Übersichtsarbeiten - OUP 03/2017

Therapieoptionen bei chronischen Schmerzsyndromen der Wirbelsäule

Bei Vorliegen psychosozialer Risikofaktoren kommen verhaltenstherapeutische Verfahren zur Schmerzlinderung und Zunahme der körperlichen Funktionsfähigkeit zur Anwendung.

Medikamentöse Therapie

Die medikamentöse Therapie ist symptomatisch und dient zur Unterstützung der aktivierenden Maßnahmen bei chronischen Rückenschmerzpatienten, um die eingeschränkten alltäglichen Aktivitäten wieder aufzunehmen. Voraussetzung für eine erfolgreiche medikamentöse Therapie ist die Anamnese der Schmerzcharakteristika.

In diesem Zusammenhang sind Vorerfahrungen der Patienten und unerwünschte Arzneimittelwirkungen entscheidend für die Festlegung des Therapieregimes. Daher ist vor der Einleitung oder Umsetzung einer bestehenden Analgetikamedikation eine ausführliche Medikamentenanamnese dringend erforderlich. Des Weiteren muss vor dem Einsatz der indizierten Analgetikatherapie insbesondere das gastrointestinale und kardiovaskuläre Risikoprofil beachtet werden. Zusätzlich muss darauf geachtet werden, dass die Einnahme der Medikamente nach einem festen Zeitplan erfolgt. Für die Überwachung der Schmerzintensität und die Evaluation des Behandlungserfolgs sollte die Visuelle Analogskala (VAS) oder Numerische Rating-Skala (NRS) angewendet werden [10].

Folgende Medikamentengruppen können u.a. nach ausführlicher Medikamentenanamnese in Frage kommen:

Nichtopioide Analgetika (z.B. NSAR)

Opiod-Analgetika

Antidepressiva

Invasive Therapie

Invasive Therapiemaßnahmen (z.B. Facettengelenkinfiltrationen, epidurale Injektionen, ISG-Infiltrationen) können nach komplettierter Diagnostik in Betracht gezogen werden. Typische radiologische Befunde sind Arthrosen der kleinen Wirbelgelenke oder Facettengelenke (Spondylarthrosen), Degenerationen der Bandscheiben und der Endplatten (Osteochondrosen), osteodiskoligamentäre Verengungen des Spinalkanals (Spinalkanalstenosen) oder Arthrosen/Sklerosierungen der Iliosakralgelenke (ISG). Wenn die radiologischen Diagnosen mit den klinischen Befunden zu korrelieren sind, sollte aus unserer Sicht nach obligatem Aufklärungsgespräch über Vorgehensweise, Chancen und Risiken die indizierte invasive Therapiemaßnahme in gezielter Technik erfolgen. Hierbei können die Facettengelenke und Iliosakralgelenke bildwandlergestützt und der Epiduralraum oder die Nervenwurzeln unter computertomografischer Kontrolle (CT-gestützt) infiltriert werden. Medikamentös werden ein Lokalanästhetikum (z.B. Ropivacain) und ein Kortisonpräparat (z.B. Triamcinolon) verwendet.

Interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie

Zur Abgrenzung von unimodalen Programmen oder von Programmen, an denen mehrere Disziplinen nebeneinander und nicht integrativ beteiligt sind, wurden seitens der Ad-hoc-Kommission der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. wesentliche Kennzeichen der multimodalen Schmerztherapie verdeutlicht. Gemäß der Nationalen VersorgungsLeitlinie Kreuzschmerz soll spätestens nach 6 Wochen Schmerzdauer und alltagsrelevanten Aktivitätseinschränkungen trotz leitliniengerechter Versorgung bei positivem Nachweis von Risikofaktoren zur Chronifizierung (yellow flags) die Indikation zu einer multimodalen Schmerztherapie geprüft werden [10]. Bei bestehenden Beschwerden und alltagsrelevanten Aktivitätseinschränkungen über 12 Wochen trotz leitliniengerechter Versorgung ist die Indikation zu einer multimodalen Schmerztherapie generell zu prüfen [10].

Im Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS, Version 2016) ist mit der Ziffer 8–918.x das Verfahren „Multimodale Schmerztherapie“ definiert [11] (s. Textkasten). Entsprechend der hier festgelegten Merkmale ist die Indikation für die multimodale Schmerztherapie sorgfältig zu stellen. Notwendig für eine erfolgreiche Therapie sind seitens der Patienten eine grundlegende Motivation, das Verständnis der Programminhalte und die Identifikation mit den Therapiezielen.

Patienten mit schwerwiegenden psychischen Erkrankungen, mit reduzierter psychischer oder physischer Belastbarkeit für das vorwiegend aktivierende Programm, Patienten mit unzureichender Kenntnis der deutschen Sprache oder mit laufendem Erwerbsminderungsrentenverfahren sollten nicht der multimodalen Schmerztherapie zugeführt werden.

Das Betreuerteam für den chronischen Rückenschmerzpatienten besteht aus Ärzten (1 Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, 1 Facharzt mit Zusatzqualifikation Spezielle Schmerztherapie), aus ärztlichen oder psychologischen Psychotherapeuten, aus Physio-, Ergo- und Sporttherapeuten sowie aus Pflegekräften.

Alle beteiligten Disziplinen sind als gleichberechtigte Partner anzusehen, die eng zeitlich und räumlich miteinander arbeiten und regelmäßig geplante Teamsitzungen durchführen. Vor dem Assessment sind sämtliche Vorbefunde, zurückliegende und aktuelle bildgebende Verfahren und ein ausgefüllter Schmerzfragebogen zu fordern.

Das Assessment selbst beinhaltet die klinische Anamnese, die Schmerzanamnese, die physische Untersuchung, die psychologische und psychosomatische Evaluation und die obligatorischen Teambesprechungen, die eine gemeinsame Abstimmung unter den Teammitgliedern bezüglich der diagnostischen Ergebnisse, therapeutischen Angebote und des weiteren Vorgehens ermöglicht.

Die zentralen Bausteine der multimodalen Schmerztherapie im Sinne der medizinischen und psychologischen Behandlung, der Edukation, der Entspannung und der körperlich übenden Verfahren verfolgen das Ziel einer funktionellen Schmerzverarbeitung und der körperlichen, psychischen und sozialen (Re-)Aktivierung des Patienten [12, 13]. Am Behandlungsende werden der gemeinsam beurteilte Behandlungsverlauf und die hieraus resultierende gemeinsame Behandlungsempfehlung an den Patienten und nachbehandelnden Therapeuten weitergegeben [14].

Diskussion

Bei chronischen Schmerzsyndromen der Wirbelsäule soll unter den nicht-medikamentösen Therapieformen die Bewegungs- und Sporttherapie als primäre Behandlung angewendet werden [10]. Im Vergleich zu passiven Maßnahmen ist hiermit eine langfristig evidente Wirksamkeit in Bezug auf Schmerz und Funktionsfähigkeit zu erreichen [15, 16]. Unklar war, welche Form der Bewegungsübungen besonders wirksam ist. Alfuth und Cornely [17] haben in diesem Zusammenhang analysiert, dass sowohl Mobilisationsübungen als auch Übungen zur Kräftigung der rumpfstabilisierenden Muskulatur sinnvoll sind. Entspannungsverfahren, wie beispielsweise die progressive Muskelrelaxation nach Jacobsen, werden in der Regel im Rahmen einer multimodalen Behandlung angewendet. Ostelo et al. [18] konnten klar zeigen, dass hierdurch ein positiver Effekt auf Schmerzen und verhaltensbezogene Parameter (z.B. Angst, Depression) erzielt werden konnte. Eine weitere sinnvolle Therapieoption in der Behandlung von chronischen Rückenschmerzpatienten ist die Ergotherapie. Williams et al. [19] konnten nach systematischem Review feststellen, daß durch zusätzliche berufsbezogene Maßnahmen eine Wiederaufnahme der Arbeit und eine Beschwerdereduktion beschleunigt werden können.

Manuelle Therapie in Form von Manipulation/Mobilisation scheint in Kombination mit aktivierender Bewegungstherapie zu langfristigen Erfolgen zu führen [20] und kann somit bei chronischen Schmerzpatienten ebenfalls durchgeführt werden. Auch die Therapieform der Massage stellt eine Therapieoption in dieser Patientengruppe dar. Allerdings ist die maximale Wirkung zur Schmerzreduktion meist nur in Kombination mit Bewegungstherapie und Edukation zu erzielen [21]. Die Therapieoption der Kognitiven Verhaltenstherapie, eingebunden in ein multimodales Behandlungskonzept, soll zur Anwendung kommen [10]. Airaksinen et al. [22] konnten zeigen, dass Bewegungstherapieprogramme, mit Einbeziehung einer Art der Verhaltenstherapie, die Rückkehr zum Arbeitsplatz beschleunigen.

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