Übersichtsarbeiten - OUP 12/2014

20 Jahre kombiniert orthopädisch-trainingswissenschaftlich validierte Rückenschmerz-Analyse und -Therapie unter den Bedingungen einer orthopädischen Praxis

H. Uhlig1

Zusammenfassung: Die moderne Zivilisation mit zwar ständig steigender Lebenserwartung besitzt leider eine gewaltige Nebenwirkung: U.a. drastische Verarmung an einem Grundbedürfnis, der Freude an effizienter Bewegung als ganzheitliches, genetisch programmiertes Erfolgserlebnis. Daraus entstehen neue, nicht unspezifische, sondern spezifische Krankheitsbilder, besonders die mit dem Massensymptom Rückenschmerz (in Abgrenzung von viel weniger häufigen, zeitlos spezifisch-organischen Rückenerkrankungen einschließlich der Mischbilder). Die Lösung liegt im Problem selbst: Schmerzhemmung, Überzeugungsarbeit und langfristige, gezielte Leistungssteigerung verpackt in einem neuen, synergistischen Verbund aus moderner Medizin und Trainingswissenschaft nach den Regeln der evidenzbasierten Medizin bzw. als evolutionäre Medizin bei zusätzlicher Anwendung flächendeckend vernetzter IT-Systeme auf valider und reliabler Datenbasis (mit nun 20-jähriger Bewährung). Rechtzeitig eingesetzt, ergibt sich sogar die Möglichkeit der Prävention der Chronifizierung als kausale, spezielle Schmerztherapie, wobei nach sich immer mehr erhärtendem Wissen Training ein breitbandspektral wirksames Medikament ersten Ranges darstellt, das erfolgreich dosiert werden muss und kann.

Schlüsselwörter: Rückenschmerz, validiertes Vorgehen, ambulant multimodale orthopädische Rückenschmerztherapie,
FPZ-Konzept

Zitierweise
Uhlig H. 20 Jahre kombiniert orthopädisch-trainingswissenschaftlich validierte Rückenschmerz-Analyse und -Therapie unter den Bedingungen einer orthopädischen Praxis.
OUP 2014; 12: 592–605 DOI 10.3238/oup.2014.0592–0605

Summary: Modern civilisation with permanently increasing life expectancy involves an enormous side effect: a radical decrease in a basic need, which is the joy of efficient motion as a holistic and genetically programmed feeling of success. This leads to new, not unspecific but specific disease patterns, especially within the mass symptom back pain (distinct from the less common specific-organic spine disease including all mixed diagnoses). The answer is hidden within the problem itself: Inhibition of pain, conviction and long-term, specific increase in performance paired with a new synergistic compound of modern medicine and training science under the rules of evidence-based-medicine or evolutionary medicine under additional usage of comprehensive IT-networks on a valid and reliable basis (with 20 years of experience). Introduced at the right time, the possibility to prevent a chronification is given as a causally, specific pain therapy with training being a broadband medicine which is able and has to be dosed successfully.

Keywords: back pain, validated approach, ambulant multimodal orthopedic back pain therapy, FPZ-Konzept

Citation
Uhlig H. 20 years of combined scientific training, analysis and therapy of back pain in the context of an orthopedic medical practice. OUP 2014; 12: 592–605 DOI 10.3238/oup.2014.0592–0605

Einleitung

Der „moderne Rückenschmerz“ – in Abgrenzung zum weit weniger häufig definierten spezifischen Rückenschmerz, es sei denn, es handelt sich um Mischformen – sei unspezifisch, nichtspezifisch, nichtklassifizierbar, er verlange interdisziplinäres, integrierendes, Sektor übergreifendes, translationales Denken und erfordere multimodale Konzepte im biopsychosozialen Modell.

Eine gewaltige Menge wissenschaftlicher Arbeiten, Organisationen und Veranstaltungen gipfelte zunächst in diesem Konsens durch das Experten-Panel „Rückenschmerz“ (Bertelsmann Stiftung 2007) [5] und schließlich und mit letztem Stand in der „Nationalen Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz“ (2010) [8]. Am Ende dieser Darstellung findet sich folgender Satz: „Im Krankheitsverlauf stehen die kontinuierliche Aufklärung und Motivation zu einer gesunden Lebensführung, die regelmäßige körperliche Aktivität einschließt, sowie die Vermeidung der Anwendung chronifizierungsfördernder und/oder nicht evidenzbasierter medizinischer Verfahren im Vordergrund der Versorgung (Statement).“

Dazu halten Locher et al. [21] fest: „Kognitive Verhaltenstherapie, Bewegungstherapie, kurze medikamentöse Unterstützung und biopsychosoziale Therapie in Form einer Kombination von Verhaltens- und Bewegungstherapie sind bei chronischen Rückenschmerzen eindeutig wirksamer und werden empfohlen“.

Was ist geschehen?

Die biologische Natur des Homo sapiens – immer noch als Steinzeitmensch mit Steinzeitgenen ausgestattet, vor allem für dominante Bewegung in der freien Natur [9, 19] – hat einen mächtigen Rivalen oder Konkurrenten entwickelt, der aus ihr selbst hervorging: Die sich immer rasanter entwickelnde menschliche Kultur und Zivilisation, die sich zunehmend in einer Hochleistungs- und Wohlstandsgesellschaft wiederfindet, aber körperlich weitgehend stillgesetzt ist. Wir leben in einer Zeit des „modernen Bruchs mit der phylogenetisch vererbten körperlichen Ausstattung mit kräftiger Muskulatur“ (Israel, zitiert in [26]).

In diesem höchst konfliktbesetzten evolutionären Geschehen entstehen zwangsläufig neue Anfälligkeiten und Volkskrankheiten. Und es sind nicht nur, aber sehr umfänglich die hier zu betrachtenden (Massen-)Probleme des modernen Menschen mit seinem evolutionsbiologisch ca. 2 Millionen Jahre alten „Rücken“, der erst seit ca. 40–60 Jahren zunehmend streikt, nachdem er aber ein wichtiger, vielleicht sogar der wichtigste Teil des evolutionsbiologischen Erfolgsmodells Mensch gewesen ist [9, 19, 33].

Es gibt also keinen Zweifel: Wir haben es mit tief greifenden Verhaltens- und Verständnisproblemen des modernen Menschen zu tun. Dazu passt dann auch das Resümee des in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts durchgeführten Göttinger Rückenintensivprogramms: Die Beschwerden beginnen wohl meist im somatischen Bereich und mit zunehmender Chronifizierung treten die psychosozialen Variablen führend hervor.

Was ist zu tun?

Es gilt also diagnostisch und therapeutisch – bei grundlegendem Verständnis der Natur des Menschen – eine Brücke zwischen Alt und Neu zu bauen, d.h., Emergenz zu entwickeln: Eine multidisziplinäre, mehrschichtige und uneingeschränkt auf eine neue Qualität ausgerichtete Denk- und Handlungsweise ist nötig. Der seit Mitte/Ende der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts angemahnte Paradigmenwechsel [35] benötigt weitere Beförderung, Richtungsklarheit sowie Mut und Ausdauer bei der Umsetzung – nicht Miss-Evolution [19], sondern wahre Evolution. Abbildung 1 zeigt in diesem Zusammenhang das Zusammenspiel der Protagonisten: Jede Disziplin für sich allein füllt den Rahmen nicht aus, es ist eben eine Emergenz nötig, Synonym „Übersummativität“.

Epidemiologie

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