Originalarbeiten - OUP 11/2012

Rehabilitation und Innovation in Orthopädie und Traumatologie –
Schnittstellen-Kautelen zur Prozesskette OP-Klinik/Rehabilitations-Klinik/ ambulanter Sektor
Vortrag anlässlich der 60. Jahrestagung der Vereinigung Süddeutscher Orthopäden und Unfallchirurgen e.V. am 28.04. 2012, Baden-Baden

Im Ergebnis sind bis dato keine ausreichenden Patientenorientierungen (und für Patienten greifbare positive Ergebnisse) zu erkennen. Dies trifft auf alle potenziell beteiligten Partner und Interessenverbände zu. Dringend erforderlich sind diesbezügliche Neuorientierungen und Vorgehensweisen [2; 17].

Beispiele – tradierte
isolierte Behandlungspfade

1. Rezidivierende chronische Rückenschmerzen:

Patient kommt zur stationären Rehabilitationsbehandlung.

Bisherige Maßnahmen: Intermittierende Behandlungen: seit Jahren Analgetika, Physiotherapie – manchmal periradikuläre Therapie (PRT), ggf. weitere Maßnahmen. Beschwerden insgesamt unverändert.

Zu diesem Zeitpunkt war noch keine klärende Diagnostik erfolgt (Nativröntgen, MRT ...). Daher: suboptimale Kautelen/Bedingungen für vorgesehene Rehabilitationstherapie.

Outcome: Variabel. Suboptimale Behandlungsergebnisse sind programmiert.

2. Persistierende Knieschmerzen:

Patient kommt zur stationären Rehabilitation.

Bisherige Diagnostik: Nativröntgenaufnahmen vor 2–4 Jahren, ggf. MRT vor 1–2 Jahren.

Bisherige Therapiemaßnahmen: Analgetika, ggf. Physiotherapie, ggf. Hilfsmittel, ggf. ein- bis mehrfach Arthroskopie, mäßiger Erfolg, z.T. schlimmer.

Folgen: Schmerzen seit Jahren, Job verloren/selbst aufgegeben.

Outcome: Mäßiger Behandlungserfolg, vor Rehabilitation war noch keine klärende Diagnostik/Differenzialdiagnostik erfolgt.

Weitere Erfordernisse/Maßnahmen: ggf. OP erforderlich, Indikationsprüfung, sekundäre Veranlassung. Insgesamt suboptimale Prozesse, ungenügende Versorgung des Patienten.

3. Postoperative persistierende Schmerzen nach Bandscheiben-OP

Patient kommt zur stationären Rehabilitation. Schmerzen seit 6 Monaten (a) oder 2–3 Jahren (b).

Bisherige Therapie (a): Analgetika, Kontroll-MRT ja/nein, ab-/zuwarten.

Bisherige Therapie (b): Kontroll-MRT vor 1–2 Jahren, Analgetika (nur initiale Wirkung), ggf. PRT.

Outcome: Problematisch bei (a) und (b), da (vor Antritt der Rehabilitationsbehandlung) noch keine abgeschlossene Diagnostik/Differenzialdiagnostik erfolgt ist. Ggf. operative Revision erforderlich (sekundäre Veranlassung zur Durchführung nach Rehabilitation), ggf. Psychotherapie, ggf. berufshelferische Maßnahmen/Job/Umschulungen etc.

Insgesamt nicht ausreichende integrative Prozesse/Behandlungs-/Versorgungskette.

4. Persistierender Bein-Belastungs-Schmerz bei Zustand nach Hüftgelenkendoprothetik:

Patient kommt zur stationären Rehabilitationsbehandlung.

Seit 2–3 Jahren Schmerzen am operierten Gelenk und am operierten Bein, zum Teil im Bereich beider Beine.

Bisherige Diagnostik: 3 Monate post-op, ggf. vor 3–6 Monaten erfolgt: o.B.

Bisherige Therapie: Analgetika, zuwarten.

Während Rehabilitationsbehandlung:

Mögliche Diagnostik: klinisch und radiologisch (Hüften, Knie), weitergehende Maßnahmen jedoch nicht möglich (z.B. MRT, FA Neurologie, weitere diagnostische Maßnahmen).

Therapeutische Möglichkeiten: Physiotherapie und komplexe physikalische Therapie (wird gemäß Rehasetting durchgeführt).

Anästhesiologische Techniken hingegen nicht möglich (keine Ressourcen bezüglich akutmedizinischem Komplikationsmanagement innerhalb Rehaklinik), ebenso nicht möglich, weitere Maßnahmen gemäß akutmedizinischer Kriterien.

Outcome: ggf. passagere Linderung.

Weitere Differenzialdiagnostik und Klärung erst nach Abschluss der Rehabilitationsbehandlung möglich.

Weitere erforderliche Maßnahmen:

Leidensgerechter Arbeitsplatz, Weiteres noch erforderlich.

Ggf. OP-Indikation – noch zu klären (MRT, FA Neurologie, Weiteres ....)

Verfahrensdefizite: ungenügende interdisziplinäre/integrative Prozesse/Behandlungspfade (fehlende Überwindung intersektoraler Grenzen).

Mögliche, erweiterte Perspektiven zu
Behandlungsketten

1. Medizinischer Sektor

Von Interesse sind zukünftig neue Ansätze medizinischer Konzepte, die an interdisziplinär/integrativen Aspekten orientiert sind.

Hierzu ist u.a. erforderlich:

  • Entwicklung von Prozessen und Strukturen, die eine Realisierung vollständiger Behandlungs- und Versorgungsketten ermöglichen. Entsprechend des aktuellen medizinischen Wissens müssen diese spezifisch sein, z.B. auf den Fachbereich Orthopädie/Traumatologie abgestimmt sein, dabei nicht in allgemeinmedizinischen Kriterien „verwässern“. Inhalte und Prozeduren müssen sich an der entsprechenden Expertise (hier: Orthopädie/Traumatologie) orientieren, andere Maßstäbe müssen dabei ausgeschlossen sein (fehlende Expertise) [18].
  • Solche spezifischen Behandlungs-/Versorgungs-Ketten sind fachlich bedarfsgemäß durch erforderliche weitere medizinische Maßnahmen zu ergänzen, um etwaige Behandlungslücken zu schließen (Erfordernis interdisziplinärer medizinischer Maßnahmen, Expertisen) [10, 5].
  • Um-/Neugestaltung von Fachgremien, sowohl bezüglich Expertise Orthopädie/Traumatologie, als auch bzgl. der weiteren medizinischen Fachbereiche und weiterer relevanter Gremien z.B. aus Gesundheitspolitik, Kostenträgern, wie auch relevanter Gremien aus anderen Sektoren (Arbeits-/Sozialverwaltung), sofern diese an Versorgungsketten beteiligt sind [6, 11, 12].
  • Weiteres: Zukünftig werden zunehmend neue Erfordernisse im Rahmen medizinischer Behandlungsmaßnahmen entstehen. Ein wichtiger Aspekt ist hierbei der erkennbare demografische Wandel mit Veränderungen in allen gesellschaftlichen Bereichen, einschließlich des medizinischen Sektors [13].

Bei einer älter werdenden Bevölkerung wird es sich eine Gesellschaft zukünftig nicht mehr wie bisher leisten können, ökonomische, fachliche und personelle Ressourcen des Gesundheitssystems überwiegend oder nahezu ausschließlich im akutmedizinischen Bereich zu fokussieren. Vielmehr werden kontextuale Behandlungs- und Versorgungskonzepte zunehmend vitale Bedeutung bekommen.

Dies trifft in besonderer Weise auf den Bereich der medizinischen Rehabilitation zu, da hier u.a. langfristig orientierte Behandlungskonzepte unter zusätzlicher Berücksichtigung relevanter sog. Kontextfaktoren (Arbeits- und Sozialbereich, Lebensgewohnheiten, psychoemotionaler Status etc.) in Behandlung und Betreuung von Patienten implementiert sind [14].

Eine relevante medizinische und gesellschaftliche Umorientierung in diese zukünftig zunehmend erforderlichen Maßnahmen hat noch nicht stattgefunden. Diese Entwicklung steht erst am Beginn. In diesem Zusammenhang gewinnt auch der Sektor Prävention zukünftig erheblich mehr an Bedeutung. Aus aktueller Sicht muss man jedoch konstatieren, dass hier noch ganz erhebliche Defizite bestehen.

Insofern bedarf es noch ganz erheblicher Anstrengungen im Forschungsbereich sowohl bezüglich der medizinischen Subexpertensysteme (inkl. Sektor Orthopädie/Traumatologie als spezifischer Fachbereich), als auch bezüglich der gesamten gesellschaftlichen Organisation des Gesundheitswesens. Somit müssen hier auch Diskurs und Kommunikation der relevanten Fachgruppen mit der Gesundheitspolitik erfolgen [2].

2. Administrativ-ökonomischer Sektor

Bisherige Entscheidungskompetenzen zeigen ein ausschließliches bzw. alleiniges Entscheidungs-Primat durch:

Gesetzliche/öffentliche Träger

Behörden/Institute

Andere Kostenträger (Konsortien, Holdings bei entsprechend primärer Profitorientierung).

Stattdessen sind zukünftig zur Realisierung neuer Behandlungsketten und Versorgungsstrategien andere Vorgaben erforderlich. Dabei sind Kooperationen aller beteiligten Sektoren als Grundlage gemeinsamer Entscheidungsfindungen erforderlich – z.B. im Sinne einer „konzertierten Aktion“. Anders sind die tatsächlich komplexen medizinischen Behandlungs- und Versorgungsbedarfe nicht zu realisieren [14].

3. Forschung, wissenschaftliche Gesellschaften

Gefragt ist zukünftig die systematische Etablierung von Leitlinien zu neuen integralen Behandlungsketten, wie sie bis dato nicht vorhanden sind.

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