Übersichtsarbeiten - OUP 04/2019

Therapieoptionen bei implantatassoziierter Infektion nach distaler Humerusfraktur
Ein Fallbeispiel und aktuelle Literaturübersicht

Bei einem verzögerten Implantatinfekt (2–10 Wochen postoperativ) werden häufig in den mikrobiologischen Untersuchungen weniger virulente Keime wie Staphylococcus epidermidis, Enterococcus faecalis und Enterococcus faecium nachgewiesen, wobei per se auch virulentere Keime verzögerte Infekte oder Spätinfekte verursachen können [9]. Auch bei den Keimen mit geringerer Virulenz können die bereits genannten klassischen Entzündungszeichen auftreten und von Wundheilungsstörungen sowie Fistelbildung begleitet werden. Bei der Therapie eines verzögerten Infekts sollte beachtet werden, dass je länger ein Implantatinfekt besteht, der auf dem Fremdmaterial entstandene Biofilm durch Reifung nicht nur zunehmend resistenter gegen systemische Antibiosen, sondern auch gegen die zelluläre und humorale körpereigene Abwehr wird. Es bedarf also der Abwägung und häufig einer Einzelfallentscheidung zwischen, je nach radiologischem Nachweis einer Konsolidierung, Erhalt (oder Wechsel) des Implantats und einer vorzeitigen Metallentfernung. Beim Wechsel eines Implantats sollte dann postoperativ zudem eine biofilmpenetrierende systemische Antibiose erfolgen. Im Falle von grampositiven Erregern ist Rifampicin als biofilmgängiges Antibiotikum geeignet. Eine Monotherapie sollte jedoch niemals wegen der Gefahr der Resistenzbildung erfolgen. Im selteneren Fall einer Infektion mit gramnegativen Erregern haben sich Fluorchinolone als biofilmpenetrierendes Antibiotikum bewährt [10, 22]. Aufgrund einer 2018 erfolgten Neubewertung schwerwiegender und potenziell dauerhaften Nebenwirkungen von Fluorchinolonen durch die europäische Arzneimittelagentur sollte jedoch eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Bewertung stattfinden. Insbesondere bei älteren Patienten ist auf Nebenwirkungen, die die Muskeln, Sehnen, Gelenke und das Nervensystem betreffen, zu achten. Von Spätinfekten wird bei Auftreten des Infekts nach mehr als 10 Wochen nach Frakturversorgung gesprochen. Meist sind die Symptome eher unscheinbar. Lokale Schwellung, Rötung, belastungsabhängige Schmerzen, aber auch Fistelbildung sind klinische Zeichen eines Spätinfekts. In den radiologischen Kontrollen fällt, wie im präsentierten Fallbeispiel, eine verzögerte und beeinträchtigte Frakturheilung auf, die in einer Infektpseudarthrose enden kann. In dem hier vorliegenden Fallbericht war der Versuch des Osteosyntheseerhalts 6 Monate nach initialer Versorgung erfolglos. Das akute Erscheinungsbild des Infekts hatte uns dazu veranlasst, überhaupt einen Implantaterhaltungsversuch durchzuführen. Die im Rahmen eines Spätinfekts auftretenden Charakteristika einer chronischen Osteomyelitis müssen wie letztlich im dargestellten Fall behandelt werden. Nach Ausbleiben des Therapieerfolgs bei Implantaterhaltungsversuch wurde entsprechend einer vollständigen oder partiellen Konsolidierung das Debridement mit antimikrobieller Spülung und Implantatentfernung durchgeführt. Bei unzureichender Konsolidierung war jedoch auch dieser Therapieversuch, der von einer nach mikrobiologischer Diagnostik, der bei Revision gewonnenen Biopsien, resistenzgerechten systemischen und lokalen antibiotischen Therapie begleitet wurde, erfolglos. Ein Debridement mit zusätzlicher Stabilisierung der Fragmente durch Fixateur externe brachte ebenfalls keinen Therapieerfolg. Die durch den chronischen Infekt entstehenden Osteomyelitis charakterisierenden Sequester, welche durch wiederholtes Debridement im vorliegenden Fall nicht vollständig entfernt werden konnten, bilden als avitales Gewebe ähnlich wie das Osteosynthesematerial als Fremdmaterial eine perfekte Grundlage zur Biofilmbildung für die infektverursachenden Erreger. Radikales Debridement der Sequester und des infizierten Weichteilgewebes, aber auch der Einsatz lokaler und systemischer Antibiotika sind daher für die erfolgreiche Therapie notwendig. Abhängig von dem Ausmaß des nekrotischen Gewebes muss eine systemische antibiotische Therapie langfristig bis zu 12 Wochen erfolgen [16]. Im vorliegenden Fall wurde die vollständige Entfernung des sequestrierten Knochens durch vollständige Resektion der Pseudarthrose erreicht. Es wurde sich für ein kurzes implantatfreies Intervall mit antibiotischer Therapie für 3 Wochen entschieden. Die vollständige Entfernung des infizierten Knochens rechtfertigt ein kurzes Intervall antibiotischer Therapie vor Prothesenimplantation bei guten Weichteilverhältnissen. Analog kann bei der knöchernen Rekonstruktion eines durch den Infekt resultierenden Defekts vorgegangen werden. Abhängig von der Größe des Defekts, der Nähe zum Gelenk, der noch möglich zu erhaltenden Gelenkfläche, der anatomischen Lokalisation und Komorbiditäten kommen hier rekonstruktive Verfahren wie die autologe Spongiosaplastik resp. Spaninterposition, das Masqueletverfahren und die Distraktionsosteogenese nach Ilizarov als Therapiealternativen in Frage.

Die im vorgestellten Fall 3 Monate postoperativ erhobenen Scores wie DASH und MEPS zeigen ein in Relation zur Verletzungsschwere und dem komplizierten postoperativen Verlauf gutes Ergebnis. Zu diskutieren bleibt, ob die primäre endoprothetische Versorgung eine geeignete Behandlungsalternative darstellt. Offene Frakturen (Typ II oder III nach Gustilo-Anderson) und infizierte Wundverhältnissen stellen für eine primäre Versorgung der Patientin mittels Endoprothese eine Kontraindikation dar. Inwiefern bei einem 2-zeitigen Vorgehen nach Konsolidierung der Weichteile mit der dafür nötigen Anlage eines Fixateurs externe die endoprothetische Versorgung Vorteile im Vergleich zur Plattenosteosynthese bietet, ist jedoch unklar. Studien, die sich auf ein 2-zeitiges Vorgehen fokussieren, fehlen bis heute. Allerdings konnte für die einzeitige primäre endoprothetische Versorgung nach distalen Humerustrümmerfrakturen eine geringere Komplikationsrate gegenüber der osteosynthetischen Versorgung bei gleicher, zufriedenstellender Funktion gezeigt werden [3].

Zusammenfassend stellen implantatassoziierte Infektionen für die Traumaversorgung eine der anspruchsvollsten Herausforderungen dar. Für die Patienten ist die Behandlung oft langwierig und mit zahlreichen Operationen sowie Krankenhausaufenthalten verbunden. Die Therapie sollte sich nach dem zeitlichen Auftreten nach Frakturversorgung richten, um ein optimales Therapieergebnis zu erzielen.

Interessenkonflikte:

Keine angegeben.

Literatur

1. Beaton D, Katz J, Fossel A, Wright J, Tarasuk V, Bombardier C: Measuring the whole or the parts? Journal of Hand Therapy 2001; 14: 128–42

2. Charissoux J-L, Vergnenegre G, Pelissier M, Fabre T, Mansat P: Epidemiology of distal humerus fractures in the elderly. Orthopaedics & traumatology, surgery & research : OTSR 2013; 99: 765–9

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