Übersichtsarbeiten - OUP 04/2015

Schmerzprofile bei Patienten mit fortgeschrittener GonarthrosePain profiles of patients with advanced knee osteoarthritis
Eine explorative StudieAn exploratory study

T. Bossmann1, T. Brauner1, B. Michel2, M. Kley2, R. Eisenhart-Rothe3, N. Harrasser3, S. Horn4, T. Horstmann1,5

Zusammenfassung: Verfahren der quantitativ sensorischen Testung gewinnen für die Individualisierung der Behandlung von Schmerzpatienten zunehmend an Bedeutung. Ziel dieser explorativen Studie war es, die Schmerzprofile von Patienten mit schmerzhafter Gonarthrose zu evaluieren, die für die Implantation einer Knieendoprothese angemeldet waren. 44 Gonarthrose-Patienten erfüllten die Einschlusskriterien und wurden hinsichtlich Zeichen zentraler Sensibilisierung untersucht. Darüber hinaus wurde der WOMAC-Score (Western Ontario and McMaster Universities Osteoarthritis Index) erhoben. Bei 30 % der Patienten wurde eine erhöhte temporale Summation gefunden. 34 % der Patienten wiesen eine defizitäre endogene Schmerzhemmung auf. Bei 14 % der Patienten wurde sowohl eine erhöhte temporale Summation als auch eine fehlende Schmerzinhibition gefunden. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Patienten mit schmerzhafter Gonarthrose sowohl pro- als auch antinozizeptive Schmerzprofile aufweisen können.

Schlüsselwörter: pronozizeptiver Schmerz-Phänotyp,
antinozizeptiver Schmerz-Phänotyp, temporale Summation, Conditioned Pain Modulation

Zitierweise
Bossmann T, Brauner T, Michel B et al. Schmerzprofile bei Patienten
mit fortgeschrittener Gonarthrose – Eine explorative Studie.
OUP 2015; 04: 206–211 DOI 10.3238/oup.2015.0206–0211

Summary: Methods of quantitative sensory testing gain importance in the individualized treatment of pain patients. The aim of this exploratory study was to evaluate the pain profiles of patients with painful knee osteoarthritis. 44 patients with painful knee osteoarthritis who were scheduled for total knee replacement fulfilled the inclusion criteria and were screened for signs of central sensitization. Furthermore, patients completed the WOMAC (Western Ontario and McMaster Universities Osteoarthritis Index) questionnaire. An enhanced temporal summation was found in 30 % of the patients. 34 % of the patients showed a deficient endogenous pain inhibition. 14 % of the patients showed an enhanced temporal summation as well as a deficient endogenous pain inhibition. The results suggest that there are both pro- and antinociceptive pain profiles in patients with painful knee osteoarthritis.

Keywords: pronozizeptive pain-phenotype, antinozizeptive pain-phenotype, temporal summation, conditioned pain modulation

Citation
Bossmann T, Brauner T, Michel B et al. Pain profiles of patients with
advanced knee osteoarthritis – An exploratory study.
OUP 2015; 04: 206–211 DOI 10.3238/oup.2015.0206–0211

Einleitung

Verfahren der quantitativ sensorischen Testung gewinnen für die Individualisierung der Behandlung von Schmerzpatienten zunehmend an Bedeutung [1–3]. Insbesondere die Evaluation von pro- beziehungsweise antinozizeptiven Schmerzprofilen wird derzeit diskutiert [4]. Dynamische Schmerzparameter scheinen für die Evaluation unterschiedlicher Schmerzprofile vielversprechend zu sein – dazu gehören die Evaluation des Ausmaßes der temporalen Summation nach wiederholt schmerzhafter Reizung sowie Testverfahren zur Messung endogener Schmerzhemm-Mechanismen, die unter dem Begriff Conditioned Pain Modulation bekannt geworden sind [4]. Beide Parameter bilden Mechanismen ab, die das Geschehen der Schmerzentwicklung mitbestimmen und werden daher unter anderem als Prädiktoren für die Entwicklung chronischer Schmerzen diskutiert [5, 6].

Beim ersten Schmerzparameter – temporale Summation – kommt es durch eine Serie von 10 noxischen Stimuli zu einem Anstieg der Schmerzintensität vom ersten bis zum letzten Reiz [5]. Bei der temporalen Summation handelt es sich um ein Korrelat neuraler Plastizität, das den Prozess zentraler Sensibilisierung auf Rückenmarksebene abbildet [7]. Bei verschiedenen Krankheitsbildern (z.B. Fibromyalgie, chronische Rückenschmerzen oder Migräne) wurde bereits ein gesteigertes Ausmaß an temporaler Summation gefunden [7]. Ob diese Beziehung ursächlich oder assoziativ ist, bleibt zu klären, es gibt jedoch Hinweise darauf, dass spinale Sensibilisierung der Manifestation einer Schmerzerkrankung vorausgeht [8]. Die Größe des Anstiegs scheint darüber hinaus prädiktiv für die Intensität akuter postoperativer Schmerzen zu sein [6].

Der zweite Schmerzparameter – Conditioned Pain Modulation (früher: Diffuse Noxious Inhibitory Control) – testet die zentrale Schmerzmodulation mittels eines speziellen „Schmerz hemmt Schmerz“-Testparadigmas [9–12]. Über eine zentrale Schaltstelle in der Medulla oblongata kommt es durch einen Schmerzreiz zu einer reflexartigen Hemmung der Wide-dynamic-range-Neurone im Rückenmark und im trigeminalen System, was einen verminderten Zustrom nozizeptiver Informationen aus allen anderen Körperabschnitten zur Folge hat [13]. Es gibt Hinweise darauf, dass die Schmerzintensität bei Patienten mit Kniearthrose mit Zeichen zentraler Sensibilisierung assoziiert sein könnte [14, 15]. Darüber hinaus wurde bereits in einer früheren Studie eine Conditioned Pain Modulation-Dysfunktion bei Patienten mit Gonarthrose gefunden [16].

Da Patienten mit Gonarthrose im Vergleich zu gesunden Probanden oftmals eine Fazilitation der temporalen Summation sowie eine Verminderung des Conditioned Pain Modulation-Effekts zeigen [17], erscheint eine Klassifizierung der Patienten in Subgruppen [3, 18] ein adäquater Ansatz für die Therapiesteuerung zu sein. Yarnitsky et al. [4] beschreiben in diesem Zusammenhang ein pro- und ein antinozizeptives Schmerzmodulationsprofil. Patienten mit einem pronozizeptiven Schmerz-Phänotyp sollen ein hohes Risiko für die Entwicklung von Schmerzen haben, eine hohe Prävalenz von Schmerzsyndromen zeigen und mehr Schmerzen nach Verletzungen aufweisen. Patienten mit antinozizeptivem Schmerz-Phänotyp hingegen sollen generell weniger unter Schmerzen leiden.

Ziel dieser explorativen Studie war es daher, die unterschiedlichen Schmerzprofile von Patienten mit schmerzhafter Gonarthrose, die für die Implantation einer Knieendoprothese angemeldet waren, zu evaluieren. Es sollte untersucht werden, ob es zwischen den Subgruppen von Patienten mit unterschiedlichen Schmerzprofilen signifikante Unterschiede hinsichtlich Schmerzen und Funktionsfähigkeit gibt. Darüber hinaus sollte analysiert werden, ob es einen Zusammenhang zwischen den Beschwerden der Patienten und einer Fazilitation der temporalen Summation sowie einer Verminderung des Conditioned Pain Modulation-Effekts gibt.

Methode

Stichprobe

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