Übersichtsarbeiten - OUP 03/2016

Suprakondyläre Humerusfrakturen im Wachstumsalter

Francisco F. Fernandez1, Oliver Eberhard1, Thomas Wirth1

Zusammenfassung: Suprakondyläre Humerusfrakturen sind charakteristische knöcherne Verletzungen des wachsenden Skeletts. Die hohe Zahl der anerkannten Behandlungsfehler am Ellenbogengelenk des Kindes weist darauf hin, dass diese Verletzungen nach wie vor eine Herausforderung für alle behandelnden Chirurgen darstellen.

Zur Vermeidung von Behandlungsfehlern sollte man die Fraktur exakt analysieren. Dabei sind in der Diagnostik insbesondere der Strahlenschutz, in der Therapie die begrenzten physiologischen Ressourcen des Ellenbogengelenks sowie in der Entscheidungsfindung zur passenden Versorgung die typischen Frakturgeometrien im Kindesalter altersabhängig mit einzubeziehen.

Schlüsselwörter: suprakondyläre Humerusfraktur, Kind,
perkutane K-Draht-Oosteosynthese, Komplikationen

Citation
Fernandez FF, Eberhard O, Wirth: Suprakondyläre Humerusfrakturen im Wachstumsalter.
OUP 2016; 3: 140–145 DOI 10.3238/oup.2015.0140–0145

Summary: Supracondylar fractures of the humerus are characteristic osseous injuries of the growing skeleton. The high amount of acknowledged errors in treatment shows, that these injuries are still a challenge for every concerned surgeon.

For avoidance of errors in treatment each fracture should be analyzed exactly. In doing so special attendance should be given age-related to radiation protection in question of diagnostics, to restricted physiological resources of the elbow joint concerning therapeutic interventions and to typical fracture geometries of the child in decision making for the suitable treatment.

Keywords: supracondylar humerus fracture, child, percutaneous K-wire pinning, complications

Citation
Fernandez FF, Eberhard O, Wirth: Supracondylar fractures of the
humerus at growing age
OUP 2016; 3: 140–145 DOI 10.3238/oup.2015.0140–0145

Einleitung

Die suprakondylären Humerusfrakturen sind charakteristische knöcherne Verletzung des Ellenbogengelenks des Kindes. Das Ellenbogengelenk stellt aufgrund seiner Stellung in der Bewegungskette des Arms aus funktionellen Gesichtspunkten das wichtigste Gelenk dar. Die benachbarten Gelenke können nur bedingt Funktionseinschränkungen des Ellenbogens kompensieren.

Durch den Wandel in der Versorgung von der konservativen hin zur operativen Therapie konnten Komplikationen wie z.B. Cubitus varus reduziert und die Dauer der Hospitalisierung von Wochen auf wenige (2–4) Tage gesenkt werden.

Dennoch stellt der Ellenbogen die komplikationsträchtigste Region des wachsenden Skeletts dar, und man schätzt, dass ca. 90 % der Komplikationen iatrogen bedingt sind [1]. Die Frakturbehandlung erfordert Kenntnisse der Röntgenanatomie des sich ständig verändernden Skeletts sowie dessen spezifischer Frakturdynamik. Wachstumseigenschaften gesunder und verletzter Knochen sollten den Behandelnden bekannt sein. Die Zahlen der Schlichtungsstellen der Deutschen Ärztekammern weisen darauf hin, dass die Erkenntnis, dass Kinder keine „kleinen Erwachsenen“ sind, noch zu selten umgesetzt wird. Klagen im Zusammenhang mit der Frakturbehandlung im Kindesalter werden überdurchschnittlich häufig anerkannt. Insbesondere der Ellenbogen zeigte mit 77 % die höchste Fehleranerkennungsquote. Die anerkannten Behandlungsfehler betreffen meist Fehldeutungen des Röntgenbefunds, ungenaue klinische Befunderhebung, dem Frakturmuster nicht angemessene konservative oder operative Behandlung sowie unterlassene oder unzureichende Frakturkontrolle [2].

Häufigkeit

Die suprakondyläre Humerusfraktur ist eine sehr häufige Fraktur im Wachstumsalter und macht ca. 5–7 % aller Frakturen im Kindesalter aus. Mit einem Anteil von ca. 60 % stellt die suprakondyläre Humerusfraktur die häufigste knöcherne Ellenbogenverletzung im Wachstumsalter dar. Der Altersgipfel liegt zwischen dem 5. und 7. Lebensjahr [3, 4].

Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen, wobei in der neueren Literatur die Inzidenz bei Mädchen zunahm. Ipsilaterale Frakturen im Sinne von Kettenfrakturen treten in ca. 1 % der Fälle auf, dabei ist die häufigste Begleitverletzung die distale Radiusfraktur [5].

Radiologische Diagnostik

Die radiologische Diagnostik beinhaltet Röntgenaufnahmen des Ellenbogengelenks in 2 Ebenen (a.-p. und seitliche Aufnahme) [5].

Achsfehlstellungen in der Frontalebene werden mit dem Baumann-Winkel, Fehlstellungen in der Sagittalebene am besten mit der Roger-Hilfslinie festgestellt. Ein Rotationssporn und ein Kalibersprung im seitlichen Bild weisen auf eine Fehlstellung in der 2. Ebene hin. Ist in der ersten Röntgenaufnahme bereits eine eindeutige OP-Indikation gegeben, muss die Aufnahme der 2. Ebene präoperativ nicht erzwungen werden.

Nicht dislozierte Frakturen sind im Unfallbild gelegentlich nicht zu erkennen, sondern nur durch ein Fettpolsterzeichen („fad pad sign“) als indirektes Zeichen zu vermuten.

Besteht anhand der Klinik und des Unfallmechanismus kein Hinweis auf eine andere mögliche Ellenbogenverletzung, dann ist ein NMR nicht indiziert. Bestehen jedoch Zweifel – insbesondere bei Kindern, bei denen Trochlea und Radiuskopf noch nicht radiologisch erkennbar sind – dann ist eine weitere Abklärung mittels einer Sonografie oder eines NMR sinnvoll, damit können der knorpelige Radiuskopf und die Trochlea humeri adäquat beurteilt werden. Die Deutung des NMR des Ellenbogens, welches in Beugung des Ellenbogens durchgeführt wird, kann schwierig sein.

Unfallmechanismus
und Frakturtypen

Die häufigsten Ursachen für suprakondyläre Humerusfrakturen sind banale Stürze beim Schul- oder Freizeitsport. In nur wenigen Fällen führen ein Verkehrsunfall oder ein Hochenergie-Trauma zu einer suprakondylären Humerusfraktur.

Es wird zwischen dem häufigen Extensionstyp (ca. 98 %) und dem sehr seltenen Flexionstyp (ca. 2 %) unterschieden [5, 6, 7].

Beim Extensionstyp stürzt das Kind auf den ausgestreckten Arm. Es kommt zu einer Krafteinleitung über den Unterarm in den Ellenbogen. Über die Bandstrukturen wird am Ellenbogen die Kraft in den Oberarm geleitet. Dabei tritt eine Überstreckung im Ellenbogen mit einem erhöhten Biegemoment auf, was bei ausreichender Kraft zu einer Fraktur am schwächsten Ort des Ellenbogengelenks führt, der supracondylären Region.

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