Übersichtsarbeiten - OUP 04/2023

Welche Vorteile bietet der Schenkelhals-teilerhaltende Kurzschaft in der Hüftendoprothetik?

Wesentliches Ziel dieser minimal-invasiven Techniken ist die Schonung der Glutealmuskulatur. Gelingt dies nicht, kann es zu einem einseitigen Absinken des Beckens, Gangstörungen und belastungsabhängigen Muskelschmerzen kommen [43]. Liegen ausgeprägte Schäden nach der Operation vor, kann es sogar zu einem Ausrenken der Hüftendoprothese kommen. Gelegentlich bieten wir in Fällen mit deutlichen Beschwerden zur Verbesserung der muskulären Situation einen Gluteus-maximus-Transfer an. Dies kann in solchen Fällen zu einer Verbesserung der Symptomatik führen [28, 43, 44].

Im Gegensatz zu konventionellen Schaftprothesen, bei denen der Schaft von weit dorsolateral eingebracht wird, erfolgt die Schaftpositionierung des abgerundeten Kurzschaftes entlang des Kalkars. Das Aufraspeln und Einschlagen der Impaktoren sowie des Implantates erfolgt „around the corner“ entlang der medialen Schenkelhals-Kalkar-Kurvatur (Abb. 3c). Daher erlaubt diese Implantationstechnik, egal welcher Zugang bevorzugt wird, eine vollständige Schonung der Trochanterregion mit den hier ansetzenden Muskeln. Im Vergleich zur herkömmlichen Operationstechnik wird somit der M. gluteus medius, der wichtigste Stabilisator der Hüfte, vollständig geschont. Somit erlauben kalkar-geführten Kurzschäfte eine wesentliche Vereinfachung bei der Anwendung muskelschonender, minimal-invasiver OP-Techniken.

In Deutschland haben sich beim Einsatz einer Hüftprothese v.a. der ALMIS-Zugang (Antero Lateral Minimal Invasive Surgery) in Rücken- oder Seitenlage und der AMIS-Zugang (Anterior Minimal Invasive Surgery) als minimal-invasive Zugänge etabliert. Der ALMIS-Zugang nutzt die natürliche Muskellücke zwischen dem Musculus gluteus medius und dem Musculus tensor fasciae latae, wohingegen beim AMIS-Zugang die Muskelbäuche des M. tenso fascia latae und M. rectur femoris über dem Hüftgelenk zur Seite geschoben werden, ohne sie zu durchtrennen oder abzulösen. Wir bevorzugen den ALMIS-Zugang mit einem kurzen Hautschnitt von vorne seitlich, wobei der Hautschnitt zu zwei Drittel oberhalb und einem Drittel unterhalb der Trochanterspitze verläuft (Abb. 3a, b). Wesentlicher Vorteil dieser Technik ist die Möglichkeit einer schonenden chirurgische Luxation. Die Luxation erfolgt dabei nach der Kapselresektion unter Traktion, Adduktion und Außenrotation unter Zuhilfenahme eines Luxationslöffels. Dies erlaubt die Darstellung der Fossa piriformis als konstante und wesentliche Landmarke für die so wichtige, präzise Schenkelhalsresektion (Abb. 1a, b). So kann die geplante Resektionsebene, im Gegensatz zur in-situ-Resektion des Schenkelhalses, vglw. sicher gefunden werden. Auch der AMIS-Zugang ermöglicht ein muskelschonendes Vorgehen. Allerdings ist zu erwähnen, dass der AMIS-Zugang in einer Studie mit über 6000 Patientinnen und Patienten eine im Vergleich zu anderen Zugängen signifikante, doppelt erhöhte Infektrate aufweist [1]. Eine Metaanalyse belegte für den AMIS-Zugang nur bei Patientinnen und Patienten mit einem BMI ? 35 eine signifikant höhere Infektrate [33]. Eine andere Metaanalyse konnte diese Ergebnisse nicht nachweisen [37]. Somit ist die Frage des Risikos einer periprothetischen Infektion kontrovers zu sehen. Beide minimal-invasiven Zugangswege haben letztlich ihren Stellenwert. Wesentlich ist, dass kalkar-geführte Kurzschäfte minimal-invasive, muskelschonende Implantationstechniken erleichtern.

Fazit

Zusammenfassend ermöglichen Schenkelhals-teilerhaltenden Kurzschäfte eine individuelle Rekonstruktion der Gelenkgeometrie. Unserer Erfahrung nach gelingt dies auch bei schwierigen anatomischen Situationen wie bspw. bei schweren Dysplasien, angeborenen oder posttraumatischen Deformitäten etc. Die individuelle Rekonstruktion der Gelenkgeometrie ermöglicht eine uneingeschränkte Funktion der gesamten hüftführenden Muskulatur. Dies ermöglicht eine rasche, schmerzarme Rehabilitation und überzeugende Langzeitergebnisse mit einer uneingeschränkten Funktion auch im sportlichen Alltag [20, 22, 39, 40]. Die versetzte Verkeilung in allen 3 Ebenen erlaubt eine hohen Primärstabilität und eine physiologische proximale Krafteinleitung. Dies vermeidet den ansonsten bei konventionellen Schäften zu beobachtenden Knochenabbau im oberen Femur. Insbesondere die Langzeitergebnisse, wonach die klinischen und radiologischen Outcome-Ergebnisse im Follow-up von über 10 Jahren sowie die Knochendichtewerte nach über 5 Jahren noch keinerlei Anzeichen eines Versagens der endoprothetischen Versorgung anzeigen, sind vielversprechend. Ähnliche Ergebnisse sind bei der Verwendung von Standardschäften nicht zu finden. Voraussichtlich vermeidet der proximal verankerte Kurzschaft typische Langzeitprobleme konventioneller Schaftprothesen in einem erheblichen Ausmaß.

Interessenkonflikte:

L.V. von Engelhardt: Aufwandsentschädigungen für Vorträge und Einsätze als Instruktor bei Operationskursen von der Firma Corin.

J. Jerosch: Beraterhonorare von den Firmen Corin und Implantcast; Aufwandsentschädigungen für Vorträge und Einsätze als Instruktor von der Firma Corin.

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Lars Victor

Baron von Engelhardt

Landesklinikum Horn

Spitalgasse 10

A-3580 Horn

Österreich

larsvictor@hotmail.de

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