Übersichtsarbeiten - OUP 04/2015

Schmerzprofile bei Patienten mit fortgeschrittener GonarthrosePain profiles of patients with advanced knee osteoarthritis
Eine explorative StudieAn exploratory study

T. Bossmann1, T. Brauner1, B. Michel2, M. Kley2, R. Eisenhart-Rothe3, N. Harrasser3, S. Horn4, T. Horstmann1,5

Zusammenfassung: Verfahren der quantitativ sensorischen Testung gewinnen für die Individualisierung der Behandlung von Schmerzpatienten zunehmend an Bedeutung. Ziel dieser explorativen Studie war es, die Schmerzprofile von Patienten mit schmerzhafter Gonarthrose zu evaluieren, die für die Implantation einer Knieendoprothese angemeldet waren. 44 Gonarthrose-Patienten erfüllten die Einschlusskriterien und wurden hinsichtlich Zeichen zentraler Sensibilisierung untersucht. Darüber hinaus wurde der WOMAC-Score (Western Ontario and McMaster Universities Osteoarthritis Index) erhoben. Bei 30 % der Patienten wurde eine erhöhte temporale Summation gefunden. 34 % der Patienten wiesen eine defizitäre endogene Schmerzhemmung auf. Bei 14 % der Patienten wurde sowohl eine erhöhte temporale Summation als auch eine fehlende Schmerzinhibition gefunden. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Patienten mit schmerzhafter Gonarthrose sowohl pro- als auch antinozizeptive Schmerzprofile aufweisen können.

Schlüsselwörter: pronozizeptiver Schmerz-Phänotyp,
antinozizeptiver Schmerz-Phänotyp, temporale Summation, Conditioned Pain Modulation

Zitierweise
Bossmann T, Brauner T, Michel B et al. Schmerzprofile bei Patienten
mit fortgeschrittener Gonarthrose – Eine explorative Studie.
OUP 2015; 04: 206–211 DOI 10.3238/oup.2015.0206–0211

Summary: Methods of quantitative sensory testing gain importance in the individualized treatment of pain patients. The aim of this exploratory study was to evaluate the pain profiles of patients with painful knee osteoarthritis. 44 patients with painful knee osteoarthritis who were scheduled for total knee replacement fulfilled the inclusion criteria and were screened for signs of central sensitization. Furthermore, patients completed the WOMAC (Western Ontario and McMaster Universities Osteoarthritis Index) questionnaire. An enhanced temporal summation was found in 30 % of the patients. 34 % of the patients showed a deficient endogenous pain inhibition. 14 % of the patients showed an enhanced temporal summation as well as a deficient endogenous pain inhibition. The results suggest that there are both pro- and antinociceptive pain profiles in patients with painful knee osteoarthritis.

Keywords: pronozizeptive pain-phenotype, antinozizeptive pain-phenotype, temporal summation, conditioned pain modulation

Citation
Bossmann T, Brauner T, Michel B et al. Pain profiles of patients with
advanced knee osteoarthritis – An exploratory study.
OUP 2015; 04: 206–211 DOI 10.3238/oup.2015.0206–0211

Einleitung

Verfahren der quantitativ sensorischen Testung gewinnen für die Individualisierung der Behandlung von Schmerzpatienten zunehmend an Bedeutung [1–3]. Insbesondere die Evaluation von pro- beziehungsweise antinozizeptiven Schmerzprofilen wird derzeit diskutiert [4]. Dynamische Schmerzparameter scheinen für die Evaluation unterschiedlicher Schmerzprofile vielversprechend zu sein – dazu gehören die Evaluation des Ausmaßes der temporalen Summation nach wiederholt schmerzhafter Reizung sowie Testverfahren zur Messung endogener Schmerzhemm-Mechanismen, die unter dem Begriff Conditioned Pain Modulation bekannt geworden sind [4]. Beide Parameter bilden Mechanismen ab, die das Geschehen der Schmerzentwicklung mitbestimmen und werden daher unter anderem als Prädiktoren für die Entwicklung chronischer Schmerzen diskutiert [5, 6].

Beim ersten Schmerzparameter – temporale Summation – kommt es durch eine Serie von 10 noxischen Stimuli zu einem Anstieg der Schmerzintensität vom ersten bis zum letzten Reiz [5]. Bei der temporalen Summation handelt es sich um ein Korrelat neuraler Plastizität, das den Prozess zentraler Sensibilisierung auf Rückenmarksebene abbildet [7]. Bei verschiedenen Krankheitsbildern (z.B. Fibromyalgie, chronische Rückenschmerzen oder Migräne) wurde bereits ein gesteigertes Ausmaß an temporaler Summation gefunden [7]. Ob diese Beziehung ursächlich oder assoziativ ist, bleibt zu klären, es gibt jedoch Hinweise darauf, dass spinale Sensibilisierung der Manifestation einer Schmerzerkrankung vorausgeht [8]. Die Größe des Anstiegs scheint darüber hinaus prädiktiv für die Intensität akuter postoperativer Schmerzen zu sein [6].

Der zweite Schmerzparameter – Conditioned Pain Modulation (früher: Diffuse Noxious Inhibitory Control) – testet die zentrale Schmerzmodulation mittels eines speziellen „Schmerz hemmt Schmerz“-Testparadigmas [9–12]. Über eine zentrale Schaltstelle in der Medulla oblongata kommt es durch einen Schmerzreiz zu einer reflexartigen Hemmung der Wide-dynamic-range-Neurone im Rückenmark und im trigeminalen System, was einen verminderten Zustrom nozizeptiver Informationen aus allen anderen Körperabschnitten zur Folge hat [13]. Es gibt Hinweise darauf, dass die Schmerzintensität bei Patienten mit Kniearthrose mit Zeichen zentraler Sensibilisierung assoziiert sein könnte [14, 15]. Darüber hinaus wurde bereits in einer früheren Studie eine Conditioned Pain Modulation-Dysfunktion bei Patienten mit Gonarthrose gefunden [16].

Da Patienten mit Gonarthrose im Vergleich zu gesunden Probanden oftmals eine Fazilitation der temporalen Summation sowie eine Verminderung des Conditioned Pain Modulation-Effekts zeigen [17], erscheint eine Klassifizierung der Patienten in Subgruppen [3, 18] ein adäquater Ansatz für die Therapiesteuerung zu sein. Yarnitsky et al. [4] beschreiben in diesem Zusammenhang ein pro- und ein antinozizeptives Schmerzmodulationsprofil. Patienten mit einem pronozizeptiven Schmerz-Phänotyp sollen ein hohes Risiko für die Entwicklung von Schmerzen haben, eine hohe Prävalenz von Schmerzsyndromen zeigen und mehr Schmerzen nach Verletzungen aufweisen. Patienten mit antinozizeptivem Schmerz-Phänotyp hingegen sollen generell weniger unter Schmerzen leiden.

Ziel dieser explorativen Studie war es daher, die unterschiedlichen Schmerzprofile von Patienten mit schmerzhafter Gonarthrose, die für die Implantation einer Knieendoprothese angemeldet waren, zu evaluieren. Es sollte untersucht werden, ob es zwischen den Subgruppen von Patienten mit unterschiedlichen Schmerzprofilen signifikante Unterschiede hinsichtlich Schmerzen und Funktionsfähigkeit gibt. Darüber hinaus sollte analysiert werden, ob es einen Zusammenhang zwischen den Beschwerden der Patienten und einer Fazilitation der temporalen Summation sowie einer Verminderung des Conditioned Pain Modulation-Effekts gibt.

Methode

Stichprobe

Im Rahmen dieser Studie wurden Patienten mit schmerzhafter Gonarthrose untersucht, die für die Implantation einer Knieendoprothese angemeldet waren. Patienten mit ernsten internistischen oder neurologischen Erkrankungen sowie mit behandlungsbedürftigen psychischen Störungen wurden ausgeschlossen. 44 Patienten (m: 16 w: 28, Gewicht: 80 ± 3 kg, Größe: 169 ± 1,6 cm) mit einem Alter von durchschnittlich 70 ± 10 Jahren (Minimum: 39 Jahre; Maximum: 86 Jahre) erfüllten die Einschlusskriterien und wurden in die Studie aufgenommen. Alle Patienten gaben ihr schriftliches Einverständnis zur Teilnahme an der Studie. Die Studie wurde durch die Ethikkommission der Medizinischen Fakultät der Technischen Universität München geprüft und ein positives Ethikvotum erteilt. Zudem wurde die Studie im Deutschen Register klinischer Studien registriert.

WOMAC-Score

Die Patienten wurden im Rahmen einer Schmerzanamnese befragt und der WOMAC-Score erhoben. Der WOMAC beinhaltet 24 Fragen zu 3 Dimensionen: Schmerz (5 Fragen), Steifigkeit (2 Fragen) und Alltagsaktivitäten (17 Fragen). In dieser Untersuchung kam die „Numerical Rating“ (WOMAC NRS-series)-Version zur Anwendung. Die maximal erreichbare Punktzahl beträgt 240 (Schmerz: 50, Steifigkeit: 20, Alltagsaktivitäten: 170). Zur Normalisierung der WOMAC-Ergebnisse werden die erreichten Werte mit 100 multipliziert und dann durch den Maximalwert der jeweiligen Skala dividiert. Höhere Punkt- bzw. Prozentwerte repräsentieren somit jeweils mehr Schmerz und Steifigkeit beziehungsweise eine schlechtere Funktionsfähigkeit [19].

Untersuchung der temporalen Summation (Wind up Ratio)

Das Ausmaß der temporalen Summation – das heißt die Steigerung der Schmerzintensität – nach einer Serie von 10 noxischen Reizen an 5 Punkten am Unterarm der dominanten Hand wurde mit einem von Frey Filament (Aesthesio, No. 6.45) untersucht (Abb. 1) und die Wind up Ratio bestimmt. Diese berechnet sich aus dem Mittelwert der jeweils 10. Schmerzbewertung dividiert durch den Mittelwert der jeweils initialen Schmerzbewertung. Je größer die Wind up Ratio, desto stärker die spinale Sensibilisierung. Zur Klassifikation der Patienten in Subgruppen mit positivem und negativem Testergebnis wurden die Ergebnisse einer Untersuchung von Rolke et al. [20] an 180 gesunden, schmerzfreien Probanden zugrunde gelegt. In der Arbeit von Rolke wurde für die Wind up Ratio an der oberen Extremität für gesunde, schmerzfreie Frauen über 40 Jahre ein Mittelwert von 2,4 und für gesunde, schmerzfreie Männer über 40 Jahre ein Mittelwert von 1,97 gefunden. Einen Konsens, ab wann von einer spinalen Sensibilisierung auszugehen ist, existiert bisher jedoch nicht. Daher wurden für diese Studie festgelegt, dass das Testergebnis als positiv gewertet wird, wenn die Wind up Ratio mehr als 25 % höher liegt als der von Rolke et al. gefundene Mittelwert bei gesunden, schmerzfreien Personen. Daraus ergibt sich für die Frauen ein Cut-off-Score von 3,0 und für die Männer von 2,5. Betrug die Wind up Ratio der weiblichen Patienten in der vorliegenden Studie < 3,0, wurde dies somit als negatives Testergebnis gewertet (keine spinale Sensibilisierung), lag der Wert bei ? 3,0, wurde dies als positives Testergebnis gewertet (spinale Sensibilisierung). Analog wurde bei den männlichen Patienten eine Wind up Ratio von < 2,5 als negatives Testergebnis gewertet (keine spinale Sensibilisierung), lag der Wert bei ? 2,5, wurde dies als positives Testergebnis gewertet (spinale Sensibilisierung).

Untersuchung des Conditioned Pain Modulation-Effekts

Die Effektivität der körpereigenen Schmerzinhibition wurde mit einem definierten Conditioned Pain Modulation-Testprotokoll evaluiert (Abb. 2). Zur experimentellen Induzierung des schmerzhemmenden Effekts wird ein schmerzhafter, tonischer Konditionierungsstimulus eingesetzt – in dieser Studie wurde zur Konditionierung eine 2-minütige mechanische Stimulation der Hautfalte zwischen Zeige- und Mittelfinger der nicht dominanten Hand appliziert [21]. Ein Teststimulus dient dabei zur Überprüfung der endogenen Schmerzhemmung und wird einmal vor und einmal nach der Konditionierungsphase an einer entfernten Körperstelle appliziert – in dieser Studie wurde die Messung der Druckschmerzschwelle mittels Algometer (Wagner Pain Test FPN 100) am Daumenballen der dominanten Hand als Teststimulus genutzt [20] (Abb. 2). Verringert sich die Schmerzempfindlichkeit durch die noxische Stimulation, spricht dies für eine effektive deszendierende Inhibition [11].

Der Wert für den Conditioned Pain Modulation-Effekt errechnet sich aus der Differenz der gemessenen Druckschmerzschwellen. Bei einem Anstieg der Druckschmerzschwelle von > 1 N während der mechanischen Stimulation wurde die endogene Schmerzhemmung als effektiv gewertet (= negatives Testergebnis). Bei einer Verringerung der Druckschmerzschwelle von > 1 N während der mechanischen Stimulation wurde die endogene Schmerzhemmung als defizitär eingestuft (= positives Testergebnis).

Klassifikation in Schmerzprofile

Patienten, bei denen beide Tests positiv waren, wurden als pronozizeptiver Schmerz-Phänotyp klassifiziert, Patienten, bei denen beide Tests negativ waren, wurden als antinozizeptiver Schmerz-Phänotyp klassifiziert.

Statistische Analyse

Die Patientencharakteristika wurden mit Verfahren der deskriptiven Statistik ausgewertet und jeweils Mittelwerte, Standardabweichungen sowie Minimum und Maximum angegeben. Aufgrund fehlender Normalverteilung (Kolmogorov-Smirnov-Test) wurde mithilfe des nicht parametrischen Kruskal-Wallis-Tests für unabhängige Stichproben analysiert, ob es zwischen den beiden unterschiedlichen Schmerzprofilgruppen signifikante Unterschiede hinsichtlich des WOMAC-Scores gibt. Das Signifikanzniveau wurde auf p < 0,05 festgelegt.

Für die Quantifizierung des Zusammenhangs der beiden dynamischen Schmerzparameter mit den Beschwerden der Patienten wurde der Korrelationskoeffizient nach Spearman berechnet.

Ergebnisse

Schmerzanamnese

Die Patienten litten durchschnittlich seit 7 ± 6 Jahren unter Knieschmerzen (1–30 Jahre). Alle Patienten gaben Schmerzen bei Belastung an, 43 % litten sogar dauerhaft unter Schmerzen. 27 % gaben an, zusätzlich zu ihren Knieschmerzen noch 3 oder mehr weitere Schmerzbereiche im Körper zu haben. Hinsichtlich der Schmerzqualität wurden am häufigsten stechende (52 %), ziehende (47 %) und/oder brennende Schmerzen (46 %) angegeben.

WOMAC

Der WOMAC-Gesamtscore betrug durchschnittlich 100 ± 41 Punkte beziehungsweise 42 % ± 17 % (33–212 Punkte bzw. 14–88 %). In der Subskala WOMAC-Pain erreichten die Patienten durchschnittlich 22 ± 9 Punkte bzw. 44 % ± 18 % (7–43 Punkte bzw. 14–86 %), in der Subskala WOMAC-Stiffness durchschnittlich 9 ± 5 Punkte bzw. 45 % ± 25 % (0–20 Punkte bzw. 0–100 %) und in der Subskala WOMAC-Function durchschnittlich 69 ± 30 Punkte bzw. 41 % ± 18 % (23–149 Punkte bzw. 14–88 %).

Temporale Summation (Wind up Ratio)

Die Wind up Ratio als Parameter für die Quantifizierung der temporalen Summation in dieser Stichprobe betrug durchschnittlich 2,4 ± 0,9 (95 % CI: 2,1–2,7). Insgesamt lag bei 30 % der Patienten (n = 13) eine spinale Sensibilisierung vor.

Bei den weiblichen Patienten (n = 28) betrug die Wind up Ratio durchschnittlich 2,6 ± 1 (95 % CI: 2,2 bis 2,9). 32 % (n = 9) der Frauen wiesen ein positives Testergebnis auf.

Bei den männlichen Patienten (n = 16) betrug die Wind up Ratio durchschnittlich 2,0 ± 0,9 (95 % CI: 1,6 bis 2,5). Bei den Männern wiesen 25 % (n = 4) ein positives Testergebnis auf.

Conditioned Pain Modulation

34 % der Patienten wiesen eine defizitäre endogene Schmerzhemmung auf, 59 % zeigten im Rahmen des Conditioned Pain Modulation-Testprotokolls eine physiologische Schmerzinhibition. Bei rund 7 Prozent kam es weder zu einer Schmerzhemmung noch zu einer Schmerzfazilitierung.

Klassifikation in Schmerzprofile

Bei 14 % der Patienten wurde sowohl eine spinale Sensibilisierung als auch eine fehlende Schmerzinhibition gefunden (pronozizeptiver Schmerz-Phänotyp, n = 6). Bei 43 % der Patienten waren beide Tests negativ (antinozizeptiver Schmerz-Phänotyp, n = 19). Bei den restlichen Patienten war nur einer der beiden Tests positiv: 27 % wiesen eine isoliert vorhandene defizitäre Schmerzhemmung auf, 16 % eine isoliert vorhandene spinale Sensibilisierung.

Subgruppenanalyse

Eine Analyse innerhalb der Subgruppen von Patienten mit pro- (beide Tests positiv, n = 6) bzw. antinozizeptiven (beide Tests negativ, n = 19) Schmerzprofilen zeigte einen nicht signifikanten, um 3 Punkte bzw. 6 Prozent höheren WOMAC-Pain-Score in der Gruppe der Patienten mit pronozizeptivem Schmerzprofil im Vergleich zu der Gruppe der Patienten mit antinozizeptivem Schmerzprofil (26 ± 4 Punkte bzw. 52 % ± 8 % vs. 23 ± 9 Punkte bzw. 46 % ± 18 %, p = 0,18).

Zusammenhang der
Schmerzparameter mit den
Beschwerden der Patienten

Die Korrelationsanalyse zeigte eine signifikante Korrelation zwischen der Wind up Ratio und der Subskala WOMAC-Pain (Spearman rho = 0,4, p = 0,01) sowie dem WOMAC-Gesamtscore (Spearman rho = 0,4, p = 0,02). In Bezug auf den Conditioned Pain Modulation-Effekt konnte kein signifikanter Zusammenhang mit den Beschwerden der Patienten identifiziert werden.

Diskussion

Ziel dieser explorativen Studie war es, die unterschiedlichen Schmerzprofile von Patienten mit schmerzhafter Gonarthrose zu evaluieren, die für die Implantation einer Knieendoprothese angemeldet waren. Es sollte untersucht werden, ob es zwischen den Subgruppen von Patienten mit unterschiedlichen Schmerzprofilen signifikante Unterschiede hinsichtlich Schmerzen und Funktionsfähigkeit gibt. Darüber hinaus sollte analysiert werden, ob es einen Zusammenhang zwischen den Beschwerden der Patienten und einer Fazilitation der temporalen Summation sowie einer Verminderung des Conditioned Pain Modulation-Effekts gibt.

Temporale Summation

Durchschnittlich betrug die Wind up Ratio in dieser Stichprobe 2,4 – dies entspricht den Normwerten, die bei gesunden schmerzfreien Personen gefunden wurden [20]. Allerdings gab es hinsichtlich der Wind up Ratio in dieser Stichprobe eine große Variabilität – die Werte reichten von 1,0–5,4. Insbesondere die Patienten mit einer spinalen Sensibilisierung – in dieser Stichprobe war etwa ein Drittel betroffen – könnten möglicherweise ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung chronischer Schmerzen aufweisen [6, 17]. In dieser Studie wurde ebenfalls ein moderater signifikanter Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der temporalen Summation und der Subskala WOMAC-Pain sowie dem WOMAC-Gesamt-Score gefunden.

Conditioned Pain Modulation

Mehr als die Hälfte der Patienten in dieser Studie wiesen eine physiologische Schmerzinhibition auf. Dies zeigt, dass Patienten mit schmerzhafter Gonarthrose nicht grundsätzlich unter einer defizitären endogenen Schmerzhemmung leiden. Darüber hinaus wurde kein Zusammenhang zwischen der Conditioned Pain Modulation-Effektivität und den Beschwerden der Patienten gefunden. Dieser Schmerzparameter alleine scheint somit keine Aussagekraft für die Einschätzung der Schmerzsymptomatik der Patienten aufzuweisen.

Schmerzprofile

Die untersuchten Patienten mit schmerzhafter Gonarthrose weisen sowohl pro- als auch antinozizeptive Schmerzprofile auf.

Die Ergebnisse dieser Studie deuten außerdem darauf hin, dass ein positives Testergebnis alleine nur eine geringe Aussagekraft für die Einschätzung der Beschwerden der Patienten aufweist. Patienten, bei denen jedoch beide Testresultate im Sinne einer Störung der Schmerzmodulation auffällig waren, zeigten erhöhte Werte in der Subskala WOMAC-Pain. Da die Subgruppen mit pronozizeptivem Schmerzprofil (2 Tests positiv, n = 6) und antinozizeptivem Schmerzprofil (2 Tests negativ, n = 19) eine geringe Stichprobengröße aufwiesen, war dieser Unterschied statistisch zwar nicht signifikant (26 ± 4 Punkte bzw. 52 % ± 8 % vs. 23 ± 9 Punkte bzw. 46 % ± 18 %, p = 0,18), es wurde jedoch ein Trend sichtbar. Dies sollte mit einer größeren Anzahl von Patienten weiter untersucht werden.

Die Evaluation der unterschiedlichen Schmerzprofile könnte in der Praxis hilfreich sein für die Individualisierung der Therapiestrategie [1]. Eventuell benötigen Patienten mit pronozizeptivem Schmerzprofil im Rahmen der Routineversorgung zusätzliche Interventionen zur Behandlung der Zeichen zentraler Sensibilisierung. Insbesondere aktivierende Therapien, Übungen und kognitiv-verhaltensbezogene Ansätze könnten für diese Subgruppe von Patienten wichtig sein [22, 23] – sowohl präoperativ zur Verbesserung von Schmerzen und Funktionsfähigkeit, als auch postoperativ zur Vermeidung von Schmerz-Chronifizierung.

Limitationen

Die Studie weist verschiedene Limitationen auf. Zum einen gibt es für die Dichotomisierung der Untersuchungsergebnisse in positive und negative Testresultate weder für die temporale Summation noch für den Conditioned Pain Modulation-Effekt einen allgemeingültigen Konsens. Für die Festlegung von Cut-off-Werten für die temporale Summation konnte aber zumindest auf Normwert-Daten von gesunden, schmerzfreien Personen zurückgegriffen werden. Die vorliegende Studie bietet daher für beide Schmerzparameter nachvollziehbare Ansätze für die Subgruppenzuordnung, die in weiteren Studien überprüft werden müssen.

Zum anderen ist die Stichprobengröße gering. Lediglich 6 Patienten konnten in die Subgruppe mit pronozizeptivem Schmerzprofil klassifiziert werden, in der Gruppe mit antinozizeptivem Schmerzprofil waren es 19 Patienten. Trotz der geringen Patientenanzahl wurde ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der temporalen Summation und der Subskala WOMAC-Pain sowie dem WOMAC-Gesamt-Score gefunden sowie ein Trend zu Unterschieden hinsichtlich der Schmerzsymptomatik in den Subgruppen. Diese richtungsweisenden Ergebnisse sollten mit einer größeren Patientenanzahl weiter untersucht werden.

Konklusion

Zusammenfassend muss konstatiert werden, dass bei Patienten mit schmerzhafter Gonarthrose nicht generell eine Fazilitation der temporalen Summation sowie eine Verminderung des Conditioned Pain Modulation-Effekts vorhanden ist.

Ein gesteigertes Ausmaß der temporalen Summation scheint mit stärkeren Schmerzen in Zusammenhang zu stehen und könnte möglicherweise die Entwicklung chronischer Schmerzen begünstigen. Die Evaluation der unterschiedlichen Schmerz-Phänotypen könnte daher für die Individualisierung der Therapiestrategie in der Praxis nutzbar sein. Insbesondere Patienten mit pronozizeptivem Schmerzprofil könnten hiervon profitieren.

Interessenskonflikt: Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des Internationalen Committee of Medical Journal Editors besteht.

Korrespondenzadresse

MSc. Tanja Bossmann

Fachbereich Konservative &
Rehabilitative Orthopädie

Technische Universität München

Georg-Brauchle-Ring 60/62

80992 München

tanja.bossmann@tum.de

Literatur

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23. Smith MT, Finan PH, Buenaver LF et al. Cognitive-behavior therapy for insomnia in knee osteoarthritis: A double-blind, randomized, active placebo controlled clinical trial. Arthritis & rheumatology 2015;

Fussnoten

1 Technische Universität München, Fachbereich Konservative & Rehabilitative Orthopädie

2 endogap Klinik für Gelenkersatz im Klinikum Garmisch-Partenkirchen

3 Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Sportorthopädie am Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München

4 Krankenhaus Barmherzige Brüder München, Abteilung für Orthopädie und Unfallchirurgie, München

5 Medical Park Bad Wiessee, Klinik St. Hubertus

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