Übersichtsarbeiten - OUP 06/2017

Vertiefende Trochleaplastik – Indikation, Technik, Ergebnisse

Manfred Nelitz1

Zusammenfassung: Die vertiefende Trochleaplastik stellt ein Standardverfahren in der Behandlung der patellofemoralen Instabilität dar. Operationsziel ist die stabile Rezentrierung der Patella durch Normalisierung der Eingangsebene bei Vorliegen einer Trochleadysplasie. Die Indikation besteht bei nachgewiesener patellofemoraler Instabilität mit rezidivierenden Luxationen der Patella und Vorliegen einer hochgradigen Trochleadysplasie mit konvexer Eingangsebene. Die Trochleaplastik kann mit möglicherweise notwendigen Zusatzeingriffen wie der Rekonstruktion des medialen patellofemoralen Ligaments oder einer Medialisierung der Tuberositas tibiae kombiniert werden. Kontraindikationen sind offene Wachstumsfugen am distalen Femur sowie höhergradige Knorpelschäden an der Trochlea femoris. Mehrere Studien belegen den Erfolg der operativen Maßnahme mit guten klinischen Ergebnissen und hoher Patientenzufriedenheit.

Schlüsselwörter: Patellaluxation, patellofemorale Instabilität, Trochleadysplasie, Trochleaplastik, MPFL Rekonstruktion

Zitierweise
Nelitz M: Vertiefende Trochleaplastik. Indikation, Technik, Ergebnisse. OUP 2017; 6: 314–318 DOI 10.3238/oup.2017.0314–0318

Summary: Deepening trochleoplasty is a surgical procedure, which is able to reshape the dysplastic femoral trochlea in patients with patellofemoral instability. The procedure is of paramount importance, because trochlear dysplasia is the most important risk factor for patellofemoral instability. The ideal indication for trochleoplasty is documented patellofemoral instability and high-grade trochlear dysplasia. Contraindications are open distal femoral physis and degenerative changes of the patellofemoral joint. Deepening trochleoplasty can be combined with reconstruction of the MPFL and medialisation of the tibial tubercle, if necessary. Very encouraging results have been reported by different authors from the application of deepening trochleoplasty combined with other procedures such as MPFL reconstruction.

Keywords: patellofemoral instability, trochlear dysplasia, trochleoplasty, MPFL reconstruction

Citation
Nelitz M: Deepening Trochleoplasty. Indication, technique, results. OUP 2017; 6: 314–318 DOI 10.3238/oup.2017.0314–0318

Einleitung

Die Dysplasie der Trochlea femoris stellt den wichtigsten Risikofaktor für das Auftreten einer patellofemoralen Instabilität dar [7, 8, 12, 21, 25, 28]. Dejour et al. [8] zeigten, dass bei 96 % aller Patienten mit rezidivierenden Patellaluxationen eine Dysplasie der Trochlea femoris nachweisbar ist. In der frühen Kniebeugung tritt die Patella über die laterale Kondylenwange in die Trochlea ein. Da die Patella beim Übergang von Kniestreckung in Beugung in die Trochlea gleitet, ist im Wesentlichen die Dysplasie des proximalen Anteils der Trochlea verantwortlich für das Patella-Maltracking und die mögliche Luxation der Patella. Bei Vorliegen einer Trochleadysplasie ist die Trochlea insbesondere in der Eingangsebene abgeflacht oder in schweren Formen konvex. Dadurch erniedrigt sich oder fehlt die Steigung der lateralen Trochleafacette und damit der knöcherne Widerstand der lateralen Kondylenwange gegen eine laterale Luxation der Patella. Die mediolaterale Abflachung resultiert aus einer Erhöhung des Sulcus trochleae in Relation zur medialen und lateralen Facette. Diese Erhöhung lässt sich auf einer streng seitlichen Röntgenaufnahme, auf der beide posterioren Kondylen genau übereinander liegen, als „Crossing Sign“ erkennen [8]. Typischerweise findet sich bei der Trochleadysplasie zusätzlich eine Ventralisation der Trochlea im Verhältnis zur anterioren Kortikalis. Liegt eine schwere Trochleadysplasie vor, ist eine alleinige weichteilige Stabilisierung nicht erfolgversprechend [9, 11, 19, 22, 23]. Eine operative Korrektur der Trochleadysplasie als wesentlichen Risikofaktor stellt in diesen Fällen die kausale Therapie dar. Das Prinzip der vertiefenden Trochleaplastik geht zurück auf die Arbeiten zunächst von Masse, Dejour und Bereiter [3, 9, 15]. In der Literatur werden im Prinzip 2 unterschiedliche Techniken der vertiefenden Trochleaplastik beschrieben. Bei der von Dejour [8, 23] beschriebenen Technik wird durch eine Osteotomie mit Längsspaltung der Gelenkfläche ein dicker osteochondraler Flake in die vertiefte Rinne gesetzt (thick flap technique). In der initial von Bereiter [3] beschriebenen und unserer daran angelehnten Technik wird ein dünner, flexibler und biegbarer Flake in die vertiefte Rinne gelegt und mit einem Vicrylband fixiert (thin flap technique). Von verschiedenen Autoren sind mit beiden Techniken gute klinische Ergebnisse nach Trochleaplastik beschrieben [4, 6, 17, 18, 22, 24, 27, 29]. Zusätzlich liegt bei den meisten Patienten eine Insuffizienz des medialen patellofemoralen Ligaments (MPFL) vor. Da das MPFL in strecknaher Position den wichtigsten Gelenkstabilisator darstellt [1] und die Trochlea erst beim Übergang von Kniestreckung in Kniebeugung wesentlich zur Stabilisierung der Patella beiträgt, ist häufig eine alleinige Trochleaplastik zur Stabilisierung der Patella v.a. in strecknaher Position nicht ausreichend, weshalb wir die Trochleaplastik routinemäßig mit einer Rekonstruktion des MPFL verbinden.

Indikation

Die Indikation zur operativen Therapie wird bei nachgewiesenen rezidivierenden Patellaluxationen und Vorliegen einer Trochleadysplasie gesehen. In der Literatur finden sich keine einheitlichen Empfehlungen, bei welchen Schweregraden der Trochleadysplasie die Indikation zur Trochleaplastik gegeben ist. Verschiedene Autoren sehen die Indikation zur Trochleaplastik bei einer Trochleadysplasie Typ B und D nach Dejour [8]. Eine Studie von Lippacher et al. [13] fand jedoch eine eingeschränkte Reliabilität der Einteilung nach Dejour in 4 Typen. Eine verlässliche Unterscheidung war nur zwischen Low-grade-Dysplasie (Typ A nach Dejour) und High-grade-Dysplasie (Typ B-D nach Dejour) möglich. Deshalb sehen andere Autoren die Indikation zur Trochleaplastik bei Vorliegen einer schweren Trochleadysplasie mit konvexer Eingangsebene und proximalem Bump (High-grade-Dysplasie/Typ B-D nach Dejour) [6, 18, 19, 27]. Aufgrund der Ergebnisse ihrer biomechanischen Studie empfehlen Van Haver et al. [28], zwischen Trochleadysplasie mit und ohne supratrochlearem Sporn zu unterscheiden, da ein ausgeprägter Sporn den größten Einfluss auf die Biomechanik des Patellofemoralgelenks hat.

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