Übersichtsarbeiten - OUP 03/2016

Suprakondyläre Humerusfrakturen im Wachstumsalter

Beim Flexionstyp kommt es zu einem direkten Sturz auf das Olecranon, dabei wird das distale Fragment nach ventral geschoben.

Die Dislokationsrichtung ist abhängig von der Unterarmstellung. In ca. 75 % der Fälle kommt es aufgrund einer Pronationstellung des Unterarms zu einer posteromedialen Dislokation; bei einer supinierten Stellung tritt eine posterolaterale Dislokation ein.

Periphere Neuropraxie

Nervenläsionen treten im Wesentlichen bei Extensionsfrakturen auf, Flexionsfrakturen gehen selten mit Nervenschäden einher. Die Dislokationsrichtung des proximalen Fragments bestimmt den neurologischen Schaden. Bei einer posteromedialen Dislokation kommt es zu einer Schädigung des N. radialis, während die posterolaterale Dislokation zu einer Schädigung des N. medianus führt, insbesondere des N. interosseus ant. In einer Metaanalyse über 8361 Frakturen waren 7,7 % Nervenschäden aufgetreten, davon waren in 41,2 % der N. radialis, in 36 % der N. medianus und in 22,8 % der N. ulnaris betroffen [5].

Bei einer primären peripheren Neuropraxie ist in über 90 % mit einer Remission innerhalb von 3–4 Monaten zu rechnen [5, 8]. Aufgrund der hohen Remissionsrate ist eine primäre operative Revision nicht indiziert. Ist ein Nervenschaden eingetreten, ist jedoch eine elektrophysiologische Untersuchung im Sinne einer EMG- und NLG-Untersuchung in den ersten Wochen durchzuführen. Kommt es zu Reinnervationspotenzialen, ist ein weiteres Zuwarten sinnvoll, sind aber nach 3 Monaten noch keine Reinnervationspotenziale nachzuweisen, sollte eine Revision des Nerven erfolgen.

Eine iatrogene N. ulnaris-Schädigung durch den ulnarseitig eingebrachten Draht bei der gekreuzten K-Draht-Osteosynthese darf nicht belassen werden. Hier sollte eine Revision mit ggf. Neuplatzierung des K-Drahts erfolgen.

Spontankorrektur
des wachsenden Skeletts

Die Spontankorrektur des Ellenbogens ist aufgrund des geringen Wachstumspotenzials des distalen Humerus (ca. 20–30 %) deutlich eingeschränkt. Das Ellenbogengelenk hat im humeroulnaren Gelenkanteil die Funktion eines Scharniergelenks. Fehlstellungen, die in der Sagittalebene der Bewegungsachse des humeroulnaren Gelenks liegen, können sich bis zu einem Alter von ca. 7 Jahren spontan korrigieren [9, 10]. Eine vollständige Spontankorrektur ist nur bei jüngeren Kindern zu erwarten. Fehlstellungen in der Frontalebene, d.h. Cubitus varus oder valgus korrigieren sich in keinem Alter spontan (Abb. 1). Die entstandene Fehlstellung verbleibt. Eine Spontankorrektur eines Rotationsfehlers am Oberarm ist zwar theoretisch über die physiologische Oberarmdetorsion möglich, jedoch nicht beschrieben und wird kontrovers diskutiert. Der primär verbliebene Rotationssporn als Zeichen des Rotationsfehlers wird durch Resorption abgebaut.

Klassifikationen

Die suprakondylären Frakturen lassen sich nach dem Unfallmechanismus oder dem Dislokationsgrad klassifizieren. Die Klassifikationen nach dem Unfallmechanismus sind [6, 7]:

  • – Extensionstyp in 98 %
  • – Flexionstyp. in 2 %

Die gebräuchlichsten Klassifikationen haben den Dislokationsgrad der Fragmente zur Grundlage, da sie von Therapierelevanz sind.

Im deutschsprachigen Raum wird die AO-Klassifikation für Frakturen der langen Röhrenknochen im Kindesalter in Anlehnung an die Klassifikation nach von Laer am häufigsten eingesetzt [7, 11].

Die suprakondylären Humerusfrakturen werden dabei in 4 Grade eingeteilt (Abb. 2).

Grad I: Undislozierte Fraktur

Grad II: Dislozierte Fraktur ohne Rotation

Grad III: Dislozierte Fraktur mit Rotation

Grad IV: Vollständige Dislokation ohne knöchernen Kontakt der Fragmente

Im angloamerikanischen Schrifttum ist die Klassifikation nach Gartland am weitesten verbreitet [12].

Gartland I: keine Dislokation der Fraktur

Gartland II: Dislokation in einer Ebene

Gartland III: Komplett disloziert

Therapie

Therapieziele

  • 1. Ziel ist die Wiederherstellung der anatomischen Verhältnisse am Ellenbogen, um eine achsengerechte knöcherne Konsolidierung mit uneingeschränkter Beweglichkeit zu erreichen.
  • 2. Die durchzuführende operative Therapie sollte möglichst eine primäre, definitive und minimal-invasive Versorgung sein.

Konservative Therapie

Bei der suprakondylären Typ-I-Fraktur besteht Konsens darüber, dass sie keine Reposition benötigt, da es sich um eine nichtdislozierte Fraktur handelt. Sie erfordert eine Ruhigstellung in einem Oberarmgips mit 90–100° Beugung im Ellenbogengelenk, fakultativ kann dabei der Unterarm in Pronation eingestellt werden (Abb. 3). Eine ebenfalls etablierte Methode ist die Blount-Schlinge („cuff and collar“), bei der das Ellenbogengelenk bei ca. 110° gebeugt wird und der Unterarm gleichzeitig proniert ist [4, 6, 5, 10].

Die Typ-II-Fraktur, also jene Fraktur, die nur in einer Ebene verschoben ist, kann prinzipiell konservativ behandelt werden. Die Versorgung der Typ-II-Fraktur ist abhängig vom Ausmaß der Abkippung sowie vom Alter, da bei einer belassenen Antekurvationsfehlstellung (verminderter humerokondylärer Winkel), maximal bis zum 7. Lebensjahr mit einer gewissen Spontankorrektur gerechnet werden kann [9].

Die Dislokation in einer Ebene kann sowohl nach dorsal im Sinne einer Extensionsverletzung als auch selten nach ventral erfolgt sein. Frakturen mit einer Dislokation nach ventral verlieren meist nach der Reposition ihre Korrektur, sodass eine operative Stabilisierung notwendig ist. Mit einem Oberarmgips lassen sich diese Frakturen selten halten, da die Modellierung des Gipses eine Ventralabkippung des Fragments nicht verhindern kann. Diese Frakturen lassen sich auch nicht mit einer Blount-Schlinge halten, da die Stellung in der Schlinge die Ventralabkippung des Fragments unterstützt. Bei Kindern unter dem 6. Lebensjahr und einer Angulation von 10–20° kann in einer Analgosedierung eine geschlossene Reposition erfolgen und ein modellierter Oberarmgips angelegt werden (Abb. 4).

Mit der Blount-Schlinge kann über ein sukzessives mehrfaches Nachziehen die suprakondyläre Extensionsfraktur reponiert werden. Eine Röntgenkontrolle zur Überprüfung des Repositionsergebnisses ist nach ca. einer Woche zwingend erforderlich. Ist es jedoch zu keiner zufriedenstellenden Reposition gekommen, kann die Fraktur noch über eine geschlossene Reposition und Stabilisation ohne offenes Vorgehen versorgt werden.

Operative Versorgung

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