Originalarbeiten - OUP 09/2013

Septische und aseptische Komplikationen in Verbindung mit Kortikoid-Injektionen
Eine Auswertung von 278 einschlägigen Fällen der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Jahre 2005–2009An assessment of 278 cases reviewed by expert commissions and mediation boards from 2005–2009

C. Holland1, L. Jaeger1, U. Smentkowski1, B.Weber1, C. Otto2

Hintergrund: Lokale Kortikoid-Injektionen können schwere septische und aseptische Komplikationen zur Folge haben.

Methode: Im Zeitraum 2005–2009 überprüften ärztliche Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen 1528 Verfahren wegen vermeintlicher Behandlungsfehler nach einer Injektion.

Ergebnisse: Es wurden 278 Fälle identifiziert, in denen Komplikationen nach Injektion von Glukokortikoiden auftraten. Bei den Injektionen handelte sich um intraartikuläre, wirbelsäulennahe, intramuskuläre und andere lokale Injektionen. In 39,6 % der Fälle wurden folgende Behandlungs- und/oder Aufklärungsfehler festgestellt: Die Asepsis wurde nicht eingehalten, die Indikation fehlte, die Injektionen erfolgten in zu dichter Folge und zu hoher Dosierung, Infektionen wurden verkannt, Fehlinjektionen wurden verabreicht, die Risikoaufklärung fehlte und es gab Organisations- und Dokumentationsfehler.

Schlussfolgerung: Die Injektion von Glukokortikoiden muss streng den Angaben der Hersteller zur Galenik, zu den Mengen pro Injektion und den Injektionsintervallen folgen. Injektionen in zu kurzen Abständen erhöhen das Infektionsrisiko. Dies ist auch bei der Indikation wirbelsäulennaher Injektionen strenger als bisher zu beachten. An die Asepsis sind hohe Anforderungen zu stellen. Die Indikation muss sich aus der ärztlichen Dokumentation nachvollziehen lassen. Bei Infiltrationen und Injektionen in kleine Gelenke und Sehnenfächer ist die Applikation von Kristallen ins Unterhaut- und Fettgewebe zu vermeiden. Die intramuskuläre Gabe von Depot-Glukokortikoiden sollte vermieden werden. Über die möglichen Komplikationen einer Infektion und/oder einer Gewebeatrophie ist der Patient ebenso aufzuklären wie über mögliche Behandlungsalternativen.

Schlüsselwörter: Behandlungsfehler, Korticosteroid, Infektionsrisiko, Injektion, Sepsis

 

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung aus dem Deutschen Ärzteblatt 24/2012, Seite 425–430

Background: Local corticosteroid injections can have serious septic and aseptic complications.

Methods: From 2005 to 2009, medical expert committees and mediation boards reviewed 1528 cases of alleged treatment errors relating to injections.

Results: 278 cases were identified in which complications arose after local glucocorticosteroid injections. The injections were intra-articular, paravertebral, intramuscular, and at other sites. In 39,6 % of cases, treatment errors or patient information errors of the following types were found: aseptic technique was not maintained, injections were performed in the absence of an indication, time intervals between injections were too short, excessive doses were administered, infections were not diagnosed, erroneous injections were performed, patients were not informed of the risks, and there were errors of organization and documentation.

Conclusions: Injections of glucocorticosteroids must be performed in strict adherence to the manufacturer’s instructions with respect to the composition of the solution to be injected, the quantity per injection, and the intervals between injections. Repeated injections with too little time between them raise the risk of infection. Physicians should pay more attention to this fact, particularly when deciding on the indication for paravertebral injections. Aseptic technique should be strictly maintained. The indication for the injection should be clearly documented. When glucocorticosteroids are injected into small joints and tendon spaces, the introduction of crystals into the subcutaneous tissue and adipose tissue should be avoided. The intramuscular administration of depot glucocorticosteroids should be avoided. Patients should be informed of the risk of infection and/or tissue atrophy, as well as of alternative forms of treatment.

Keywords: treatment errors, corticosteroid, risk of infection,
injection, sepsis

 

Citation

Holland C, Jaeger L, Smentkowski U, Weber B, Otto C: Septic and aseptic complications of corticosteroid injections. Dtsch Arztebl Int 2012; 109(24): 425–30. DOI: 10.3238/arztebl.2012.0425

Parenteral applizierbare Kortikoide werden als systemische (intravenös/intramuskulär) und als lokale (intraartikulär/als Infiltration) Therapie eingesetzt. Handelsüblich stehen sie in wässrigen Lösungen oder als Kristallsuspension zur Verfügung. Diesen Darreichungsformen wird eine längere Wirkungsdauer (Depotwirkung) zugeschrieben.

Seit Beginn der lokalen Anwendung durch Injektion sind auch Komplikationen bekannt wie etwa Gelenkempyeme [1, e1] und Abszessbildungen. Diese Komplikationen sind nicht selten mit einer Sepsis verbunden und enden gelegentlich tödlich. Im Bereich der Wirbelsäule können auch Lähmungen bis zur Querschnittsymptomatik auftreten.

Aseptische Gewebeschäden ohne Infektion als Folge oder in Begleitung von Kortikoid-Injektionen haben am Weichteilmantel ein unterschiedliches Ausmaß. Es reicht von einer leichten Hautabblassung mit dellenförmiger Verringerung des darunter liegenden subkutanen Fettgewebes bis zu ausgedehnten Nekrosen umfangreicher Weichteilgewebeschichten.

Den Infektionen und den aseptischen Gewebeatrophien gilt der vorliegende Beitrag. Fälle von Knochennekrosen nach intramuskulären und intraartikulären Injektionen [2, 3, e2, e3] sind nicht berücksichtigt. Unerwähnt bleiben zudem die gleichfalls seit vielen Jahren bekannten Sehnenrisse [4, e4] nach einer Infiltration mit Kortikoiden, systemische Nebenwirkungen [5], eine mögliche sekundäre Nebenniereninsuffizienz als sehr seltene Folge [6] sowie das mit der Injektion mitunter verbundene Tachon-Syndrom [7].

Methode

Im Begutachtungszeitraum 2005–2009 wurden bundesweit von den Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Landesärztekammern (nachfolgend kurz: Gütestellen) insgesamt 36.575 Fälle medizinisch-rechtlich begutachtet (s. Tabelle 1). 1528 Verfahren bezogen sich auf Komplikationen nach Injektionen. Davon waren 278 bekannt gewordene lokale Kortikoid-Injektionen. Unter diesen Fällen gingen 223 mit einer Infektion und 55 mit einem aseptischen Gewebeschaden einher.

Die Gütestellen führen die Ergebnisse ihrer Begutachtungen nach bundesweit einheitlichen Kriterien in der Datenbank MERS (Medical Error Reporting System) zusammen. Auch wenn dieses selektive Datenmaterial keine Hochrechnung auf die Gesamtzahl einschlägiger Injektionszwischenfälle erlaubt, gibt es durchaus Aufschluss über die Art derartiger nicht seltener Komplikationen sowie über vermeidbare Behandlungsfehler.

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