Übersichtsarbeiten - OUP 04/2022

Vordere Kreuzband-Revision

Besondere Aufmerksamkeit sollte dem zeitlichen postoperativen Verlauf nach primärer VKB-Rekonstruktion hinsichtlich Dauer und Intensität der physiotherapeutischen Nachbehandlung, Schmerzentwicklung, Bewegungseinschränkung, Schwellneigung, persistierende Instabilität und dem Zeitpunkt der sportlichen Vollbelastung gelten. So können schon Hinweise für die Ursache des Versagens der Primärversorgung gewonnen werden.

Klinische Untersuchung

Die klinische Untersuchungstechnik des betroffenen Gelenkes bei Verdacht auf VKB-Reruptur/Transplantatversagen deckt sich im Wesentlichen mit den beschriebenen standardisierten Untersuchungstechniken des Kniegelenkes. Inspektorisch sollten Gangbild, Beinachse, Schwellungszustand, Prellmarken, Hämatome, Narben im Bereich des Kniegelenkes beurteilt und dokumentiert werden. Die Erfassung des Bewegungsumfangs erfolgt im Seitenvergleich in der Neutral-Null Methode.

Bei der Bewegungsprüfung ist eine pathologische Überstreckbarkeit und/oder generalisierte Hyperlaxität des Bandapparates zu erfassen und zu dokumentieren, da diese mit einer erhöhten Versagensrate nach VKB-Rekonstruktion verbunden ist [66]. Die Palpation der peripheren Bandansätze und Sehnenansätze sowie des Gelenkspalts auf Schmerzhaftigkeit, gibt Hinweise auf akute Verletzungen dieser Strukturen.

Die gängigen Tests zur Überprüfung der Bandstabilität (Lachmann, Pivot-Shift, Seitenbänder, Schubladen-Test) sollten immer im Seitenvergleich durchgeführt werden und um spezielle Tests zur Evaluation der rotatorischen Instabilität ergänzt werden. Hier haben sich, neben dem Pivot-Shift-Test, der Schubladen-Test nach vorne in neutraler Rotation, Innen- und Außenrotation und der sog. Dial-Test im klinischen Alltag bewährt. Der Dial-Test sollte in verschiedenen Beugegraden (30°,60°,90°) entweder in Rückenlage des Patienten mit hängendem Unterschenkel oder in Bauchlage durchgeführt werden. In Rückenlage kann bei der Testung das anteromediale Tibiaplateau palpiert werden und so eine anteromediale Rotationsinstabilität besser erfasst werden als in Bauchlage. Diese wiederrum hat den Vorteil, dass sie das Ausmaß und die Seitendifferenz der Rotation besser darstellen kann.

Ergänzt werden kann die klinische Untersuchung mit einer instrumentellen Stabilitätsprüfung mithilfe eines KT 1000-Messapparates oder eines Rollimeters.

Bildgebende Diagnostik

Röntgen

Standard-Röntgenaufnahmen im Liegen in 2 Ebenen geben allenfalls Auskunft über die Knochenstruktur und einliegendes metallisches Material. Die Bohrkanallage und -weite kann initial beurteilt werden. Im Falle eines Versagens oder einer Reruptur nach VKB-Rekonstruktion ist es aber essentiell, das knöcherne Alignement in der coronaren und sagittalen Ebene komplett zu erfassen.

In einer Ganzbeinstandaufnahme muss eine signifikante Varus- oder Valgusdeformität ausgeschlossen werden. Häufig vorkommende degenerative Veränderungen i.S.v. radiologischen Arthrosezeichen können hier ebenfalls besser erkannt werden.

In der sagittalen Ebene muss der posteriore tibiale Slope bestimmt werden. Hier sind verschiedene Messmethoden in der Literatur beschrieben. Zur Messung des posterioren tibialen Slopes bedarf es einer exakt seitlich eingestellten Röntgenaufnahme des Kniegelenkes mit den proximalen zwei Drittel des Tibiaschaftes. Eine seitliche Aufnahme des kompletten Unterschenkels mit Sprunggelenk oder gar des gesamten Beines verbessert die Messgenauigkeit des posterioren tibialen Slopes nicht [13].

Im klinischen Alltag hat sich die Messmethode nach Dejour und Bonnin bewährt [11]. Hierfür werden 5 cm und 15 cm distal der Gelenkfläche die Mittelpunkte zwischen der anterioren- und posterioren Kortikalis bestimmt. Eine rechtwinklige Linie zu der Verbindunglinie wird eingezeichnet. Der Winkel zwischen dieser Linie und der Tangente zur tibialen Gelenkfläche ergibt den posterioren tibialen Slope. Hier ist zu beachten, dass die Gelenkfläche des medialen Tibiaplateaus i.d.R. im seitlichen Röntgenbild imponiert und daher zur Messung benutzt wird (Abb. 3, 4).

MRT

Eine MRT-Untersuchung sollte bei klinischem Verdacht auf Transplantatversagen/Reruptur regelhaft erfolgen, um zum einen die Transplantatkontinuität und zum andern signifikante Begleitschäden an den Menisken, Knorpel und Ligamenten zu erfassen. Eine Beurteilung der Bohrkanallage, -weite und des verwendeten Fixationsmaterials, sowie des Transplantates ist ebenfalls möglich. Bei Infektverdacht ist ein zusätzliches Kontrastmittel-MRT sinnvoll. Es ist darauf hinzuweisen, dass ein im MRT durchgängig darstellbares VKB-Transplantat eine signifikante Instabilität nicht ausschließt.

CT

Die exakte Messung der Bohrkanalweite und -lage ist im CT (im Idealfall mit 3D-Rekonstruktion) möglich [14]. Die Messung der Bohrkanalweite erfolgt in allen 3 Ebenen auf jeweils verschiedenen Höhen. Eine 3D-Rekonstruktion ist besonders hilfreich, um die femorale Bohrkanallage genau zu erfassen.

Laborchemische Diagnostik

Ergibt sich anhand der Anamnese, der klinischen- und/oder bildgebenden Diagnostik der Verdacht auf ein infektiöses Geschehen, sollte eine laborchemische Bestimmung der Infektionsparameter BB, CRP und BSG erfolgen [16].

Therapie

Eine Transplantat-Reruptur oder ein Transplantatversagen bedarf nicht zwingend ein operatives Vorgehen. Patienten mit fortgeschrittenen uni-, bi – oder trikompartimenteller Arthrose, niedrigem funktionellen Anspruch, deutlich erhöhtem BMI, fehlender Instabilitätssymptomatik und mangelnder Compliance profitieren i.d.R. nicht von einer operativen Therapie [17].

Die konservative Therapie orientiert sich an den Therapieempfehlungen (3-Phasen Rehabilitation) für die Erstverletzung [91]. Die Möglichkeit einer dauerhaften Orthesen- ersorgung sollte bedacht werden.

Ist die OP-Indikation gegeben, ist anhand der Ergebnisse von Anamneseerhebung, klinischer und bildgebender Diagnostik die Entscheidung zu fällen, ob die Stabilität und Funktionalität des Kniegelenkes mit nur einem operativen Eingriff (einzeitiges Vorgehen) wiederhergestellt werden kann oder mehrere zeitlich versetzte operative Schritte notwendig sind (zweizeitiges Vorgehen). Da diese Entscheidung für die betroffenen Patienten eine extreme Auswirkung auf die beruflichen sowie sportlichen Ausfallszeiten, die jeweilige Rehabilitationsdauer und die perioperativen Risiken hat, ist hier eine besondere Sorgfaltspflicht des behandelnden Arztes angezeigt.

Die wichtigsten Punkte, welche diese Entscheidung zugunsten eines mehrzeitigen Vorgehens beeinflussen, sind:

Infektverdacht

signifikantes knöchernes Malalignement

Bohrkanalweite und -lage welche eine Bohrkanalauffüllung generieren

Die operative Therapie sollte folgende Punkte beinhalten:

Infekt-Ausschluss

strukturiertes Bohrkanalmanagement

Korrektur des knöchernen Malalignements

Adressieren der Begleitschäden

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