Übersichtsarbeiten - OUP 07-08/2015

Supramalleoläre Valgus-Deformität bei partieller Nekrose der distalen Tibiaepiphyse
Kasuistik mit 3 FallberichtenCase report with 3 cases

Manuel Nell1, 2, Carsten Rist3, Johannes Hamel1, 2

Zusammenfassung: Es werden 3 Fälle einer epiphysären supramalleolären Wachstumsstörung bei Fragmentation und V.a. auf partielle Nekrose der anterolateralen distalen Tibiaepiphyse dargestellt. In 2 der Fälle besteht eine milde Fibulaverkürzung, in einem dieser Fälle eine leichte Unterschenkel-Außendrehfehlstellung. Zwei der 3 Jungen weisen keinerlei sonstige skelettäre oder neurogene Begleiterkrankung auf, in einem Fall besteht ein korrekturbedürftiges Genu varum, sodass als Grunderkrankung eine milde Form einer epiphysären Dysplasie zu diskutieren ist. Vergleichbare Fälle von nicht-posttraumatischem supramalleolärem Valgus-Fehlwachstum ohne Vorliegen einer anderen, z.B. neurogenen Grunderkrankung wurden nach Kenntnis der Autoren bisher nicht beschrieben. Die Patienten wurden mit supramalleolär korrigierender Osteotomie und/oder
Hemi-Epiphyseodese behandelt, wobei einmal ein schweres Valgus-Rezidiv im weiteren Verlauf zu beobachten war. Mögliche ätiologische Faktoren des supramalleolären Fehlwachstums mit partieller Epiphysennekrose und therapeutische Optionen werden im Literaturvergleich diskutiert.

Schlüsselwörter: OSG-Valgus, Epiphysennekrose, Fibulalänge, guided growth

Zitierweise
Nell M, Rist C, Hamel J. Supramalleoläre Valgus-Deformität bei partieller Nekrose der distalen Tibiaepiphyse. Kasuistik mit 3 Fallberichten. OUP 2015; 07: 356–362 DOI 10.3238/oup.2015.0356–0362

Summary: Three cases of supramalleolar epiphyseal growth-disturbance with partial necrosis of the distal tibial epiphysis with fragmentation are reported. In 2 cases the fibula shows slight shortening, in one case a slight external-rotation-disturbance of the tibia was found additionally. Two of 3 male children are previously healthy, in one case a mild form of epiphyseal dysplasia was suspected because of additional varus-growth-disturbance around both knee joints. Ankle valgus has been described in posttraumatic cases or neurological and bony disorders, but not in otherwise healthy children. Patients were treated with supramalleolar osteotomy and/or hemiepiphysiodesis. The etiology of ankle valgus and therapeutic aspects should be discussed in context with the current literature.

Keywords: ankle valgus, epiphyseal necrosis, fibula length, guided growth

Citation
Nell M, Rist C, Hamel J. Supramalleolar valgus deformity with partial necrosis of the distal tibial epiphysis. Case report with 3 cases.
OUP 2015; 07: 356–362 DOI 10.3238/oup.2015.0356–0362

Einleitung

Valgus-Deformitäten des oberen Sprunggelenkes (OSG) sind prinzipiell im Kindes- und Jugendalter selten, können jedoch sekundär auf dem Boden verschiedener Pathologien gehäuft in Erscheinung treten. Neurologische Grunderkrankungen, vorbehandelte idiopathische Klumpfüße, Fibulalängendefekte unterschiedlicher Genese, traumatisch bedingte Wachstumsfugenverletzungen sowie knöcherne Neoplasien oder syndromale Grunderkrankungen können zu Valgus-Deformitäten des OSG führen. Es ist auch eine seltene idiopathische Valgusfehlstellung bekannt, die im angloamerikanischen Sprachraum als „Volkman`s ankle“ bezeichnet wird [1]. In der Literatur finden sich allerdings nur vereinzelt Berichte über supramalleoläre Valgusfehlstellungen aufgrund von Epiphysennekrosen bei neurologischen Grunderkrankungen oder posttraumatischen Zuständen. OSG-Valgus-Deformitäten bei partieller Nekrose der distalen Tibiaepiphyse sowie bei ansonsten unauffälligen Kindern wurden bisher aber nicht beschrieben. Das valgische Fehlwachstum verläuft progredient und erfordert in den meisten Fällen die chirurgische Intervention. Die klinische Symptomatik ist häufig anfänglich milde, kann jedoch zu schmerzhaften subfibularen Impingmentsyndromen und unbehandelt im weiteren Verlauf zu Instabilitäten und OSG-Arthrose führen. Der Pes planovalgus oder Fehlstellungen des 1. Strahls sind assoziierte Deformitäten [2]. Es wird über 3 Fälle einer epiphysären supramalleolären Wachstumsstörung im Sinne der Valgus-Deformität aufgrund einer partiellen Nekrose der Tibiaepiphyse berichtet. Davon sind in 2 Fällen weder Grunderkrankungen bekannt, noch findet sich eine als relevant anzunehmende positive Traumaanamnese. Es findet sich jedoch in 2 Fällen eine milde Fibulaverkürzung, in einem Fall eine relative Fibulaüberlänge und in einem Fall eine mäßigradige Außenrotationsfehlstellung. In einem Fall lag der Verdacht auf eine familiäre epiphysäre Dysplasie auch mit Beteiligung der Kniegelenkregion vor. Die Ätiologie, die Bedeutung der Fibula-Länge sowie das therapeutische Vorgehen und insbesondere der Einsatz von Maßnahmen im Sinne des „guided growth“ sollen diskutiert werden.

Fallkasuistiken

Fall 1

Es handelt sich um einen zum Zeitpunkt der Erstvorstellung 15-jährigen Jungen mit seit 5 Monaten bestehenden und progredient verlaufenden erheblichen Schmerzen im Bereich des linken OSG. Ein Jahr zuvor habe er nach einem Trampolinspringen für wenige Wochen ebenfalls Schmerzen im linken Sprunggelenkbereich verspürt, die allerdings selbstlimitierend verliefen. Radiologisch zeigt sich eine deutliche Valgusfehlstellung des OSG mit imponierender Verschmälerung und Verdichtung der anterolateralen distalen Epiphyse sowie der distalen Tibiawachstumsfuge (Abb. 1). Dieser Befund zeigt sich interessanterweise ebenfalls auf der Gegenseite, jedoch in weitaus milderer Ausprägung – das rechte Sprunggelenk ist zudem asymptomatisch. Die Dünnschicht-CT bestätigt destruktive Veränderungen der distalen Epiphyse einschließlich der tibialen Gelenkfläche in ihrem zentral lateralen und anterolateralen Bereich im Sinne einer Nekrose mit Höhenminderung und Fragmentation (Abb. 2a-b). Es zeigt sich wegen des daraus resultierenden Minderwachstums lateralseitig eine Lateralisationstendenz des Talus mit erhöhtem medialem Abstand zwischen Talus und Malleolus medialis und zu vermutender Syndesmoseninsuffizienz.

In Zusammenschau der klinisch-radiologischen Befunde wird eine supramalleoläre varisierende Tibiaosteotomie durchgeführt in Kombination mit einer medialen Hemi-Epiphysiodese (mittels perkutan eingebrachter Kleinfragment-Spongiosaschraube) und einer Fibulaverlängerungsosteotomie mit Interposition eines trikortikalen Beckenkammspans. Gleichzeitig wird die vordere Syndesmose mittels Stellschraube versorgt (Abb. 3). Sechs Monate postoperativ wird die Hemi-Epiphysiodese aufgelöst und die tibiofibular gelegene Stellschraube entfernt. Jedoch verbleibt nach insgesamt sehr guter Korrektur in der Frontalebene eine funktionell beeinträchtigende 20°-Außenrotationsfehlstellung des Unterschenkels, die 14 Monate nach dem ersten Eingriff mittels 20° innenrotierender Re-Osteotomie von Tibia und Fibula korrigiert wird. Zwölf Monate postoperativ zeigt sich der Patient beschwerdefrei bei normalem Gangbild und guter Beweglichkeit im OSG sowie geschlossenen Wachstumsfugen an Tibia und Fibula (Abb. 4).

Fall 2

Ein 11-jähriger Junge wird zur Abklärung einer beidseitigen Pes planovalgus-Deformität vorstellig, links dominiert hierbei insbesondere die Rückfußvalgus-Komponente. Radiologisch fällt jedoch eine supramalleoläre Valgusfehlstellung des OSG von 20° auf, gleichzeitig zeigt sich eine Nekrosezone mit Fragmentation bei scholligem Zerfall der anterolateralen distalen Tibiaepiphyse (Abb. 5 und 6a-d). Klinisch fällt zudem ein beidseitiges Genu varum auf, das links ausgeprägter als auf der Gegenseite ist. Der Verdacht auf eine milde Form der epiphysären Dysplasie wird gestellt. Es wird zunächst eine supramalleoläre varisierende Korrekturosteotomie mit gleichzeitiger Osteotomie der Fibula durchgeführt, kombiniert mit einer temporären medialen Hemi-Epiphyseodese in Schraubentechnik (Abb. 7). Die Metallentfernung kann 12 Monate postoperativ erfolgen. Ein Jahr später wird bei beidseitigem Genu varum die temporäre Epiphysiodese linksseitig mittels 8-plate (Fa. Orthofix) durchgeführt. Im weiteren Verlauf entwickelt sich jedoch ein deutlicher Rezidiv-OSG-Valgus bei offenbar vollständigem Wachstumsstillstand der anterolateralen Epiphysenanteile, der retrospektiv den Verdacht auf einen knöchernen „bar“ aufkommen lässt (Abb. 8a-b).

Fall 3

Es handelt sich um einen zum Zeitpunkt der Erstvorstellung 13-jährigen sportlich aktiven (Fußball) Jungen, der seit 6 Monaten erhebliche belastungsabhängige Schmerzen im Bereich des rechten OSG beklagt. Es sind keine Grunderkrankungen bekannt, die Traumaanamnese ist negativ. Unter mehrmonatiger Sportkarenz verbessert sich die Beschwerdesymptomatik im Alltag auf ein Minimum. Die initiale Bildgebung mittels Röntgen und MRT zeigt eine Nekrotisierung der lateralen Anteile der distalen Tibiaepiphyse mit entsprechendem Höhenverlust derselben bei einer supramalleolären Valgusfehlstellung von 11° (Abb. 9 und 10). Im Verlauf von 6 Monaten nimmt der OSG-Valgus nicht zu, die zentralen lateralen und anterolateralen Epiphysenareale sind stark verdichtet und höhengemindert – der Nekrotisierungsprozess scheint sich im Kondensationsstadium zu befinden. Gleichzeitig zeigt sich eine relative Überlänge der Fibula. Es wird eine temporäre mediale Hemi-Epiphysiodese der distalen Tibiawachstumsfuge mit Epiphysiodese der distalen Fibulawachstumsfuge durchgeführt – der Verlauf ist noch nicht absehbar.

Diskussion

Die Nekrose der distalen Tibiaepiphyse ist ein sehr seltenes Krankheitsbild, das erstmals von Siffert und Arkin als Komplikation einer Sprunggelenkfraktur vom Typ Salter-Harris IV bei einem 11-jährigen Kind beschrieben wurde [3]. Weitere vereinzelte Berichte über Epiphysennekrosen der distalen Tibia aufgrund von Sprunggelenkfrakturen sind bekannt [4]. Gascó et al. berichteten erstmals über 2 Fälle avaskulärer Nekrosen der distalen Tibiaepiphyse ohne traumatische Genese, jedoch auf dem Boden neurologischer Störungen [5].

Die atraumtische Epiphysennekrose mit konsekutiver OSG-Valgus-Deformität und ohne Vorliegen einer aus der Literatur bekannten Ursache für eine supramalleoläre epiphysäre Wachstumsstörung ist den Autoren zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht bekannt. Bezogen auf die Sprunggelenkregion findet sich lediglich ein Fallbericht über die atraumatische Epiphysennekrose der distalen Fibula [6].

In Fall 2 und 3 ist jeweils die Traumaanamnese negativ. Fall 1 beschreibt vorübergehende Schmerzen im Bereich der linken Sprunggelenkregion nach einem zu vermutenden Distorsionsereignis beim Trampolinspringen. Zwar zeigte sich zum Zeitpunkt des o.g. Ersteingriffs eine insuffiziente vordere Syndesmose, jedoch erscheint den Autoren die traumatische Genese als nicht beweisführend für die Entwicklung der supramalleolären epiphysären Wachstumsstörung mit anterolateraler Epiphysennekrose, da sich derselbe Befund in geringerer Ausprägung auch auf der asymptomatischen Gegenseite zeigt. Zudem finden sich in 2 von 3 Fällen keine weiteren Grunderkrankungen. In einem Fall besteht zusätzlich ein beidseitiges Genu varum, sodass eine milde Form epiphysärer Dysplasie als Grunderkrankung denkbar wäre und zu diskutieren ist. Diese angeborene Skelettdysplasie ist in der den Autoren bekannten Literatur nicht als Ursache der OSG-Valgus-Deformität aufgeführt und der Zusammenhang zwischen epiphysärer Dysplasie und Ausbildung einer Epiphysennekrose bleibt letztlich ungeklärt.

Valgus-Deformitäten des OSG treten jedoch gehäuft auf sowohl bei neurologischen Grunderkrankungen wie der infantilen Zerebralparese, der Myelomeningozele und der Poliomyelitis [1, 2, 7] als auch beim idiopathischen Klumpfuß [1, 8]. Rupprecht et al. finden den idiopathischen Klumpfuß in einer retrospektiven Analyse nach medialer Schrauben-Epiphysiodese bei valgischem Fehlwachstum als häufigste Ursache dieser Deformität wieder, wobei das OSG-Valgus eines der Überkorrekturphänomene nach vorbehandeltem Klumpfuß darstellt [8]. Hereditäre multiple Exostosen führen ebenfalls häufig zu einem OSG-Valgus beim wachsenden Skelett [7], als weitere knöcherne Neoplasie ist der Morbus Ollier beschrieben[9]. Interessanterweise ist hingegen das posttraumatisch bedingte OSG-Valgus in seiner Häufigkeit eine seltene Ursache, obwohl die distale Tibia-Wachstumsfuge nach Peterson et al. die am zweithäufigsten verletzte Wachstumsfuge ist [10] und insgesamt 11 % aller Fugenverletzungen ausmacht [11]. Syndromale Zustände wie z.B. die Trisomie 21 sind ebenfalls mit dem valgischen Fehlwachstum des OSG assoziiert [1]. Im angloamerikanischen Sprachraum wird eine idiopathische OSG-Valgus-Wachstumsstörung als „Volkman`s ankle“ beschrieben [1], jedoch in der Literatur nicht weiter ausgeführt.

Angeborene oder erworbene Fibuladefekte führen wiederum häufig zur Ausbildung eines OSG-Valgus beim heranwachsenden Kind, sodass insbesondere der Fibulalänge in der Pathogenese eine zentrale Bedeutung zukommt. Wiltse beschrieb 1972 die Ausbildung eines OSG-Valgus nach Fibularesektion bei Kindern unter 10 Jahren und führte das Fehlwachstum auf den Längenverlust der Fibula zurück [12]. Valgus-Deformitäten des OSG werden auch nach Entnahme von (gefäßgestielten) Fibulatransplantaten im Rahmen knöcherner Rekonstruktionen, v.a. in der onkologischen Chirurgie, beobachtet [13].

Die Fibula gilt grundsätzlich als wichtiger Stabilisator der lateralen Anteile des OSG. Um dieser Funktion gerecht zu werden, ist eine intakte Fibulalänge notwendig. Während des Wachstums geht der Längengewinn der Fibula größtenteils von der proximalen Wachstumsfuge aus [13]. Primäre oder sekundär erworbene Diskontinuitäten oder Defektzonen im Schaftbereich der Fibula führen somit während des Wachstums zu einer progredienten Verkürzung der Fibula mit einhergehendem Verlust ihrer das Sprunggelenk lateralseitig zu stabilisierenden Funktion. Um einer sekundären Destabilisierung mit Ausbildung einer Valgus-Deformität im OSG entgegenzuwirken, wurde bereits Mitte des letzten Jahrhunderts von Langenskiold sowohl bei primärer kongenitaler Fibulapseudarthrose als auch bei sekundärer Fibulapseudarthrose nach Fibularesektionen und Fibulatransplantat-Entnahmen die distale tibio-fibulare Fusion beschrieben [14].

Durch den (relativen) Längenverlust verliert der Talus seine laterale Abstützung mit Entwicklung progredienter valgischer Sprunggelenkinstabilität bei abnormer Krafteinwirkung, die den distalen lateralen Anteil der Tbiaepiphyse in ihrem weiteren Wachstum hemmt [13, 15]. Hsu et al. sowie Moon et al. beschreiben in Fällen mit Fibuladefekten den frühzeitigen Verschluss des lateralen Anteils der distalen Tibia-Wachstumsfuge aufgrund abnormer Lasteinwirkung [16, 17]. Die Kraft wirkt atypisch konzentriert auf den lateralen Anteil der Wachstumsfuge und der Epiphyse ein – mit zunehmendem Valgus-Fehlwachstum lateralisiert klinisch die Ferse, es findet sich ein zunehmend prominenter medialer Malleolus und Schmerzen aufgrund eines subfibularen Impingements können imponieren [1].

Normalerweise beteiligt sich die Fibula teilweise an der Lastaufnahme und Lastverteilung der unteren Extremität. Lambert beschrieb 1971 in einer biomechanischen Kadaverstudie, dass die Fibula beim Erwachsenen 1/6 der gesamten statischen Last trägt [18]. Bei Fibuladefektsituation am wachsenden Skelett kann die Last nicht mehr von der proximalen Fibula auf die distale Wachstumsfuge übertragen werden [15]. In den dargestellten Fällen findet sich keine primäre oder sekundäre Fibuladefektsituation, jedoch scheint in 2 der 3 beschriebenen Fälle eine milde, relative Fibulaverkürzung vorzuliegen (Abb. 1, 5). In diesen Fällen kann auch nicht von einer fibularen Hemimelie als Ursache ausgegangen werden, es fehlen die Beinverkürzung sowie Veränderungen der tarsalen skelettären Elemente. Normalerweise sollte sich die distale Wachstumsfuge der Fibula auf oder etwas unterhalb des Tibia-Plateaus befinden [1]. Im Hinblick auf die in der Literatur diskutierte Pathophysiologie sehen die Autoren dieser Fallserie in allen 3 Fällen des OSG-Valgus eine ausgebildete Nekrose der streng anterolateralen Anteile der distalen tibialen Epiphyse. Lediglich Gascó berichtete über 2 Fälle einer atraumatischen Nekrose der gesamten distalen Tibiaepiphyse ohne Ausbildung einer Valgus-Deformität des OSG [5].

In der Regel erfordert das progrediente Valgus-Fehlwachstum die operative Therapie. Dabei reicht das Spektrum operativer Eingriffe von der Langenskiold-Operation (distale tibio-fibulare Fusion) über die transepiphyseale Osteotomie der distalen Tibia bis hin zur supramalleolären tibialen Korrekturosteotomie und zur medialen Hemi-Epiphysiodese der distalen Tibia. Das Prinzip der Hemi-Epiphysiodese ist dabei mit dem Begriff des „guided growth“ (Wachstumslenkung) verbunden. Unabhängig vom Operationsverfahren bestehen die Behandlungsziele darin, den OSG-Valgus zu korrigieren, ein möglichst neutral eigestelltes und funktionelles OSG für das restliche Wachstum zu garantieren und weiteren Deformitäten sowie degenerativen Gelenkveränderungen präventiv entgegenzuwirken. Gerade die supramalleoläre Korrekturosteotomie und die mediale Hemi-Epiphyseodese stellen effektive Maßnahmen mit guten bis sehr guten Ergebnissen in der Behandlung der Valgus-Deformität dar [1, 2, 9].

Im Vergleich zur supramallelären Korrekturosteotomie ist die Morbidität der Hemi-Epiphysiodese gering [1, 2, 9] und kann technisch einfach und reproduzierbar mittels einer 3,5 mm- oder 4,5 mm-Schraube bzw. mit Staples und – in den letzten Jahren wachsender Beliebtheit – 8-plate (Fa. Orthofix) durchgeführt werden. In einer Nachuntersuchungsserie von Stevens et al. zeigte sich nach medialer Epiphysiodese weder die Überkorrektur mit Ausbildung eines symptomatischen OSG-Varus noch ein vorzeitiger Fugenschluß [1]. Wie in Fall 1 und 2 beschrieben, sind diese beiden Eingriffe auch zur Kombination geeignet (Abb. 3, 7), vergleichbare Darstellungen finden sich jedoch in der Literatur nicht. In Fall 1 wurde die Indikation zur Kombination beider Verfahren aus folgenden Gründen gestellt: Bei deutlicher Valgus-Deformität und ausgeprägter Nekrosezone in den zentralen lateralen und anterolateralen Bereichen der Gelenkfläche mit Mitbeteiligung der anterolateralen Wachstumsfuge ist eine sofortige varisierende Korrektur notwendig zur

  • 1) Wiederherstellung einer physiologischen Lasteinwirkung auf die distale Tibia, zur
  • 2) dadurch sofort erzielbaren Entlastung des betroffenen nekrotischen Areals mit
  • 3) Möglichkeit zur Ausheilung der Nekrose selbst.

Der Meinung der Autoren nach kann die isolierte Hemi-Epiphysiodese ohne weitere Maßnahmen die o.g. Therapieziele nicht erfüllen, da sie als wachstumslenkender Eingriff nur eine voranschreitende Korrektur ermöglicht. Außerdem war in Fall 1 der Patient mit 15 Jahren nur für das „guided growth“-Verfahren bereits zu alt. Dennoch wurde die Hemi-Epiphysiodese als additive Maßnahme vor generell zu erwartendem Fugenschluss zum temporären Verschließen der anterolateralen Fuge bewusst hinzugefügt. Bei gleichzeitig bestehender relativer Verkürzung der Fibula – wie in 2 der 3 Fälle – kann diese mittels Einbringen eines Beckenkammspans verlängert werden, um ihre Funktion als lateraler Stabilisator wieder zu gewinnen und um die tibiale Korrekturosteotomie in ihrer Wirkung zu unterstützen. In Fall 3 wird auf die supramalleoläre Korrekturosteotomie aufgrund deutlicher Beschwerdebesserung bei gleichzeitig bildgebend anzunehmender Konsolidierung des nekrotischen Prozesses und fehlender Progredienz der OSG-Valgus-Deformität verzichtet und die mediale Hemi-Epiphysiodese zur Wachstumslenkung durchgeführt.

Im Gegensatz zu Fall 1 und 2 besteht in Fall 3 diesmal eine relative Überlänge der Fibula, die zum Schutz des tibialen Wachstums ebenfalls mittels Schrauben-Epiphysiodese in ihrem Wachstum gebremst wird. Über den weiteren kurzfristigen postoperativen Verlauf kann aufgrund des erst kürzlich durchgeführten Eingriffs noch nicht berichtet werden. In Fall 1 wurde im Verlauf die 20° Außenrotationsfehlstellung der Tibia erst nach gelungener operativer Korrektur der Frontalebene klinisch offensichtlich. Ob eine vermehrte Unterschenkelaußenrotation auch kausal eine Rolle im Sinne rotationsbedingt vermehrt einwirkender Scherkräfte auf die anterolateralen Epiphysen- und Fugenanteile spielt, kann nicht beurteilt werden, ist in der Literatur jedenfalls nicht geläufig. In Fall 2 kam es im weiteren Verlauf zu einem deutlichen korrekturbedürftigen Rezidiv der OSG-Valgus-Deformität (Abb. 8 a-b), die retrospektiv auf eine definitive Schädigung der anterolateralen Fugenanteile mit Wachstumsstillstand ähnlich wie bei der Entwicklung eines knöchernen „bar“ schließen lässt. In Rezidivfällen eines OSG-Valgus wird generell die Re-Hemi-Epiphyseodese empfohlen [2], in unserem Fall muss das genaue Procedere allerdings erst festgelegt werden.

Zusammenfassend ist das OSG-Valgus-Fehlwachstum prinzipiell im Kindes- und Jugendalter selten, wobei die häufigsten Ursachen neurologische Grunderkrankungen und vorbehandelte idiopathische Klumpfüße darstellen. Epiphysennekrosen sind jedoch sehr selten. Partielle, anterolaterale Nekrosen der distalen Tibiaepiphyse wurden jedoch der Meinung der Autoren nach bislang nicht in dieser Form beschrieben und stellen womöglich eine eigene Entität dar.

Interessenkonflikt: Keine angegeben

Korrespondenzadresse

Dr. med. univ. Manuel Nell

Klinik Josephinum

Abteilung Orthopädie

Schönfeldstraße 16

80539 München

manuel.nell@hotmail.com

Literatur

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3. Siffert RS, Arkin AM. Post-tramatic aseptic necrosis of the distal tibial epiphysis. Report of a case. J Bone Joint Surg 1950; 32A: 691–696

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18. Lambert KL. The weight-bearing function of the fibula: a strain gauge study. JBJS Am 1971; 53: 507–13

Fussnoten

1 Klinik Josephinum, Abteilung Orthopädie

2 Zentrum für Orthopädische Fußchirurgie München, OZS, Schützenstraße 5, 80335 München

3 Klinik Josephinum, Abteilung Radiologie

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