Originalarbeiten - OUP 07-08/2013

Strategien zur Vermeidung von Nervenläsionen infolge von
Hüftendoprothesen-Implantationen
Aus der Praxis für die PraxisPractical hints

B. Mai1, S. Mai1

Zusammenfassung: Nervenlähmungen nach Hüftendoprothesen sind für den Patienten sehr belastend und schmälern das Operationsergebnis. Die Lähmungen können zu Stürzen führen.

Ursachen für Nervenläsionen sind Dehnung, Druck, Verletzung durch Haken oder Hebel, seltener mit dem Skalpell,
Koagulation nahe dem Nerv und postoperative Hämatome. Die gefährdeten Nerven und die Folgen werden beschrieben für N. femoralis, N. ischiadicus, N. gluteus superior und periphere Nerven. Neben Anmerkungen zur Anatomie werden Hinweise gegeben, wie die Nerven intraoperativ geschont werden können.

In Anbetracht des enormen Verlusts an Lebensqualität durch Nervenläsionen nach Hüftoperationen sollten nicht nur die Operateure, sondern auch die Assistenten sich der Gefahr bewusst sein und sehr vorsichtig vorgehen. Nicht die Geschwindigkeit, sondern die Sorgfalt bei der Operation ist entscheidend für ein gutes Ergebnis.

Schlüsselwörter: Nervenläsion, Hüftendoprothetik, Lebensqualität

 

Zitierweise

Mai B, Mai S: Strategien zur Vermeidung von Nervenläsionen infolge von Hüftendoprothesen-Implantationen. OUP 2013; 7: 368–370.
DOI 10.3238/oup.2013.0368–0370

Abstract: Nerve lesions are a great nuisance for patients after hip replacements and reduce the outcome of the operation enormously. They lead to limping and the risk of falling.

Reasons for nerve lesions may be found due to stretching, pressure, violation by the hook, injury by the knife, coagulation near a nerve or postoperative haematoma. In this paper the nerves, that may be damaged, and the resulting deficiencies are described: N. femoralis, N. ischiadicus, N. gluteus superior and peripheral nerves. Apart from explaining the anatomy, hints are given how to avoid lesions during the whole procedure of THA.

Considering the enormous loss of quality of life by nerve lesions, not only the surgeon but also the assisting persons should be aware of possible damages and be very cautious. Not a quick operation should be the aim, but carefulness should have priority to achieve an optimal outcome for the patient.

Keywords: nerve damage, total hip arthroplasty, quality of life

 

Citation

Mai B, Mai S: Practical hints to avoid nerve lesions in total hip arthroplasty. OUP 2013; 7: 368–370.

DOI 10.3238/oup.2013.0368–0370

Einleitung

Nervenlähmungen nach Hüftendoprothesen können für den Patienten eine erhebliche Belastung darstellen und das Ergebnis der Operation infrage stellen. Die Rückbildung der Lähmungen und Parästhesien kann sehr lange dauern oder sogar persistieren [1, 2]. Je nach Ausprägung leidet der Patient sehr darunter und hat erhebliche Einschränkungen in der Leistungsfähigkeit. Fußheberschwächen führen zum Stolpern und können unangenehme Frakturen nach sich ziehen. Eine Instabilität des Knies beeinträchtigt den Patienten ganz besonders. In der Literatur wird die Häufigkeit mit 0,6–3,7 % angegeben [3]. Schmalzried und Mitarbeiter [4] berichten über 1,7 %, wobei auf den N. femoralis 0,8 % und den N. ischiadicus und peroneus jeweils 0,4 % fielen. Wenn man den Patienten sorgfältig klinisch-neurologisch untersucht, kann man bis zu 10 %, bei neurophysiologischer Untersuchung 20 bis > 50 % Nervenschäden nachweisen [5]. In der Statistik der Geschäftsstelle Qualitätssicherung Hessen 2012 sollen angeblich nur in 0,25 % der Hüfterstimplantationen Gefäß- oder Nervenverletzung vorkommen, was eher unglaubwürdig erscheint.

Als häufigste Nervenlähmungen kommen infrage: Verletzungen des Nervus femoralis, des Nervus ischiadicus und des Nervus gluteus superior (Abb. 1). Bei Hämatomentwicklung im kleinen Becken sind auch kompressionsbedingte Lähmungen des Nervus pudendus vorstellbar, wenn auch nur selten. Funktionell am gravierendsten sind motorische Lähmungen des Nervus femoralis, weil der Patient dann keine Gewalt über die Kniestreckung hat und wegen Sturzneigung zeitlebens mit 2 Gehstützen laufen muss. Die Lähmung des Nervus ischiadicus äußert sich üblicherweise in einer Fußheberparese, die man mit einem sog. Heidelberger Winkel (Peroneusschiene) erträglich kompensieren kann. Die Verletzung des Nervus gluteus superior fällt zunächst nicht so ins Auge, führt aber aufgrund der Abduktionsschwäche zu einem Trendelenburgphänomen und Duchenne-Hinken, welches für den Patienten den Gebrauch zumindest eines Gehstocks erforderlich macht. Gerade jüngere Patienten leiden darunter erheblich. Bei partiellen Läsionen dieses Nervens berichtet der Patient typischerweise, dass er erst nach längerer Gehstrecke zunehmend hinke.

Nervenverletzungen können auftreten durch Dehnungen infolge von Hakenzug und Hebelwirkung, durch direktes Anstechen des Nervens mit einem spitzen Hohmann oder seltener durch Verletzung mit dem Skalpell, durch Koagulieren in der Nähe des Nervens und postoperativ durch Hämatomeinwirkung. Ebenso sind Schädigungen der Nerven vorstellbar durch eine zu starke Beinverlängerung, wie dies z.B. bei der Versorgung von Hüftdysplasien regelmäßig der Fall ist. Hier wird als kritische Grenze die plötzliche Beinverlängerung von mehr als 3 cm angesehen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, im präoperativen Aufklärungsgespräch den Hinweis auf mögliche Nervenverletzungen deutlich herauszustellen.

Operationstechnische
Hinweise zur Vermeidung von Nervenläsionen

Nervus femoralis

Dieser Nerv läuft ventral des Acetabulums und wird durch den Hebel gefährdet. Aus diesem Grunde ist darauf zu achten, dass dieser Retraktor möglichst dicht bzw. direkt auf dem ventralen knöchernen Rand des Acetabulums gesetzt wird. Es ist bekannt, dass die Gefährdung des Nervs umso höher ist, je weiter kaudal dieser Hebel gesetzt wird (Dr. Christine Seyfert, Chemnitz, im persönlichen Gespräch). Das Gefährdungspotenzial ist geringer, wenn er möglichst weit kranial platziert wird. Oft muss zu Beginn der Hebel provisorisch gesetzt werden, unter Umständen sogar in der Gelenkkapsel oder im Femurkopf verankert werden, bis man eine ausreichende Übersicht über die volle Ausdehnung der Gelenkkapsel gewinnt. Meistens findet man am ventralen Pfannenrand eine kleine Muskellücke, wo sich sogar ein stumpfer Hohmann einschieben lässt, sodass auf den spitzen Hohmann oder den sog. Easy-Rider verzichtet werden kann. Mit diesen letztgenannten hat man zwar einen starken Hebel, es besteht aber die Gefahr des direkten Anspießens des Nervens und einer zu starken Elongation des Nervs durch die hohe Hebelkraft, sodass ein Dehnungsschaden auftreten kann. Grundsätzlich sollte in dieser Position der Retraktor nur so weit angezogen werden, wie es die Einsicht in den Situs erfordert, wobei hier nur die Bedürfnisse des Operateurs eine Rolle spielen, der 2. Assistent sollte keinesfalls die Hebel so betätigen, dass er selber hineinschauen kann. Bei zu starkem Zug am Easy-Rider-Hebel besteht auch die Gefahr, dass sich die gekrümmte Spitze von der Innenseite des Beckens wieder in das Acetabulum hineinbohrt und dort den Knochen schwächt [6], bzw. das tiefe Eintreten der Pfanne behindert.

Nervus ischiadicus

Am Beginn der Operation wird oft ein Hohmann-Hebel dorsal der Trochanter-major-Region bzw. am proximalen Femur eingesetzt, um die Weichteile nach unten zu drücken. Besonders bei schlanken Individuen liegt etwas medial davon direkt der Nervus ischiadicus, sodass dieser von dem Hebel gequetscht werden kann, wenn dieser zu profund eingesetzt wird. Dieser Hohmann, wobei regelhaft ein stumpfer ausreicht, soll sich also nur ganz knapp hinter dem dorsalen Trochantermassiv verhaken. Alternativ ist auch der Femurretraktor-Hebel möglich, bei dem die Gefahr geringer ist, dass er zu weit nach medial eingesetzt wird. Allerdings muss dieser, bedingt durch die beiden Spitzen, sehr sorgfältig am Knochen eingehakt werden.

Eine 2. Verletzungsgefahr des N. ischiadicus besteht durch den Einsatz eines Hebels am kaudalen Rand des Acetabulums, die Region, wo die Fossa acetabuli in das Ligamentum transversum ausläuft. Hier ist zur größeren Sicherheit auch ein stumpfer Hohmann anzuwenden, der wesentlich risikoärmer als der doppelt gewinkelte oder spitze Hohmann eingesetzt werden kann. Es gibt 2 Positionsmöglichkeiten, kranial oder kaudal des Ligamentum transversum. Dieser Retraktor sollte sich auch nur ganz zart hinter dem knöchernen Rand verankern und nicht zu weit hinein gesteckt werden.

Bei der Lagerung des Patienten in Rückenlage muss besonders bei schlanken Individuen beachtet werden, dass die leichte Schräglagerung auf einem Sandsack den Ischiasnerven direkt druckschädigen kann, vor allem, wenn die OP etwas länger dauert. Aus diesem Grunde wird empfohlen, die Schräglagerung mit Tüchern durchzuführen, die den Druck etwas flächiger aufbauen. Bei besonders gefährdeten kachektischen Personen ist die Verwendung eines Gelkissens dringend empfehlenswert.

Bei dorsalen Zugängen zum Hüftgelenk in Seitenlage ist insbesondere der Nervus ischiadicus durch direkte Verletzung auch durch das Skalpell gefährdet, weil er oft sichtbar durch den dorsalen Bereich des Situs verläuft. Es muss ständig beim Operieren und Hantieren mit allen Instrumenten daran gedacht werden, dass der Nerv dort sehr vulnerabel liegt und durch verschiedene Manöver im direkten Kontakt kompromittiert werden kann.

Nervus gluteus superior

Der Verlauf dieses Nervens ist unregelmäßig, er hat auch rasch verschiedene Aufzweigungen [7]. Grundsätzlich muss man davon ausgehen, dass 3 cm proximal der Trochanterspitze ein wesentlicher Nervenast verlaufen kann, der durch Druck beim Aufspreizen der Muskulatur gedehnt wird, insbesondere beim transglutealen anterolateralen Zugang nach Bauer, wenn zur besseren Übersicht in das laterale Ileum ein spitzer Hohmann-Haken in den Knochen eingeschlagen und somit die Muskulatur stark elongiert wird [8]. Eine weitere, wohl noch häufigere Verletzungsgefahr besteht darin, dass man mit dem Diathermiemesser die Muskulatur nach proximal hin spaltet, und somit den Nerven direkt thermisch schädigt. Wenn man nach kranial hin Platz braucht, wie es z.B. bei einer Acetabulo-Plastik der Fall ist, ist es in jedem Falle günstig, die Muskulatur stumpf zu spreizen, und nicht das elektrische Messer zu verwenden.

Periphere Nervenläsion

Hier ist in erster Linie der Nervus peroneus durch die Auslagerung des Beins gefährdet, besonders bei verlängerten OP-Zeiten und schwieriger Übersicht, wie bei adipösen Patienten, weil der 2. Assistent bei Rückenlagen den Bereich des Fibulaköpfchens mit dem dort darunter liegenden Nerven auf die Kniescheibe des kontralateralen Beines drückt und somit manchmal über viele Minuten während der Präparation des Femurschafts den Nerven komprimieren kann. Diese Gefahr wird akzentuiert, wenn vorher eine elastische Binde als Thromboseprophylaxe mit relativer Spannung über das Kniegelenk gewickelt wird und somit beim Beugen des Kniegelenks dort ein Wulst entsteht, der zusätzlich Druck ausübt. Durch einen ähnlichen Mechanismus können auch Ausläufer am Fußrücken druckgeschädigt werden, wenn die elastische Wicklung dort zu fest erfolgt, z.B. durch starken Zug bei der Wicklung über die Ferse. Dieses kann übrigens auch zu Drucknekrosen an der Ferse führen, die nur sehr zögerlich abheilen und den Patienten über lange Zeit belästigen. In Seitenlagerung ist das unten liegende Kniegelenk lateral mit einem Gelkissen vor Druckbeeinträchtigung zu schützen.

Nerven im kleinen Becken

Möglich ist eine direkte Verletzung durch zu tiefes Bohren durch die Lamina interna zur Platzierung von Pfannenschrauben. Häufiger dürfte die Druckwirkung eines Hämatoms vorkommen in Kombination mit einer Nervenschädigung durch lipoproteolytische Enzyme bei der Resorption einer retroperitonealen Blutansammlung. Bei jüngeren Patienten führt das Herausrupfen des Ligamentum capitis femoris mit dem Luer zu einem Zurückschappen der elastischen und oft noch offenen A. capitis femoris, die dann unbemerkt in das kleine Becken bluten kann. Vorsicht ist auch geboten bei der Entfernung der caudalen Gelenkkapselanteile, hier findet sich oft ein größeres Gefäß. Nervenschädigungen im kleinen Becken betreffen die zartkalibrigen Ausläufer des lumbosakralen Plexus mit unangenehmer perineal-genitaler Sensibilitätsstörung.

N. cutaneus femoris lateralis

Falls man bei der autologen Spongiosaplastik von azetabulären Defekten auf die Entnahme aus der Spina iliaca anterior superior zurückgreifen muss, ist zu beachten, dass der oben genannte Nerv am meisten gefährden ist, je weiter medial der Zugang zum Beckenkamm erfolgt. Die resultierenden Sensibilitätsstörungen am lateralen Oberschenkel werden oft erst nach gezieltem Nachfragen aufgedeckt.

Schlussfolgerung

In dem Bewusstsein, dass Nervenlähmungen den Erfolg der schönsten implantierten Endoprothese für den Patienten zunichte machen, sollte man als Operateur, aber auch als Assistent und Hakenhalter unter Kenntnis der möglichen Gefährdung von nervalen Strukturen eine entsprechende Vorsicht walten lassen. Es ist unbedingt der Aspekt zu beherzigen, dass unter heutigen Gesichtspunkten die Schnelligkeit des operativen Eingriffs nicht Vorrang vor der Sorgfalt haben darf, um ein optimales Ergebnis für den Patienten zu erzielen.

 

Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Korrespondenzadresse

Dr. Sabine Mai

Vitos Orthopädische Klinik Kassel gGmbH

Wilhelmshöher Allee 345

34131 Kassel

sabine.mai@vitos-okk.de

Literatur

1. Farell CM, Springer BD, Haidukewych GJ, Morrey FB. Motor nerve palsy following primary total hip arthroplasty. Bone J Joint Surg Am 2005; 87: 2619–2625

2. Wirth CJ, Mutschler W, Bischoff HP, Püschmann H, Neu J. Komplikationen in Orthopädie und Unfallchirurgie. Stuttgart: Thieme Verlag, 2010

3. Mohajer MA, Gschauner CH, Graf R. CeraNews 2008; 2: 4–5

4. Schmalzried TP, Amstutz HC, Dorey FJ. Nerve palsy associated with total hip replacement: Riskfactors and prognosis. Bone J Joint Surg. Am 1991; 73: 1074–1080

5. Stöhr M. Iatrogene Nervenläsionen. 2. Auflage. Stuttgart: Thieme Verlag; 1996

6. Wagner UA, Schmidt HM. Ausgewählte Fehler- und Gefahrensituationen bei orthopädisch-unfallchirurgischen Eingriffen. Stuttgart: Thieme Verlag, 2009

7. Miguel-Pérez M et al. How to avoid injuries of the superior gluteal nerve. Hip Int 2010; 20: 26–31

8. Stähelin T. Abduktorennahtversagen und Nervenschädigung beim transglutealen Zugang zur Hüfte. Orthopäde 2006; 35: 1215–1224

Fussnoten

1 Vitos Orthopädische Klinik Kassel gGmbH

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