Originalarbeiten - OUP 09/2013

Septische und aseptische Komplikationen in Verbindung mit Kortikoid-Injektionen
Eine Auswertung von 278 einschlägigen Fällen der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Jahre 2005–2009An assessment of 278 cases reviewed by expert commissions and mediation boards from 2005–2009

Die Verkennung einer eingetretenen Infektion [e41, e42] wurde mehrfach als Behandlungsfehler beurteilt (Tabelle 2). Beim geringsten Verdacht, es könne sich nach der Injektion eine Infektion entwickeln, sind sofort entsprechende diagnostische Maßnahmen (Labor/Sonographie/Magnetresonanztomografie) zu treffen, kurzfristige klinische Kontrollen vorzusehen, und es ist gegebenenfalls die frühe stationäre Einweisung zu veranlassen. Ein Gelenkpunktat ist beim geringsten Verdacht auf Vorliegen einer Gelenkinfektion bakteriologisch zu untersuchen.

Es muss immer eine durch die ärztliche Dokumentation beleg- und überprüfbare Indikation vorliegen. Kortikoide sollten für die Facetteninjektionen erst verwendet werden, wenn vorangehend eine reine Lokalanaesthetika-Injektion (Testinjektion) zu einer deutlichen Besserung führte. Wiederholungen in rascher Frequenz sind – entsprechend den Herstellerangaben – unbedingt zu vermeiden.

Die intramuskuläre Injektion von Kortikoiden als Depot ist nicht länger zu vertreten, weil das Risiko für die typischen Nebenwirkungen (durch Suppression der Hypothalamus-Adenohypophyse-Nebennierenrinde-Achse) gegeben ist. Diese Anwendungsform wurde schon vor vielen Jahren als obsolet [e43–e47] bezeichnet. Auch wenn sie für bestimmte Indikationen nach der Roten Liste (laut den Angaben einzelner Hersteller) noch erlaubt ist, entbindet dies den Arzt nicht ohne Weiteres von einer Haftung bei Komplikationen, weil der allgemeine Kenntnisstand seit vielen Jahren die intramuskuläre Depotgabe im Grunde verbietet.

Bei allen Fällen umfangreicher Gewebenekrosen, besonders im Gesäßbereich, ist davon auszugehen, dass die Muskulatur wegen einer zu kurzen Injektionsnadel überhaupt nicht erreicht wurde. Das kann nach den in der Rechtsprechung zum Anscheinsbeweis (Kasten 1) entwickelten Grundsätzen zur Feststellung eines Behandlungsfehlers führen.

Bei den oberflächlichen Gewebeatrophien ist die Ursache gleichfalls in der Ablagerung von Kristallen außerhalb des Injektionsziels zu sehen, seltener sicherlich in einem teilweisen Zurücklaufen der Injektionsflüssigkeit. Wird das Kortikoid mit einem Lokalanästhetikum gemischt und die Injektion zur Schmerzverminderung schon nach der Hautperforation begonnen, ist eine teilweise Ablagerung der Kristalle unvermeidbar. Deshalb ist es sicherer, vor der Injektion des Kortikoids den Stichkanal zunächst mit einem Lokalanästhetikum allein zu beschicken.

Da jede Injektion – neben medikamentenbedingten Nebenwirkungen – zusätzliche Gefahren (Infektion, Gefäß- und Nervenverletzung) in sich birgt, ist im Sinne der Patientensicherheit die Indikation stets kritisch zu prüfen und der Patient über die damit verbundenen Risiken ebenso wie über echte Behandlungsalternativen (zum Beispiel die orale Kortikoid-Gabe statt der Depot-Injektion) aufzuklären [25].

Eine Injektion nur auf Verlangen des Patienten sollte der Arzt – auch zur Vermeidung von Schadensersatzansprüchen bei nachfolgenden Komplikationen – ablehnen.

 

Interessenkonflikt: Herr Smentkowski erhielt Reisekostenerstattung und Vortragshonorare von der Firma Bayer AG. Prof. Holland, Herr Jaeger, Dr. Weber und Dr. Otto erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

 

Hinweis zur Literatur

Der ursprüngliche Beitrag im Deutschen Ärzteblatt enthielt 2 Literaturverzeichnisse: Das Verzeichnis auf Seite 412 war im Heft abgedruckt, das Verzeichnis eLiteratur von Seite 413 stand nur im Internet zur Verfügung. Entsprechend wurden die Literaturverweise im Text nur mit Ziffer oder mit e + Ziffer gekennzeichnet. Wir konnten beide Verzeichnisse im Heft abdrucken und haben die ursprüngliche Unterteilung in Literaturverzeichnis und eLiteratur beibehalten.

Der Anscheinsbeweis

Für einen Behandlungsfehler ist grundsätzlich der Patient beweisbelastet. Gemildert wird die Beweislast für den Geschädigten bei typischen Geschehensabläufen, insbesondere hinsichtlich der Kausalität durch den Anscheinsbeweis. Dieser Anscheinsbeweis findet auch im Arzthaftungsrecht Anwendung. Wenn sich unter Berücksichtigung aller Einzelumstände und besonderer Merkmale des Einzelfalls ein für die zu beweisende Tatsache nach der Lebenserfahrung typischer Geschehensablauf ergibt, kann von diesem ausgegangen werden (BGHZ 143, 268, 281).

Das bedeutet zum Beispiel: Injektionen von Kortikoiden in zu dichter Folge begünstigen die Entstehung einer Infektion und/ oder führen häufig zu einem aseptischen lokalen Gewebeschaden und zwar so häufig, dass von dem Gewebeschaden nach Injektionen in dichter Folge ohne Weiteres auf diesen Ablauf als Ursache für den Gewebeschaden geschlossen werden kann.

Noch sicherer ist dieser Schluss bei der nicht genügend tiefen glutaealen Injektion (Fall 2), als deren Folge häufig typischerweise Nekrosen in Haut und Unterhautfettgewebe auftreten (sogenanntes Cortisonloch).

Gegen den Anscheinsbeweis in Arzthaftungsfällen wird oft eingewandt, bei jedem Patienten lägen individuelle Verhaltensmuster vor, bei denen es an der Typik fehle. Dagegen sprechen aber die Erfahrungen aus den Fällen, in denen die Wahrscheinlichkeit, einen solchen typischen Fall vor sich zu haben, sehr groß ist.

Zu beachten ist, dass der Anscheinsbeweis nicht etwa die Beweislast umkehrt. Der Anscheinsbeweis kann vielmehr entkräftet werden, indem die Behandlungsseite Tatsachen behauptet und beweist, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines anderen – untypischen – Verlaufes ergibt.

Im Fall 2 kann der Arzt zum Beispiel möglicherweise darlegen und beweisen, dass die Injektionsnadel keinesfalls zu kurz gewesen ist. Gelingt dies, ist der Anscheinsbeweis widerlegt.

Kernaussagen

Injektion i.a. nur bei Arthritis und aktivierter Arthrose

Indikation überprüfen und Risikoaufklärung dokumentieren

Kortikoid in Dosis und Galenik dem Gelenk anpassen

Auf zeitlichen Mindestabstand zwischen Injektionen achten

Asepsis streng nach Leitlinien beachten

Sofort handeln bei geringstem Verdacht auf Infektion

Applikation in Unterhaut und Fettgewebe vermeiden

Keine Depot-Injektion

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