Übersichtsarbeiten - OUP 04/2019

Therapieoptionen bei implantatassoziierter Infektion nach distaler Humerusfraktur
Ein Fallbeispiel und aktuelle Literaturübersicht

Nach Konsolidierung der Weichteile erfolgte eine Woche postoperativ der Verfahrenswechsel mit Abbau des Fixateurs externe und Osteosynthese durch eine winkelstabile Doppelplattenosteosynthese (LOQTEQ, Aap Implantate AG, Berlin, Deutschland) (Abb. 1 b–c). Eine postoperative Ruhigstellung erfolgte mittels Ellenbogenbewegungsorthese und sukzessiver Freigabe des Bewegungsausmaßes bei einer Tragedauer von insgesamt 6 Wochen. Der weitere postoperative Verlauf gestaltete sich unkompliziert bei reizlosem Lokalbefund. In den klinisch-radiologischen Verlaufskontrollen konnte nach 3 Monaten ein Bewegungsausmaß von Extension/Flexion 0–20–100° bei radiologisch nicht vollständig konsolidierter Fraktur festgestellt werden.

Nach 6 Monaten zeigte sich eine spontan aufgetretene perkutan tastbare druckdolente Fluktuation am distalen Narbenpol mit begleitender Umgebungsröte. Bei hochgradigem Infektverdacht erfolgte der Versuch des Osteosyntheseerhalts mittels Debridement, Einlage von Septopal Miniketten und biofilmpenetrierender kombinierter Antibiose aus Rifampicin und Flucloxacillin für 6 Wochen bei mikrobiologischem Nachweis eines normsensiblen Staphylococcus aureus. Bei einem postoperativ unkomplizierten Verlauf konnte zeitnah die Entlassung erfolgen.

Weitere 7 Monate später kam es zu einer erneuten Wundheilungsstörung mit Fistelbildung über der lateralen Platte, sodass ausgehend von einem persistierenden Infekt die Metallentfernung erfolgte. In der präoperativ durchgeführten CT-Diagnostik konnte die bis dato aufgrund der Beschwerdefreiheit der Patientin tolerierte, ausgebliebene Frakturheilung nachgewiesen werden. Die Sanierung der Infektpseudarthrose wurde zunächst durch eine vollständige Implantatentfernung, Fistelexzision und Resektion von avitalem Knochengewebe versucht. Bei ausbleibender Konsolidierung der Weichteile wurde nochmalig eine Revision mit Stabilisierung der Pseudarthrose durch Fixateur externe Versorgung am distalen Humerus vorgenommen. Auch hierdurch konnte keine Infekteradikation unter Erhalt des distalen Humerus erzielt werden, sodass letztlich der Patientin die Pseudarthrosenresektion und Implantation einer distalen Humerusersatzendoprothese empfohlen wurde. Die Resektion des distalen Humerus und der damit verbundenen Entfernung sämtlicher osteomyelitischen Anteile erfolgte mit gleichzeitiger Implantation eines Polymethylmethacrylat(PMMA)-Spacers (Abb. 2a).

Ein gelenkübergreifender Fixateur externe vom Typ Hofmann wurde angelegt. Bei nun mikrobiologischem Nachweis eines Pseudomonas aeruginosa wurde für 3 Wochen eine antibiotische Therapie mit Ciprofloxacin verabreicht. Bei reizlosen lokalen Wundverhältnissen und unauffälligen laborchemischen Infektparametern konnte schließlich der Verfahrenswechsel mit Implantation eines silberbeschichteten distalen Humerusersatzes (modulare Prothese Typ Mutars, Implantcast, Buxtehude, Deutschland) durchgeführt werden (Abb. 2b–c). Um das Risiko eines Protheseninfekts zu minimieren, wurden die Pin-Eintrittsstellen des Fixateurs ausgeschnitten und mit Granudacyn (SastoMed, Georgsmarienhütte, Deutschland) gespült. Zudem wurden die 40 g des für die Zementierung des Humerusersatzes verwendeten Gentamicin- und Clindamycin-haltiger Copal-Zements (Heraeus, Wehrheim, Deutschland) zusätzlich mit 1 g Vancomycin versetzt. Postoperativ wurde die orale Antibiose mit Ciprofloxacin um Rifampicin erweitert und für insgesamt 6 Wochen fortgeführt. Bei einer Belastungsfreigabe von maximal 2 kg erfolgte die frühfunktionelle Übungsbehandlung. Nach 2-wöchiger stationärer Behandlung konnte zum Entlassungszeitpunkt eine Beweglichkeit von Extension/Flexion 0–20–100° und Pronation/Supination 20–0–20° erreicht werden.

Drei Monate postoperativ zeigte sich neben einem reizlosen Lokalbefund eine gute Beweglichkeit des linken Ellenbogens: Extension/Flexion 0–20–100°, bei einer eingeschränkten Pro- und Supination mit 30–0–30° (Abb. 3). Im Alltag kommt die Patientin als Linkshänderin bei der Körperpflege sowie bei der Zubereitung von Speisen und deren Verzehr gut zurecht. Bei Schmerzfreiheit im Ellenbogengelenk in Ruhe und in Bewegung werden zu diesem Zeitpunkt Analgetika nur noch selten bei Bedarf eingenommen. Zur Objektivierung wurden der Mayo elbow performance score (MEPS) (Tabelle 1) und der disabilities of arm, shoulder and hand (DASH) score erhoben.

Bei der Erhebung des DASH-Scores konnte eine Punktzahl von 53 ermittelt werden („0“ keine Einschränkung; „100“ hohe Einschränkung). Die Anwendung des DASH-Scores wird in der Literatur als sehr valide beschrieben [1, 11, 21]. Die im vorgestellten Fall hohe Punktzahl ist vorwiegend auf die maximale Belastbarkeit des distalen Humerusersatzes von 2 kg zurückzuführen.

Diskussion

Trotz immer besser werdenden Osteosynthesetechniken und suffizienter antibiotischer Therapie kann die komplexe distale Humerusfraktur einen komplizierten Verlauf nehmen. Insbesondere bei offenen Frakturen ist die Gefahr einer implantatassoziierten Infektion erhöht, welche letztlich in einer Infektpseudarthrose resultieren kann. Da von einer im Rahmen der Fraktur und deren Versorgung auszugehender exogenen Ursache des Infekts auszugehen ist, werden heutzutage implantatassoziierte Infekte nach Frakturversorgung abhängig vom zeitlichen Auftreten nach Frakturversorgung klassifiziert. Das Therapiekonzept soll sich entsprechend an der zeitlichen Einteilung der implantatassoziierten Infektionen orientieren [7, 9, 14]. Es wird zwischen einem Frühinfekt, einem verzögerten Infekt und einem Spätinfekt unterschieden. Der ursächliche Gedankengang hinter dieser Differenzierung liegt in der Bildung und weiteren Reifung eines Biofilms auf der Oberfläche des Implantats sowie die voranschreitende Gewebepenetration virulenter Keime. Hierbei wird das Auftreten eines Infekts innerhalb der ersten beiden Wochen nach Frakturversorgung als Frühinfektion definiert. Der Frühinfekt fällt klinisch häufig durch die klassischen Entzündungszeichen wie rubor, calor, dolor, tumor und functio laesa auf und wird von Wundheilungsstörungen und systemischen Entzündungszeichen wie Fieber und Abgeschlagenheit begleitet. Aufgrund des frühen Zeitpunkts des Implantatinfekts konnten die für die Infektion verantwortlichen Erreger keinen vollständigen Biofilm ausbilden, sodass bei der Therapie eines Frühinfekts der Versuch des Implantaterhalts im Vordergrund steht. Nach Entnahme von Gewebeproben zum Keimnachweis und Erstellung eines Antibiogramms für die später angeschlossene systemische Antibiose sollte zudem ein Debridement mit anschließender Lavage mit antiseptischer Lösung erfolgen, um die Keimlast zu senken. Die Einlage lokaler Antibiotikaträger bietet zudem die Möglichkeit, direkt am Infektionsort hohe Wirkstoffkonzentrationen über einen längeren Zeitraum zu erreichen [12]. Außer der Biofilmbildung spielt die Entwicklung einer Osteomyelitis bei implantatassoziierten Infekten eine Rolle. Aufgrund des frühen Zeitpunkts nach Osteosynthese ist die Wahrscheinlichkeit einer Osteomyelitis jedoch niedriger als bei verzögerten oder späten Implantatinfekten [14, 18].

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