Übersichtsarbeiten - OUP 04/2022

Vordere Kreuzband-Revision

passende Transplantatwahl

Infektausschluss

Besteht ein Infektverdacht, ist das einzeitige Vorgehen obsolet. Deuten Anamnese, klinische- und bildgebende Befunde auf ein infektiöses Geschehen hin, muss die Punktion des Gelenkes mit Synoviaanalyse und mikrobiologischer Diagnostik erfolgen. Schwierig zu diagnostizieren ist die Kontamination von verbliebenen Sehnentransplantatresten. Hier bedarf es ggf. einer diagnostischen und therapeutischen Arthroskopie mit Debridement und Entnahme von Gewebeproben zur histologischen und mikrobiologischen Untersuchung sowie der anschließenden standardisierten chirurgischen und medikamentösen Therapie [18, 19].

Bohrkanalmanagement

Die Fehlpositionierung der Bohrkanäle im Rahmen der Primäroperation ist einer der Hauptgründe für das Versagen der VKB-Rekonstruktion. Insbesondere ist eine anteriore Fehlposition des femoralen Tunnels mit hoher Versagensrate assoziiert [48, 49]. Daher bedarf die Analyse der Bohrkanäle besonderer Aufmerksamkeit [46]. Anhand der oben beschriebenen Diagnostik sollten die Bohrkanäle hinsichtlich folgender Punkte analysiert werden:

Lage

Weite

Integrität

Interferenz

Die Lage der Bohrkanäle kann anhand des CTs mit 3D-Rekonstruktion femoral und tibial in anatomisch, partiell anatomisch und extraanatomisch eingeteilt werden [48]. Am unproblematischsten sind extraanatomische femorale Bohrkanäle, da diese eine neue Bohrkanalanlage in anatomischer Position nicht behindern. Eine partiell anatomische Bohrkanallage stellt sowohl femoral als auch tibial die größte Herausforderung dar, da hier eine Konfluenz mit den neuen anatomisch platzierten Kanälen nicht zu vermeiden ist und so eine stabile gelenknahe Fixation des Transplantates nicht möglich ist. Bei gesicherter anatomischer Bohrkanallage ist die Weite der Kanäle ausschlaggebend, ob ein einzeitiges Vorgehen möglich ist. Die Bohrkanalweite und -form sollten im CT jeweils in der coronaren-, sagittalen- und transversalen Ebene gemessen werden. Die Messung erfolgt in verschiedenen Schnitthöhen. Entscheidend für die Therapieplanung ist der größte gemessene Durchmesser. Zu unterscheiden sind zylindrische von zystischen Erweiterungen (Abb. 1, 2). In der Literatur werden Werte zwischen 12 und 15 mm oder Erweiterungen von 150 % beschrieben, ab denen eine Bohrkanalauffüllung erfolgen sollte [50–55]. Eine Evidenz für diese Empfehlung existiert allerding nicht [56].

Der Integrität der knöchernen Tunnelwand sollte besondere Beachtung geschenkt werden. Eine posteriore oder proximale Schädigung der Tunnelwand des femoralen Tunnels (Blowout) oder eine Schädigung der anterioren Tunnelwand tibial, bedingt durch eine Fehlbohrung während der Primär-OP, stellen im Revisonsfall eine Herausforderung dar, da sie eine anatomische Tunnelpositionierung und sichere Transplantatfixation erschwert. Ist eine exakte Beurteilung der Tunnelwandintegrität im CT nicht möglich, muss die definitive Beurteilung in der OP mit arthroskopischem Debridement und „Tunneloskopie“ erfolgen.

Die Lage von einliegendem, insbes. metallischem Fixationsmaterial muss dahingehend bestimmt werden, ob dieses mit einem neuen anatomischen Bohrkanal interferieren könnte und ggf. entfernt werden muss. Das Ergebnis der Analyse der Bohrkanallage und -weite, Integrität und Interferenz erlaubt in nahezu allen Fällen eine präoperative Aussage, ob ein einzeitiges Vorgehen möglich ist oder ob ein zweizeitiges Vorgehen mit Bohrkanalauffüllung notwendig ist.

Zu diskutieren ist immer der Parameter „Bohrkanalweite“. Hier kann ein Cut off-Wert weder anhand der Literaturdaten noch anhand der eigenen klinischen Erfahrungen definiert werden. Der gemessene Wert sollte immer auch in Relation zur Kniegröße des Patienten betrachtet werden. So ist bspw. eine tibiale Bohrkanalweite von 10 mm bei einer 164 cm großen und 56 kg schweren Patientin anders zu interpretieren, als bei einem 190 cm großen und 100 kg schweren Patienten. Dementsprechend ist der „kritische“ Wert, ab dem eine Auffüllung erfolgen sollte, anhand der Parameter Kniegröße, evtl. notweniger Osteotomie und geplantem Revisionstransplantat individuell festzulegen.

Da eine exakte anatomische Bohrkanallage mit einer stabilen Transplantatfixation auch im Revisionsfall immer das Ziel sein muss, ist im Zweifelsfall das zweizeitige Vorgehen mit zunächst einer Bohrkanalauffüllung der sichere Weg, um diese Ziele zu erreichen. Diese Entscheidung ist gemeinsam mit dem Patienten gegen das perioperative Risiko zweier Eingriffe abzuwägen.

Indikationen zur Bohrkanalauffüllung sind typischer Weise:

anatomischer Bohrkanal mit Erweiterung über den kritischen Wert hinaus

partiell anatomischer Bohrkanal, der mit dem im Revisionsfall anzulegenden anatomischen Kanal konfluiert und so eine stabile Fixation unmöglich macht

einliegendes Fixationsmaterial, welches aufwendig entfernt werden muss und so zu einer Erweiterung über den kritischen Wert führt.

Bohrkanalauffüllung

Ist eine Bohrkanalauffüllung notwendig, kann diese mit autogenem Knochen aus dem Beckenkamm, dem distalen Femur, der proximaler Tibia oder femoraler Aspirationsspongiosa [57–59, 64], Allograft [60–62] oder synthetischem Knochenersatzmaterial [63] erfolgen. Es besteht derzeit keine Evidenz für die Überlegenheit eines Füllungsmaterials gegenüber den anderen [65].

Im Rahmen des zweizeitigen Vorgehens wird die Dauer des Intervalls zwischen Bohrkanalauffüllung und erneuter VKB-Rekonstruktion mit mindestens 4–6 Monaten angegeben. Dies hat sich auch im klinischen Alltag bewährt [91]. Unter Berücksichtigung der Parameter Verfügbarkeit, Komorbidität, Komplikationsrate, Osteoinduktivität und -konduktivität, Einheilungszeit und OP-Zeit ist die vom Autor präferierte Methode die arthroskopische Auffüllung mit Allograftzylindern (Abb. 8–10). Eine eigene vergleichende radiologische Auswertung anhand von CT-Schnitten konnte 4 Monate nach Auffüllung mit Allograft-Knochen eine höhere Dichte als bei Autograft (Beckenkamm) zeigen. Resorptionen wurden keine beobachtet bei signifikant kürzerer OP-Zeit in der Allograftgruppe (Abb. 11) [93].

Korrektur des knöchernen
Malalignements

Die Korrektur des knöchernen Malalignements ist ein zentraler Pfeiler der Therapie von Patienten mit persistierender Instabilität des Kniegelenkes und muss in die Therapieplanung der VKB-Reruptur oder Transplantatversagen einbezogen werden. In der coronaren Ebene erhöht eine knöcherne varus- oder valgus-Deformität das Risiko für ein erneutes Transplantatversagen, eine persistierende Instabilität, Meniskus- und Knorpelschäden und somit für die Entwicklung einer Arthrose.

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