Originalarbeiten - OUP 09/2013

Septische und aseptische Komplikationen in Verbindung mit Kortikoid-Injektionen
Eine Auswertung von 278 einschlägigen Fällen der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Jahre 2005–2009An assessment of 278 cases reviewed by expert commissions and mediation boards from 2005–2009

Diese Einzelbeobachtungen wurden meist beschrieben als leichte, vor allem kosmetische Komplikationen oder ausgedehnter als Embolia cutis medicamentosa [e23], aber auch als Fälle schwerster ausgedehnter Gewebenekrosen in der Form des Nicolau-Syndroms [13, e24–e28]. Fast immer handelt es sich bei der lokalen Anwendung um ein Gemisch aus einem Lokalanästhetikum und einem Kortikoid, bei den intramuskulären Injektionen um ein Kortikoid allein oder auch um die Mischung mit einem Analgetikum (jeweils intraglutaeal appliziert wie in Fall 2 dargestellt). Intraartikuläre Injektionen von Kortikoiden erfolgen ohne Zusatz oder nach Stichkanalanästhesie durch ein Lokalanästhetikum, häufig aber auch im Zusammenhang mit einem sogenannten Knorpelaufbaupräparat.

Die häufigste nicht intraartikuläre Anwendung (hier als Injektion ins Gewebe bezeichnet) der Kortikoid-Injektionen sind Infiltrationen

  • von Muskel-, Sehnen- sowie Bandursprüngen und -ansätzen
  • in Sehnengleitgewebe und -fächer
  • in den Karpaltunnel

von Schleimbeuteln, besonders am Schultergelenk subacromial (aufgrund der ab dem 50. Lebensjahr zunehmenden Defekte der Rotatorenmanschette, aber häufig eine unbeabsichtigte intraartikuläre Injektion) und am Trochanter major.

Diese Injektionen in Schleimbeutel erfolgten immer unter der Annahme eines „Reizzustands“, wobei die Diagnose gesichert wurde durch das Beschwerdebild und den klinischen Befund, zum Beispiel als Epicondylopathia humeri, als Tendovaginitis de Quervain und als Achillodynie unter Beteiligung des Gleitgewebes.

Weit verbreitet sind auch die wirbelsäulennahen Injektionen und Infiltrationen. Sie werden durchgeführt in Form der nervenwurzelnahen Injektion, zu denen auch die Facetteninfiltration zu zählen ist, weil damit der Ramus posterior (unmittelbar aus dem Spinalnerven abgehend) getroffen und blockiert werden soll [14, 15, e29–e31]. Bei nichtbildgebend gestützten Injektionen dürfte es allerdings häufig eher eine Gewebeinfiltration sein. Weniger bekannt, aber oftmals gravierend in den Folgen, sind die Infektionen bei den wirbelsäulennahen Injektionen.

Als ursächlich für die Entstehung der oberflächlichen Haut- und Fettgewebeatrophien mit zentraler Abblassung werden unter anderem genannt:

  • hemmende Wirkung auf Fibroblasten mit Reduktion der Proteinsynthese
  • Verlegung von Lymphbahnen
  • Verdrängung von Gewebewasser.

In etwa 50 % der Fälle (gemittelt aus den Angaben in Einzelfalldarstellungen) erfolgt über Monate bis Jahre eine Rückbildung zu normalen Verhältnissen, wahrscheinlich dosisabhängig.

Immer wieder wird – zu Recht – darauf hingewiesen, dass auch wegen dieser möglichen Komplikation eine Aufklärung erforderlich ist.

Das seltene, aber gleichfalls unter den hier überprüften Verfahren beobachtete Nicolau-Syndrom ist das Resultat eines akuten arteriellen Gefäßspasmus oder einer akuten Thrombosierung einer Arterie durch intravasale Injektion eines unlöslichen Medikaments mit der Folge eines Weichteilschadens im Versorgungsbereich des Gefäßes. Unmittelbar nach der Injektion treten meist heftige Schmerzen und eine livide Hautverfärbung auf. Die Komplikation kann zu kleinen zentralen oder auch ausgedehnteren Nekrosen führen, zu nervalen Schäden, zu einem Kompartmentsyndrom und zu einer Gangrän. Unter den vielen Beobachtungen sind Fälle nach einer alleinigen Kortikoid-Injektion in der Minderzahl. Bei einer oberflächlichen Infiltration resultieren ausgedehntere Schäden im Sinne der Embolia cutis medicamentosa.

Resümee

Es kann nicht Aufgabe dieses Beitrages sein, zu den pharmakokinetischen Eigenschaften der verschiedenen Glukokortikoide Stellung zu nehmen. Über die sogenannten Halbwertszeiten, die Kristallgrößen der jeweiligen Präparate, die parenteralen Auswirkungen und über die Schwellendosen und Angaben zur zeitlichen Häufigkeit von gleichen Injektionen am gleichen Ort müssen die Fachliteratur [16] eingesehen und die Angaben der Hersteller beachtet werden.

Es besteht in Deutschland zweifellos eine Übertherapie auch und besonders mit invasiven Verfahren [17, e48]. Viele dieser Therapien halten aber bei den entsprechenden Überprüfungen (Cochrane Reviews) den Erwartungen nicht stand [18–22, e32–e36]. Es besteht somit die Situation einer nicht vertretbaren Gefährdung der Patienten.

Unter der Diagnose eines Facettensyndroms beispielsweise verbirgt sich oft ein unspezifischer chronischer Rückenschmerz, der aber einer ganz anderen Behandlung bedarf als einer Serie von Injektionen [17, 23, e22, e46]. So weist die Statistik des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus für 2010 aus, dass (Zitat): „[...] interventionelle Schmerztherapieverfahren etwa 10-mal häufiger in Deutschland als im internationalen Vergleich durchgeführt werden, obwohl deren anhaltende Wirksamkeit nicht belegt, die Gefahr der langfristigen Patientenabhängigkeit aber erheblich ist“.

Bei der relativen Häufigkeit von Infektionen nach Kortikoid- Injektionen würde eine Verringerung der Zahl dieser Injektionen durch sorgfältigere Indikation entsprechend auch die Anzahl der mitunter schweren Komplikationen senken.

Aus dem Material der Gütestellen lassen sich folgende Aussagen treffen:

Nur bei dem klinischen Befund eines „Gelenk-Reizzustands“ (aktivierte Arthrose mit Schwellung und Erguss) ist eine Kortikoid-Injektion intraartikulär zu erwägen. Das Präparat sollte in Menge und Galenik der Größe des Gelenks angepasst werden. Dabei sollten konsequent die Angaben der Hersteller beachtet werden. Außerdem sollte eine Wiederholung der Injektion nur nach angemessenem Zeitabstand und unter Berücksichtigung einer Jahreshöchstmenge erfolgen.

Die Asepsis ist nach den Leitlinien (AWMF-Leitlinien-Register Nr. 029/006: Intraartikuläre Punktionen und Injektionen; [24, e37–e39]) einzuhalten. Das heißt auch, dass bei Gelenkpunktionen und -injektionen wie bei den wirbelsäulennahen Infiltrationen dem Arzt eine Assistenz zur Verfügung stehen muss. Hiervon sollte nicht abgewichen werden [e40]. Dazu ist anzumerken, dass die Gütestellen die vom Arzt angegebene Vorgehensweise zur Einhaltung der Asepsis in der Regel nicht überprüfen können, insbesondere, weil ihnen eine Zeugenvernehmung – wie bei Gericht – nicht möglich ist. Sie haben daher zunächst davon auszugehen, dass eine Injektion entsprechend der Vorgaben des Hygieneplanes erfolgte und nicht gegen den Standard verstoßen wurde. Eine abweichende Darstellung des Antragstellers können sie der Beurteilung nicht zugrunde legen. Ein entsprechender Hygieneplan und Anweisungen für das Personal sollten grundsätzlich vorliegen.

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