Übersichtsarbeiten - OUP 04/2022

Vordere Kreuzband-Revision

Es ist unumstritten, dass im Rahmen des VKB-Verletzungsmechanismus der dynamische Valgus eine große Rolle spielt [34–36]. Mehl et al. konnten in einer biomechanischen Studie aber auch zeigen, dass bei axialer Lasteinwirkung eine knöcherne Valgusdeformität zu einer signifikanten Erhöhung der Last auf ein VKB-Transplantat führt. Eine zusätzliche Verstärkung erfährt die Transplantatlast durch eine Insuffizienz der posteromedialen Stabilisatoren (Abb. 12) [37]. Demensprechend muss auch in der VKB-Revisionschirurgie ein Valgusalignement von mehr als 3° beachtet werden und die operative Korrektur des knöchernen Valgus insbes. für Patienten mit kombinierter anteriorer- und posteromedialer Instabilität erwogen werden.

Ein Varusalignement von 3° führt zu einer Verschiebung der Lastachse nach medial und erhöht so die Last nicht nur auf den medialen Knorpel und Meniskus, sondern auch auf das rekonstruierte vordere Kreuzband und ist somit als ein signifikanter Risikofaktor im Rahmen der Versagensanalyse zu betrachten [38, 39]. Patienten mit VKB-insuffizientem Knie und Varusalignement profitieren mittel- und langfristig von einer valgisierenden Osteotomie [40–42].

Aufgrund dieser Daten ist die Indikation zur valgisierneden Osteotomie, insbes. bei zusätzlicher Insuffizienz der posterolateralen Stabilisatoren mit daraus resultierendem, dynamischen Doppel-Varus und bei schon bestehenden Schädigungen der Menisken und/oder unikompartimentellen Knorpelschäden großzügig zu stellen [43].

Nach Analyse der knöchernen Deformität durch Messen der Gelenkwinkel, kann in den meisten Fällen die Korrektur des knöchernen Malalignements durch ein Kniegelenk nahe Osteotomie, ggf. bifokal erfolgen. Besondere Aufmerksamkeit hat in den letzten Jahren die Rolle des knöchernen Alignements in der sagittalen Ebene erfahren. Ein linearer Zusammenhang zwischen zunehmendem posterioren tibialen Slope und der Last auf das VKB-Transplantat ist nachgewiesen [27, 44].

Im klinischen Alltag zeigt sich dies in einem signifikanten Zusammenhang zwischen erhöhtem posterioren tibialen Slope und dem Risiko eines Transplantatversagens nach VKB-Rekonstruktion [27–32]. Im Rahmen des therapeutischen Vorgehens zur VKB-Revision ist eine Korrektur des sagittalen Malalignements ab einem posterioren tibialen Slope von 12° durch bspw. eine infratuberositäre Osteotomie zu diskutieren (Abb. 5–7) [31, 32, 45].

Begleitpathologien

Das Erfassen und Adressieren von Begleitschäden hat in der VKB-Revisionschirurgie einen hohen Stellenwert. In ca. 15 % der Primärrekonstruktionen führen nicht adressierte Schäden an Menisken oder peripheren Ligamenten zu einem Versagen des Transplantates [67]. Übersehene oder auch im Rahmen eines erneuten Traumas aufgetretene Schäden der medialen oder posterolateralen Stabilisatoren verstärken die Transplantatlast und das Risiko eines Versagens [68–70].

Das Adressieren dieser Begleitschäden mit entsprechenden Bandplastiken erhöht die Komplexität des Eingriffes und hat Auswirkungen auf die Transplantatwahl für die VKB-Rekonstruktion, die Fixationsmethode und auf das Bohrkanalmanagement. Therapiebedürftige Knorpelschäden im patellofemoral- und femortibialen Geelenkkompartiment treten im Rahmen von VKB-Revisionen häufiger als bei primären VKB-Rekonstruktionen auf [71].

Die operative Therapie der Knorpelschäden sollte abhängig von der Lokalisation, Defektgröße und ICRS-Klassifikation mittels Knorpel regenerativen Techniken erfolgen. Die Integrität und Funktionalität der Menisken ist im Rahmen von VKB-Revisionen dringend zu beachten und ggf. zu rekonstruieren. Es ist bekannt, dass der mediale und laterale Meniskus als sekundärer Stabilisator für die anteriore und rotatorische Stabilität wirkt und der Funktionsverlust das Risiko für ein Transplantatversagen erhöht [72, 73, 78]. Dies gilt insbesondere für Wurzelläsionen und Rampenläsionen [74–77]. Dementsprechend ist die Rekonstruktion der Meniskusfunktion im Rahmen von VKB-Revisionsoperationen ein wichtiger Bestandteil, um eine ausreichende Funktionalität und Stabilität des Kniegelenkes zu erreichen. Meniskusfunktionsverlust ist auch ein klarer Risikofaktor für verlängerte Ausfallszeiten und früheres Karriereende bei Leistungssportlern anzusehen. Daher sollte in diesem Patientengut ein besonderes Augenmerk auf die Mensikusrekonstruktion gelegt werden [79].

Patienten mit einer Segond-Fraktur mit einer ausgeprägten rotatorischen Instabilitätskomponente, welche sich in typischer Weise in giving way-Symptomatik und hoch positivem Pivot shift-Test äußert, profitieren in der Primärsituation nachweislich von einer lateralen extraartikulären Tenodese (LET), im Sinne einer Rekonstruktion des anterolateralen Ligamentes (ALL) [80–82]. Basierend auf dieser Evidenz sollte auch im Revisionsfall in solchen Fällen eine additive LET erwogen werden [83, 84].

Transplantatwahl

Die Wahl des Transplantates für die VKB-Rekonstruktion im Revisionsfall wird von vielen Faktoren beeinflusst. In erster Linie von der Verfügbarkeit möglicher Sehnentransplantate, aber auch von der Komorbidität der Transplantatentnahme, Bohrkanalweite, von der Erfahrung des Operateurs und auch vom Wunsch des Patienten.

Sofern es möglich ist, sollten autologe Transplantate verwendet werden, da Allograftsehnentransplantate schlechtere Ergebnisse hinsichtlich Transplantatversagen, klinischen Scores und Kniestabilität zeigen [84–88]. Transplantate mit Knochenblock können eine stabile knöcherne Fixation begünstigen.

Eine Evidenz, die die Überlegenheit eines autogenen Transplantates gegenüber den anderen zeigt, ergibt sich aus der aktuellen Literatur nicht [89, 90].

Zusammenfassung

Das therapeutische Vorgehen bei VKB-Revision bedarf neben der Versagensanalyse durch die ausführliche Diagnostik einen strukturierten Therapieplan, um das Ziel der Revision mit schmerzfreier stabiler Gelenkfunktion mit voller Belastungsfähigkeit im Alltag, Beruf und Sport sowie der Verlangsamung der Arthroseprogression zu erreichen. Kernpunkte in der Therapie sind das Bohrkanalmanagement, das Korrigieren des knöchernen Malalignements und aller Begleitpathologien. In einigen Fällen ist aufgrund der Ergebnisse der präoperativen Diagnostik, ein zweizeitiges Vorgehen oder zumindest eine Kombination aus mehreren operativen Prozeduren notwendig.

Interessenskonflikte:
keine angegeben.

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Christian Eberle

ARCUS Kliniken

Rastatter Str. 17–19

75179 Pforzheim

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