Übersichtsarbeiten - OUP 12/2014

20 Jahre kombiniert orthopädisch-trainingswissenschaftlich validierte Rückenschmerz-Analyse und -Therapie unter den Bedingungen einer orthopädischen Praxis

An dieser Stelle tritt der Sinn einer großen, über einen langen Zeitraum gesammelten Datenquelle hervor. Durch gezielte Auswertungen können auftretende Effekte vor und während der Behandlung sehr genau definiert werden und dies eröffnet die Chance auf weitere Erkenntnisse: Die hier vorliegende hohe Anzahl an Daten und deren Qualität durch lückenlose Dokumentation über 2 Dekaden hinweg zeigt auf genau diesem Wege die Effizienz der untersuchten Therapie. Dazu gehört die äußerst geringe Rate von Drop-outs. Das bestätigt frühere Berechnungen zu diesem Thema [1, 29] und gibt Hinweise auf die gleichbleibend hohe Qualität des FPZ-Konzepts hier unter orthopädischen Rahmenbedingungen. Diese bestätigt sich ebenfalls durch die Ergebnisse der Patientenbefragungen. Es werden sehr hohe Punktzahlen für die Qualität von Therapie, Betreuung und die Behandlungs- bzw. Trainingseinrichtung vergeben. Diese Zahlen bestätigen erneut die aus den letzten 20 Jahren [30, 31, 32].

So entsprechen die gefundenen Diagnosen in ihrer relativen Häufigkeit denen früherer Untersuchungen [z.B. 31]. Es zeigt sich demnach eine gewisse Konstanz in den Ursachen der Rückenschmerzen sowie auch in deren Auswirkungen selbst, erkennbar an der immer gleichbleibenden Dauer der Beschwerden von etwa 9–11 Jahren bei Rückenschmerzen und etwa 4–6 Jahren bei Nackenschmerzen, bevor um eine Intervention gebeten wird. Schon frühere Arbeiten zum FPZ-Konzept zeigten, dass chronische bzw. chronisch-rezidivierende Schmerzvorgeschichten nach ca. 10 Jahren oder einem Verlauf von einem Viertel der Lebenszeit an die Grenze eines erheblichen Therapiebedarfs bzw. der irreversiblen Chronifizierung gelangen. In diesem Zusammenhang stellten auch Krankenkassen fest, dass nach diesen Zeiträumen charakteristische Kostensteigerungen eintraten. Hier konnte offenbar ergänzend nachgewiesen werden, dass bei Halswirbelsäulenbeschwerden schon die Hälfte der Zeit bedrohlich wird. Anhand dieser Zeiträume fällt auch auf, welche Auswirkung die Schmerzen haben. Anhand der immensen Zeitspannen ist zu mutmaßen, dass die meisten Patienten nicht zum ersten Mal bei einem Arzt erscheinen und in der Zwischenzeit Therapieformen empfohlen erhielten, die keine (langfristige) Wirkung erzielten. Dabei fällt eben besonders die Brisanz der Nackenbeschwerden auf, die den Patienten schon nach der Hälfte der Beschwerdezeit und bei vergleichsweise geringeren Beschwerden als am Rücken zum Arzt treiben.

Schließlich zu den außerdem erwähnten, „nicht existenten“, d.h. nicht schlüssig erfassbaren Unterschieden zwischen den Gruppen: Personen, die nach Vorbehandlung zur Trainingstherapie übergegangen sind im Unterschied zu jenen, die davon abgesehen haben – letztere sollten als besonders problematisch eingestuft werden: Trotz erheblicher Beschwerden lehnt ein Großteil der Patienten diese Therapie ab. Hier ergeben sich Parallelen zu Ergebnissen des Göttinger Rückenintensivprogrammes (zitiert in [30]) mit 3 Schlüsselfaktoren bzgl. des Therapieerfolgs: Art und Länge der Chronifizierung, Indikation/Kontraindikation, persönliche Meinung des Betroffenen resp. des Kosten- und Entscheidungsträgers (!). Es sei an dieser Stelle darauf verzichtet, über eine Vielfalt von erstaunlichen, subjektiven Reaktionsweisen aus der Alltagserfahrung heraus zu berichten. Sogenannte modulierende Faktoren finden sich auch in einer Übersicht bei Locher [20]. Wichtige Gründe liegen aber – ohne dies hier weiter zu vertiefen – zunächst in der extrinsischen und intrinsischen Motivation (s.o.). Selbst diese zunächst inaktive Gruppe bleibt aber keinesfalls uninformiert: Sie erhält durch die beschriebene Vorgehensweise und Analyse eben eine klare Beschreibung ihres Zustands und ihrer Möglichkeiten und damit eine verbindliche Aussage, mit der jeder, und wenn er will produktiv, umgehen kann. Und es ergibt sich, dass es wohl unabhängig von den Ursachen der Rückenschmerzen ein Grundempfinden bei Rückenschmerzpatienten gibt, welches – wenn eben nach Vorbehandlung Übungs- oder Trainingsstabilität erreicht ist oder noch erreicht werden kann (s.a. [18]) – nicht mehr auf bestimmte Diagnosen oder andere Randbedingungen des Klientels zurückgeht und so die Intensität und Regelmäßigkeit sowie den Zeitraum bestimmt, bis die Initiative zu einer Therapie ergriffen wird bzw. ergriffen werden könnte.

Problematisch sind dann häufig die sogenannten Selbstzahler, die die Verantwortung für die Situation von sich schieben (s.a. Ergebnisse der Befragung zur Kontrollüberzeugung, Abb. 6). Dass die Integrierte Funktionelle Rückenschmerztherapie, besonders wie hier unter naher ärztlicher Betreuung, nicht nur die Funktion der wirbelsäulenstabilisierenden Muskulatur erhöht und damit den Rückenschmerz signifikant senkt, sondern auch die Sicht auf die Krankheit ändern kann, bleibt dabei leider im Verborgenen.

Einen weiteren und vor allem für den Kostenträger ausschlaggebenden Faktor, welche Qualität die hier untersuchte Therapie besitzt, zeigen die Ergebnisse der Cost-Benefit-Analyse (FPZ-CBA). Die signifikante Senkung aller Parameter, besonders der direkt Kosten verursachenden, zeigt die ökonomische Effektivität der Therapie. Im Mittelpunkt dürften dabei Einsparungen bei AU-Tagen, Verordnungen und den übermäßig teuren stationären Aufenthalten (oft verbunden mit einer Wirbelsäulenoperation) stehen. Eine im Vergleich zu anderen Studien [25] relativ geringe Reduktion von Arztbesuchen während der Therapiezeit lässt sich auf die enge Zusammenarbeit zwischen Arztpraxis und Rückenzentrum zurückführen, bei der die Patienten in einer vorbildlichen Zusammenarbeit beidseitig betreut werden (multimodal und schmerztherapeutisch).

Neben den beschriebenen und besprochenen Wirkungen der herkömmlichen medizinischen (Schmerz-)Therapie entstehen hier womöglich noch weitere Effekte, die einen langfristigen Prozess zur Reduktion von Rückenschmerzen und eventuell auch weiteren körperlichen Beschwerden einläuten: Gemäß anderer Studien ist – unabhängig von der hier erzielten neurobiomechanischen Rekonditionierung – durch die Bewegung, die mit dem hochintensiven und regelmäßigen progressiven Krafttraining verbunden ist, mit einer Freisetzung muskulärer Botenstoffe [23] sowie epigenetischer Veränderungen [3] zu rechnen. Diese würden in der Folge weitgehende Auswirkungen ganzheitlicher Art haben. Letzteres konnte auch in den hier vorliegenden Daten bereits gezeigt werden. Gelegentliche Behauptungen, es würde sich bei der Integrierten Funktionellen Rückenschmerztherapie um ein „isoliertes mechanistisches Verfahren zum Muskelaufbau“ handeln, erscheinen erst recht unter diesen Voraussetzungen in einem völlig anderen Licht.

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