Originalarbeiten - OUP 09/2013

Septische und aseptische Komplikationen in Verbindung mit Kortikoid-Injektionen
Eine Auswertung von 278 einschlägigen Fällen der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Jahre 2005–2009An assessment of 278 cases reviewed by expert commissions and mediation boards from 2005–2009

In der Literatur suchten die Autoren unter den Stichworten „Cortison“, „Injektion“ und „Infektion“ auch nach Angaben über die Häufigkeit der Komplikationen. Zwangsläufig gelangten dabei weitere Informationen über die Wirksamkeit einzelner Behandlungsverfahren zur Kenntnis.

Behandlungsfehlervorwürfe

Die in den Begutachtungsverfahren erhobenen Beanstandungen der Patienten betrafen folgende Vorwürfe:

  • unzureichende Diagnostik vor der Injektion
  • fehlerhafte Injektion (besonders: unzureichende Asepsis)
  • Verwendung eines falschen Medikaments
  • Übertherapie
  • unterlassene Risikoaufklärung über mögliche Komplikationen und nichtinvasive alternative Behandlungen
  • zu spätes Erkennen einer nach der Injektion eingetretenen Infektion.

Falldarstellungen

Fall 1: Multiple Abszesse durch WS-nahe Injektionen

Eine 74 Jahre alte Frau suchte eine Neurochirurgische Gemeinschaftspraxis auf wegen „Rückenschmerzen mit Ausstrahlung in die Rückseite der Beine und Krämpfe in den Füssen“. Weitere Angaben zur Anamnese sind nicht dokumentiert. Es wurde ein 9 Jahre altes Computertomogramm der Lendenwirbelsäule (LWS) befundet mit „ausgeprägten Wirbelgelenkveränderungen“.

Zunächst erfolgten innerhalb von 4 Tagen 3 „Sacrale Blockaden“. 5 Wochen später wurden wegen „erneuter Schmerzen der LWS“ innerhalb von 8 Tagen 4 Injektionen paravertebral verabreicht, als „Blockaden L3–S1“ bezeichnet.

Im gesamten Behandlungszeitraum ist nur ein einziger klinischer Befund dokumentiert: „LWS steil, fixiert, keine Paresen, MER rechts = links, Sens. o.B.“ (MER: Muskeleigenreflexe; Sens: Sensibilität).

Die Injektionen schlossen immer ein Lokalanaesthetikum und ein Kortikoid ein. Dabei konnten die Ärzte zum einen die verwendete Menge nicht präzise angeben (wahrscheinlich insgesamt 240 mg Triamcinolon) und zum anderen die Frage nicht beantworten, ob ein Kanülenwechsel bei Seitenwechsel der paravertebralen Injektionen vorgenommen wurde. Eine Formularaufklärung ist belegt.

2 Tage nach der letzten Injektion erfolgte eine Notfallaufnahme. Während der anschließenden 4-wöchigen stationären Behandlung wurde die Patientin 3-mal operiert wegen Abszessen in der WS-Muskulatur, in einem Psoasmuskel und im Spinalkanal. Als Erreger wurde ein Staphylococcus aureus identifiziert. Es lag eine Paraparese der Beine vor, die sich in der anschließenden stationären Rehabilitation langsam zurückbildete. Als Behandlungsfehler wurde vor allem angesehen, dass die Injektionen mit einer zu großen Kortikoid-Menge in zu kurzen Abständen erfolgten und dadurch das Risiko einer Infektion begünstigt wurde. Die fehlende Dokumentation einer Auseinandersetzung mit der Vorgeschichte und die Nichterörterung alternativer Behandlungen, die hier mit Sicherheit in Frage gekommen wären, wurden gerügt.

Fall 2:

Ausgedehnte

Nekrosen
bei Injektion intraglutaeal bei
Rückenschmerzen

Eine 49 Jahre alte adipöse Antragstellerin erhielt mehrfach wegen eines „chronisch rezidivierenden Wirbelsäulensyndroms“ Injektionen mit 4 mg Dexamethasondihydrogenphosphat, 4 mg Dexamethason und Diclofenac (intraglutaeal appliziert). Etwa 6 Wochen nach der letzten Injektion einer der genannten Wirkstoffe musste eine insgesamt 500 g schwere Nekrose von Haut und Unterhautfettgewebe entfernt werden. Nachfolgend entstand im Resektionsbereich eine Infektion, die mehrere stationäre Behandlungen erforderlich machte.

Als Behandlungsfehler wurde die Injektion ins Fettgewebe – statt tiefer in die Muskulatur – bewertet (s. Textkasten Anscheinsbeweis), aber auch die wiederholte parenterale Anwendung der Wirkstoffe statt eines Umstiegs auf eine orale Gabe.

Ergebnisse

Aus Tabelle 1 ist die Verteilung der Komplikationen durch Infektionen und aseptische Gewebeschäden, geordnet nach dem Applikationsort, in absoluter und prozentualer Häufigkeit abzulesen.

In etwa der Hälfte der 55 Fälle von Gewebeatrophien nach Kortikoid-Injektionen waren intramuskuläre Injektionen zur Depotbildung – vor allem bei Allergien – erfolgt, hier waren Behandlungsfehler überproportional häufig.

Das Kortikoid konnte nach Art und Dosierung bei der Archivierung nicht immer erfasst werden, weil Angaben hierzu in den ärztlichen Unterlagen fehlten. Soweit feststellbar, wurde vor allem Triamcinolon verwendet.

Die Begründungen für die einzelnen festgestellten Behandlungsfehler der Gütestellen, die der Datenbankdokumentation (MERS) entnommen wurden, gehen für die Infektionsfälle aus der Tabelle 2 und für die Fälle eines aseptischen Gewebeschadens aus der Tabelle 3 hervor. Häufigste Fehler waren demnach:

  • nicht zeitgerecht erkannte Infektion (24-mal)
  • · die fehlende Indikation (19-mal)
  • mangelhafte Asepsis (18-mal)
  • die nicht genügend tiefe glutaeale Injektion sowie
  • Injektionen in zu dichter Folge (je 14-mal).

Versäumnisse bei der Risikoaufklärung wurden insgesamt 20-mal festgestellt, darunter 9-mal bei ansonsten sachgerechter Behandlung. In diesen Fällen ergab sich somit eine Haftung des Arztes für alle nachteiligen gesundheitlichen Folgen der beanstandeten Injektion, weil es an einer rechtswirksamen Einwilligung des Patienten fehlte.

Diskussion

Die Injektion von Kortikoiden in Gelenke, die einen entzündlichen Reizzustand zeigen, ist eine seit Jahrzehnten bewährte Behandlungsmethode [e5–e7]. Begleitend ist die Entstehung von Gelenkinfektionen nach Kortikoid-Injektionen mitunter verbunden mit schweren septischen Allgemeinerkrankungen. Gleichfalls seit Jahrzehnten bekannt und gefürchtet ist die Abszessbildung nach intramuskulärer Gabe. Eine Sonderform der Infektion ist die nekrotisierende Fasziitis [8, e8]. Die Angaben zur Häufigkeit von Gelenkinfektionen nach Injektionen schwanken zwischen 1 : 3000 und 1 : 100.000 [9, e2, e6, e9–e12]. Als Hauptursache wird eine unzureichende Asepsis bei der Injektion angesehen. Die Infektion wird von den Gütestellen regelmäßig dann als schicksalhafte Realisierung eines eingriffsimmanenten Risikos anerkannt, wenn sie sich trotz regelrechter aseptischer Maßnahmen ereignet. Als Ursache gilt im Allgemeinen eine Keimverschleppung aus tiefer gelegenen Hautbereichen, die durch die Asepsis nicht erreicht wurden [9, e1, e13].

Dass Kortikoide bei der lokalen Anwendung Hautschäden verursachen können, ist gleichfalls seit 50 Jahren bekannt [10–12, e14–e18]. Gewebeschäden wurden am Auge [e19], im Bereich der behaarten Kopfhaut [e20], an den Unterkiefern und an der Fußsohle [e21] beschrieben. Außerdem kamen sie begleitend vor bei einer beabsichtigten intraartikulären Injektion [e22] und auch bei Injektionen in Sehnenfächer [12].

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