Arzt und Recht - OUP 07-08/2012

Zweigpraxis und Konkurrenzschutz

Nach der Rechtsprechung des Senats kommt es entscheidend darauf an, ob das in Rede stehende Recht mit einer Statusgewährung verbunden ist, der im Sinne der Stufentheorie des BVerfG besondere Grundrechtsrelevanz zukommt. Eine Zweigpraxisgenehmigung führe jedoch nicht zu einer Statusgewährung in diesem Sinne, denn die eigentliche Statusgewährung wird durch die Zulassung vermittelt. Die Zweigpraxisgenehmigung sei akzessorisch und untrennbar mit dem Zulassungsstatus verbunden und entfalle mit dem Ende der Zulassung.

Die üblicherweise mit einer Übertragung von Kompetenzen auf die Zulassungsgremien verbundenen Gesichtspunkte seien im Falle einer Zweigpraxisgenehmigung nicht gegeben. Den von Zulassungsgremien zu treffenden Entscheidungen sei gemeinsam, dass sie statusbegründenden bzw. -beendenden Charakter hätten und dass durch sie der Kreis der an der vertragsärztlichen Versorgung beteiligten Personen und Institutionen sowie die Ausübungsformen der vertragsärztlichen Tätigkeit festgelegt würden. Diese Gesichtspunkte träfen für die Genehmigung zur Abhaltung von Sprechstunden außerhalb des Praxissitzes nicht zu, weil dadurch der Kreis der Vertragsärzte nicht erweitert und der Status des Vertragsarztes nicht berührt werde. Dies gilt auch für Zweigpraxisgenehmigungen nach neuem Recht, die im Regelfall – wenn Stammsitz und Zweigpraxis im Bezirk derselben KV liegen – ebenfalls nicht von den Zulassungsgremien, sondern von den KVen erteilt werden.

Nachrang des Konkurrenten (3.)

Ebenfalls nicht erfüllt werde die dritte Voraussetzung, dass der dem Konkurrenten eingeräumte Status gegenüber dem Status des Anfechtenden nachrangig ist.

Im Falle einer Zweigpraxisgenehmigung bestehe gegenüber den bislang entschiedenen Fällen (Ermächtigungen, Sonderbedarfszulassungen) die Besonderheit, dass der Konkurrent bereits über einen – durch die Zulassung an seinem Vertragsarztsitz vermittelten – Status verfügt, ihm der Zugang zur vertragsärztlichen Versorgung mithin auch ohne die Genehmigung bereits eröffnet ist. Daher sei nicht der aus der Zulassung resultierende Status zur Gegenüberstellung geeignet. Vielmehr bedürfe es der Prüfung, ob die durch diese Genehmigung eingeräumte Rechtsposition gegenüber derjenigen der am Ort der beabsichtigten Zweigpraxis zugelassenen Vertragsärzte nachrangig ist.

Dies sei zu verneinen. Ein etwaiges Vorrang-Nachrang-Verhältnis müsse sich dabei wegen des damit verbundenen Eingriffes in die grundsätzlich bestehende Wettbewerbsfreiheit aus dem Gesetz selbst ergeben. Maßstab für die Frage des Nachrangs sei der Umstand, ob der konkurrierende Status nur bei Vorliegen eines noch bestehenden Versorgungsbedarfs erteilt wird und die Erteilung somit im allgemeinen Interesse an einer ordnungsgemäßen und lückenlosen Versorgung erfolgt.

In § 24 Abs. 3 Satz 1 Ärzte-ZV in der Fassung des zum 1.1.2007 in Kraft getretenen Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes vom 22.12.2006 (BGBl I 3439), der die Voraussetzungen für die Erteilung einer Zweigpraxisgenehmigung normiert, finde sich keine gleichwertige Aussage. Im Gegensatz zu Ermächtigungen und Sonderbedarfszulassungen erfordere die Erteilung der Zweigpraxisgenehmigung nicht zwingend das Bestehen einer ausgleichsbedürftigen Versorgungslücke, sondern lediglich eine „Verbesserung“ der Versorgung. Unabhängig davon, was konkret unter einer „Verbesserung“ der Versorgung zu verstehen ist, sei dieser Begriff jedenfalls nicht in dem Sinne auszulegen, dass er eine – den Anforderungen an Ermächtigungen und Sonderbedarfszulassungen vergleichbare – Bedarfsprüfung erfordert. Damit sei zugleich kein Raum für die Annahme eines Vorrangs der bereits vor Ort niedergelassenen Vertragsärzte.

Zwar erscheine es denkbar, dass die Bedarfsplanung im Wege der Gründung von Zweigpraxen unterlaufen werden kann. Ebenso mögen weiterhin Gründe dafür sprechen, dass die (frühere) Bindung der Genehmigung einer Zweigpraxis an ein bestehendes Versorgungsdefizit geeignet war, gerade im ländlichen Raum die Existenz kleiner Praxen zu sichern. Hieraus lasse sich aber nur der Schluss ziehen, dass der Gesetzgeber diese Gesichtspunkte gegenüber anderen zurückgestellt hat; dies sei von der Rechtsprechung hinzunehmen.

Keine Willkür

Eine Anfechtungsberechtigung der Klägerin ergebe sich schließlich auch nicht unter Willkürgesichtspunkten, denn die Beklagte (KV) habe jedenfalls nicht willkürlich gehandelt.

Der Maßstab für die Beurteilung behördlicher Entscheidungen sei den Grundsätzen zu entnehmen, die das BVerfG entwickelt und im Rahmen der Kontrolle gerichtlicher Entscheidungen näher ausgeformt hat. Gerichtliche Entscheidungen seien willkürlich, wenn sie unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar sind und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruhen. Das sei anhand objektiver Kriterien festzustellen. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein mache eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Willkür liegt vielmehr erst vor, wenn gravierende Rechtsverstöße vorliegen und diese den Kläger schwer beeinträchtigen.

Von einer krassen Missdeutung könne jedoch nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt. Diesen Anforderungen genügen die von der Beklagten erteilten Genehmigungen jedenfalls.

BSG-Urteil vom 17.08.2011 Vorgehen gegen Konkurrenten

Das BSG stellte in einem Urteil vom 17.08.2011 des Weiteren klar, dass die ärztliche Tätigkeit in einer Zweigpraxis Grundlage für die Anfechtung von Sonderbedarfszulassungen der Konkurrenten sein kann.

Zum Sachverhalt

Der Rechtsstreit betrifft die Drittanfechtung einer Sonderbedarfszulassung. Die Klägerin ist eine Berufsausübungsgemeinschaft aus 4 Fachärzten. Sie betreut Patienten an ihrem Hauptsitz und in ihrer mehr als 30 km entfernten Zweigpraxis.

In der Nähe dieser Zweigpraxis besteht eine Praxis derselben Fachrichtung des Dr. H.. Die Entfernung zur Zweigpraxis der Klägerin beträgt ca. 6 km. Dr. H. und der zu 7. beigeladene Dr. L. kamen überein, dass dieser als Partner in die Praxis eintreten solle. Antragsgemäß sicherte die zu 5. beigeladene Kassenärztliche Vereinigung (KV) der künftigen, aus Dr. H. und Dr. L. bestehenden Gemeinschaftspraxis die Erteilung eines Versorgungsauftrages zu. Der Zulassungsausschuss erteilte Dr. L. gemäß § 24 (bzw. bis 31.3.2007: Nr. 24) Buchst. e Nr. 2 der Bedarfsplanungs-Richtlinie-Ärzte (BedarfsplRL) eine Sonderbedarfszulassung.

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