Arzt und Recht - OUP 07-08/2012

Zweigpraxis und Konkurrenzschutz

Rechtsanwalt Dr. C. Osmialowski, Karlsruhe

Einleitung

Die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung erfolgt für den Ort der Niederlassung (Vertragsarztsitz). § 24 der Zulassungsverordnung-Ärzte (Ärzte-ZV) schreibt vor, dass der Vertragsarzt dort seine Sprechstunde halten muss. Jedoch räumt Abs. 3 dieser Regelung auch die Möglichkeit ein, außerhalb des Vertragsarztsitzes an weiteren Orten vertragsärztlich tätig zu werden („Zweigpraxis“).

Durch das zum 1.1.2012 in Kraft getretene GKV-Versorgungsstrukturgesetz wurden die Möglichkeiten erleichtert, in einer Zweigpraxis vertragsärztlich tätig zu werden. Bisher war eine Zweigpraxisgenehmigung von der Kassenärztlichen Vereinigung nur dann zu erlangen, wenn die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Vertragsarztsitz gar nicht beeinträchtigt wurde. Durch einen Zusatz in § 24 Abs. 3 Ziffer 2 Ärzte-ZV ist nun klargestellt worden, dass geringfügige Beeinträchtigungen für die Versorgung am Ort des Vertragsarztsitzes unbeachtlich sind, wenn sie durch die Verbesserung der Versorgung am Ort der Zweigpraxis aufgewogen werden. Darüber hinaus wurde klargestellt, dass die in der Zweigpraxis angebotenen Leistungen nicht auch in ähnlicher Weise am Hauptsitz der Praxis angeboten werden müssen und nicht sämtliche Fachgebiete der in der Zweigpraxis tätigen Ärzte auch am Hauptsitz der Vertragsarztpraxis vertreten sein müssen.

Diese Änderungen lassen erwarten, dass vermehrt Zweigpraxen gegründet werden. Vor diesem Hintergrund ist von besonderer Bedeutung, wie die Konkurrenz von Vertragsärzten und Zweigpraxen rechtlich zu lösen ist. Unter dem Aspekt des Drittschutzes könnten 2 Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) besondere Bedeutung (wieder)erlangen, die im Folgenden dargestellt werden1:

BSG-Urteil vom 28.10.2009 Abwehr von Konkurrenten

In seinem Urteil vom 28.10.2009 stellte das BSG klar, dass Vertragsärzte nicht berechtigt sind, die einem anderen Vertragsarzt erteilte Genehmigung zum Betrieb einer Zweigpraxis an einem anderen Standort anzufechten.

Zum Sachverhalt

Die Klägerin ist eine Gemeinschaftspraxis, in der 2 Fachärzte für Orthopädie und ein Arzt für rehabilitative Medizin in R. (Planungsbereich R.) vertragsärztlich tätig sind. Der Planungsbereich ist wegen Überversorgung für Fachärzte für Orthopädie gesperrt. Die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KV) erteilte den beigeladenen Orthopäden in Berufsausübungsgemeinschaft (Praxissitz in S.) antragsgemäß die Genehmigung zum Betrieb einer Zweigpraxis in R. Widerspruch, Klage und Berufung der Klägerin gegen diese Bescheide blieben erfolglos.

Das Landessozialgericht hat im Berufungsurteil ausgeführt, die Klägerin sei nicht berechtigt, im Wege der defensiven Konkurrentenklage die Zweigpraxisgenehmigungen anzufechten, da die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung für das Vorliegen einer Anfechtungsberechtigung aufgestellten Voraussetzungen nicht erfüllt seien.

Mit ihrer Revision rügte die Klägerin die Verletzung von Bundesrecht. Ihre Anfechtungsberechtigung ergebe sich unmittelbar aus § 24 Abs. 3 der Ärzte-ZV, da dieser Regelung ein Gebot der Rücksichtnahme auf die Interessen der am Ort zugelassenen Ärzte zu entnehmen sei.

Aus den Gründen

Die Revision der Klägerin ist nach Auffassung des BSG nicht begründet. Sie sei nicht berechtigt, die den Beigeladenen erteilten Zweigpraxisgenehmigungen anzufechten. Eine derartige Anfechtungsberechtigung stehe Vertragsärzten, die ihre Praxis an dem Ort oder in dem räumlichen Umfeld betreiben, in dem die anderen Ärzte ihre Zweigpraxis eröffnen wollen, nicht zu.

Voraussetzung einer Anfechtungsberechtigung

Eine Anfechtungsberechtigung eines Vertragsarztes bestehe nur dann, wenn

1. der Kläger und der Konkurrent im selben räumlichen Bereich die gleichen Leistungen anbieten und

2. dem Konkurrenten die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung eröffnet oder erweitert wird und nicht nur ein weiterer Leistungsbereich genehmigt wird, sowie

3. der dem Konkurrenten eingeräumte Status gegenüber demjenigen des Anfechtenden nachrangig ist. Letzteres ist der Fall, wenn die Einräumung des Status an den Konkurrenten vom Vorliegen eines Versorgungsbedarfs abhängt, der von den bereits zugelassenen Ärzten nicht abgedeckt wird.

Das BVerfG (BVerfG, Beschluss vom 23.4.2009 – 1 BvR 3405/08 – GesR 2009, 376) habe hieran anknüpfend ausgeführt, dass eine Verwerfung der Konkurrenzverhältnisse dann in Frage steht, wenn den bereits zum Markt zugelassenen Leistungserbringern ein gesetzlicher Vorrang gegenüber den auf den Markt drängenden Konkurrenten eingeräumt ist.

Erfüllung der Voraussetzungen

Gleiche Leistungen im selben räumlichen Bereich (1.)

Von den genannten Voraussetzungen erfüllt sei diejenige, dass die Klägerin und die mit ihr konkurrierenden Beigeladenen im selben räumlichen Bereich die gleichen Leistungen anbieten. Für die Anfechtungsberechtigung müsse ein faktisches Konkurrenzverhältnis vorliegen, durch das plausibel wird, dass der bereits zugelassene Arzt eine nicht nur geringfügige Schmälerung seiner Erwerbsmöglichkeiten zu befürchten hat. Dementsprechend bedürfe es der Überprüfung und Feststellung, dass es in den Leistungsspektren und Einzugsbereichen vom anfechtenden und begünstigten Arzt ins Gewicht fallende Überschneidungen gibt.

Im Regelfall sei zunächst die Darlegung des anfechtenden Arztes erforderlich, welche Leistungen er anbietet und wie viele Patienten und welcher prozentuale Anteil seiner Patienten aus dem Einzugsbereich des dem Konkurrenten zugedachten Praxissitzes kommen. Habe er dies substantiiert vorgetragen, so obliege es der zur Entscheidung berufenen Behörde, ihrerseits tätig zu werden und die erforderlichen weiteren Informationen über das (voraussichtliche) Leistungsspektrum und den (voraussichtlichen) Patientenkreis des Konkurrenten zu erheben. Näherer Darlegungen und Feststellungen zu den Leistungsspektren vom anfechtenden und konkurrierenden Arzt bedürfe es indessen dann nicht, wenn das Vorliegen ins Gewicht fallender Überschneidungen ohne Weiteres auf der Hand liegt. Dies sei etwa dann der Fall, wenn die Praxen der beiden Ärzte in derselben Stadt gelegen sind – jedenfalls soweit es sich nicht um eine so weitläufige handelt, wie es sehr große Städte sein können – und wenn beide Ärzte in einem eng umgrenzten Fachgebiet tätig sind. In solchen Fällen eines eng umgrenzten Tätigkeitsbereichs seien im Regelfall sowohl nähere Darlegungen des Drittanfechtenden als auch weitere Ermittlungen der zur Entscheidung berufenen Behörde zur Frage gleicher Leistungsspektren der Konkurrenten entbehrlich.

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