36448 Bad Liebenstein

walther.kirschner@dr-lauterbach-klinik.de

Literatur

1. Kompetenznetz Orthopädie/Unfallchirurgie (KOUC): Aufbau lokaler, regionaler sowie überregionaler Netzwerke im Bereich der Orthopädie/Unfallchirurgie. www.kompetenznetz-ou.de

2. Zentrum für Versorgungsforschung (ZVFK): Schwerpunkt Versorgungsforschung. Bedarfsforschung, Inanspruchnahmeforschung, Organisationsforschung, HTA, Versorgungsökonomie, Versorgungsepidemiologie, Qualitätsforschung. Tätigkeitsbericht 2010 bis 2011, Köln.

3. Mazumdar M, Memtsoudis S. Cross-Institutional, interdisciplinary research. Perioperative outcomes in orthopedic surgery into clinical practice. Weill Cornell Medical College, New York, NY, www.weill.cornell.edu/research. Hospital for Special Surgery, New York, NY, www.hss.edu/physicians. Translational Science 2012: Improving Health Through Research and Training. April 18–20,2012, Washington, DC, www. translationalsciencemeeting.org

4. Deutsche Gesellschaft interdisziplinäre Notfallaufnahme e.V. (DGINA e. V.) u.a.: Sicherstellung einer zügigen Notfallversorgung durch Prozessoptimierungen. Gründungsversammlung Deutsche Gesellschaft interdisziplinärer Notfallaufnahme e.V., Leverkusen, 17. Juni 2005.

5. Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC): Aktualisierte Leitlinien. www.dgooc.de/leitlinien/aktualisierte-leitlinien, www.leitlinien.net

6. Gesundheit Österreich GmbH: Österreichischer Strukturplan Gesundheit 2010. Integrative regionale Versorgungsplanung. Evaluierung. Akut-/ Kurzzeitversorgung. Rehabilitation. Medizinisch-technische Großgeräte. Nahtstellen und Prozessmanagement. Ergebnisqualität. Herausgeber: Bundesministerium für Gesundheit.

7. Orthopädie und Unfallchirurgie: Mitteilungen und Nachrichten. Versorgungsforschung, Routinedaten für die Wissenschaft (50). BVOU, DGOU, DGOOC, DGU. Thieme, Oktober 2011

8. Rehabilitationswissenschaftliches Kolloquium (18.): Innovationen in der Rehabilitation – Kommunikation und Vernetzung. Münster, 09–11. März 2009.

9. Orthopädie- und Vitalzentrum Piro GmbH: Qualitätssteigerung und Kostenoptimierung durch interdisziplinäre Zusammenarbeit von Orthopädie-Technik und Physiotherapie nach Amputationen an der unteren Extremität. Qualitätsförderpreis Gesundheit, Baden Württemberg 2011. www.uvz-piro.de

10. Österreichischer Wissenschaftsrat:

Empfehlungen zur Onkologie an den medizinischen Universitäten Innsbruck, Wien und Graz. Innovative Therapien und Forschungskonzepte in der Onkologie. Wien, Mai 2009.

www.wissenschaftsrat.ac.at

11. Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.: Aufbauarbeit für wissensbasierte Versorgung. Interdisziplinärer Austausch. Qualitative Methoden. Register. Organisationsbezogene Versorgungsforschung u.a.. Entwicklung und Ausblick 2006 bis 2011. September 2011, Köln.

12. Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V. (DNVF e. V.): 10. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. 20.–22. Oktober 2011, Köln.

13. Schliehe F, Schmidt-Ohlemann M, Rehabilitation zwischen Tradition und Innovation. Gentner-Verlag, Stuttgart, 2010. ISBN 978–3–87247–731–6

14. Sepp R, Osterkorn M, Stadlmayr M: Trends, internationale Entwicklungen und künftige Herausforderungen in der beruflichen Rehabilitation. Gesellschaftliche Veränderungen, reduzierte Finanzmittel, Ökonomisierung der Rehabilitation, Fragmentierung des Rehabilitationsprozesses, Unternehmen in der Verantwortung. Studie im Auftrag der BBRZ Reha Gesellschaft mbH, Linz, Februar 2009

15. Chen JJ, Yang RK, The future of UIHC rehabilitation services. Iowa Orthop J 2009; 29: 139–142

16. Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR): ICF-Praxisleitfaden, 3. März 2010. Frankfurt a.M.

17. Bahr K, Kohlmann T, Patientenberichtete Assessmentverfahren in der stationären orthopädisch-traumatologischen Rehabilitation. Rehabilitationswissenschaftliches Kolloqium Bochum, 14.–16. März 2011

18. Deutscher Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU) 2011. Pohlemann, T. Niethard, U., Siebert, H.: Innovationen und Trends in Orthopädie und Unfallchirurgie. Versorgungssituation, Qualität, Sicherheit. 25.–28. Oktober 2011

Fussnoten

1 Kurparkklinik Dr. Lauterbach-Klinik GmbH, Bad Liebenstein

DOI 10.3238/oup.2012.0445–0452

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